Anzeige

Opioide Verschreibung bei Nicht-Tumorschmerz oft unzulässig

Autor: Dr. Anja Braunwarth

Den Löwenanteil der Verordner machten mit 82 % die Hausärzte aus. Den Löwenanteil der Verordner machten mit 82 % die Hausärzte aus. © BillionPhotos.com – stock.adobe.com
Anzeige

Beachten die Ärzte beim Verordnen von opioidhaltigen Analgetika gegen nicht-tumorbedingten Schmerz die Kontraindikationen? Und wo liegen die Hemmnisse in der adäquaten Versorgung mit den Analgetika? Antworten darauf geben zwei Untersuchungen aus einem Innovationsfondsprojekt.

Für den Einsatz opioidhaltiger Medikamente listet die S3-Leitlinie zur Langzeitanwendung von Opioiden bei chronischen nicht-tumorbedingten Schmerzen eine Reihe von Kontraindikationen auf. So soll etwa bei schwerer affektiver Störung keine Therapie mit diesen Arzneimitteln begonnen werden, ebensowenig bei funktionellen Erkrankungen oder primärem Kopfschmerz.

Zusammen mit dem ­BVSD* und der DAK-Gesundheit hat ein Team der Universität Duisburg-Essen ermittelt, wie es um die Verordnung mit Opioiden hierzulande bestellt ist. Ein Aspekt der Analyse war, inwieweit die Kontraindikationen berücksichtigt werden. Die Wisssenschaftler werteten dazu die Gesundheitsdaten von knapp 114.000 Versicherten der DAK aus, die zwischen Januar 2018 und Juni 2019 wegen nicht-­tumorbedingter Schmerzen Opioide erhalten hatten.

Den Löwenanteil der Verordner machten mit 82 % die Hausärzte aus. Weit abgeschlagen folgten Anästhesisten mit 7 % sowie Orthopäden und Unfallchirurgen mit 4 %. Bei rund 80 % der Patienten lag den Kassendaten zufolge zum Zeitpunkt der Verschreibung eine Kontraindikation vor. Mit 44 % führten die ICD-Codes für schwere affektive Störungen (F32–F34), 24 % entfielen auf Schmerzen bei funktionellen/somatoformen Störungen, 9 % auf primäre Kopfschmerzen.

Depressionen sind eine klare Kontraindikation für Opioide

Unter den schweren affektiven Störungen waren in etwa zwei Dritteln der Fälle depressive Episoden codiert. Sehr viel seltener fand sich eine rezidivierende Depression, nur ein kleiner Teil der Patienten litt an einer anhaltenden affektiven Erkrankung. Als schwer depressiv wurden weniger als 10 % eingestuft.

Nun gibt es natürlich viele Anhaltspunkte für den Zusammenhang zwischen Depressionen und chronischem Schmerz, sagte ­Anja ­Nienhaus vom Lehrstuhl für Medizinmanagement an der Universität Duisburg-Essen, die diese Ergebnisse vorstellte. Eine solche Verbindung könne durchaus als Erklärung für die hohen Zahlen herhalten. Dessen ungeachtet nenne die Leitlinie diese Krankheitsbilder aber als klare Kontraindikationen.

Ärzte in der Praxis müssen also stets klären, ob es für Schmerzkranke mit Kontraindikation eine andere Behandlungsmöglichkeit als ein Opioidanalgetika gibt und ob wirklich alle Optionen ausgeschöpft wurden, merkte Nienhaus an. Zudem stellte sie die Frage in den Raum, ob der Leitlinientext überhaupt auf sämtliche der betreffenden Codes von F32 bis F34 abzielt oder womöglich nur auf die schwer ausgeprägten Störungen? Falls Letzeres zuträfe, wäre die Anzahl an Patienten, die nicht leitliniengemäß behandelt werden, wiederum recht gering, meinte die Referentin.

Schwerwiegender scheint ihr zufolge die Verordnung trotz vorliegender funktioneller/somatoformer Störung. Für diese Situation raten die Leitlinienautoren unmissverständlich zur Entwöhnungsbehandlung.

­Nils ­Schrader, ebenfalls vom Lehrstuhl für Medizinmanagement der Universität Duisburg-Essen, präsentierte die Ergebnisse einer Umfrage zu Hürden und Hemmnissen in der leitliniengerechten Versorgung mit Opioidanalgetika. Angeschrieben worden waren 1.854 Ärztinnen und Ärzte. 419 nahmen letztlich teil, 80 % davon waren über 50 Jahre, 64 % Männer.

Mehrheitlich äußerten die Befragten ihre Zustimmung zur Notwendigkeit einer multimodalen Schmerztherapie. Aber ebenso gab die Mehrzahl an, dass sich das in der Praxis nicht umsetzen lasse. 92 % hielten Physiotherapie bei den Schmerzpatienten für sinnvoll, doch 71 % sagten, dass dies aufgrund der schlechten Versorgungslage nicht möglich sei. Als Gründe hierfür wurden in erster Linie Heilmittelrichtlinien und Wirtschaftlichkeitsprüfungen genannt.

Geteilter Meinung waren die Angeschriebenen darüber, ob man vor der Therapieentscheidung die Ersteinschätzung eines Psychotherapeuten einholen sollte. Unabhängig von den Argumenten dafür oder dagegen herrschte aber Einigkeit darüber, dass sich so etwas in angemessener Zeit gar nicht realisieren lasse.

Höheres Risiko bei den über 30-Jährigen

Ein großer Themenblock der Umfrage betraf die Gefahr von Missbrauch und Abhängigkeit. Als besonders begünstigend für einen Opioidfehlgebrauch bewerteten die Befragten nicht-retardierte Medikamente, Arzt­hopping und eine fehlende adäquate Anamnese zu Therapiebeginn. Unter den Patienten sehen sie diejenigen mit psychischen Komorbiditäten, solche mit vorbestehender Suchterkrankung und über 30-­Jährige als am stärksten gefährdet.

Quelle: Schmerzkongress 2022

* Berufsverband der Ärzte und Psychologischen Psychotherapeuten in der Schmerz- und Palliativmedizin in Deutschland e.V.