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Verschreibungskaskaden vermeiden mit einem Diagramm des medizinischen Verlaufs

Autor: Dr. Angelika Bischoff

Bevor ein zusätzliches Medikament verschrieben wird, sollte sich der Arzt fragen, ob hinter dem  neu aufgekommenen Symptom nicht die  bereits eingenommenen Arzneimittel stecken. Bevor ein zusätzliches Medikament verschrieben wird, sollte sich der Arzt fragen, ob hinter dem neu aufgekommenen Symptom nicht die bereits eingenommenen Arzneimittel stecken. © iStock/Luioslo
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Nicht selten lösen Medikamente Nebenwirkungen aus – und diese werden dann oft mit weiteren Arzneimitteln behandelt. Dieser Verschreibungskaskade können Ärzte entgegen wirken, in dem sie die medizinische Historie des Patienten grafisch darstellen und so die Zusammenhänge erkennen.

Ein Patient entwickelt neue Symptome? In dieser Situation sollten Sie sich immer fragen, ob es wirklich eine neue Krankheit ist, die einer Medikation bedarf, oder ob die Symptome vielleicht Nebenwirkungen einer anderen bereits laufenden Therapie sind.

Wenn man dies nicht hinterfragt, gerät man in sogenannte Verschreibungskaskaden, die dem Patienten schaden können. Besonders groß ist das Risiko bei multimorbiden Senioren, die von verschiedenen Ärzten – die nicht miteinander kommunizieren – Arzneimittel verschrieben bekommen und oft nicht wissen, wogegen sie welches Medikament einnehmen. Damit vervierfacht sich die Wahrscheinlichkeit für unerwünschte Arzneimittelwirkungen im Vergleich zu jungen Patienten.

Als Beispiel nennen kanadische Ärzte den Fall einer 71-jährigen Frau mit leichter Demenz, die einen Cholinesterasehemmer verordnet bekam. Nach zwei Wochen wurde die Dosis gesteigert. Bald darauf entwickelte sie Durchfall, weshalb sie ein Antidiarrhoikum nehmen sollte. Einige Tage später wurde sie im agitierten Delirium notfallmäßig ins Krankenhaus aufgenommen. Als Ursache für das Delirium machte man dort das Antidiarrhoikum mit seiner anticholinergen Wirkung aus und setzte es ab.

Ihre Vormedikation einschließlich Cholinesterasehemmer lief jedoch weiter. Der Durchfall hielt an und die Frau blieb deshalb länger im Krankenhaus, wo sie einige gastrointestinale Untersuchungen durchlief, die ohne Ergebnis blieben. Aufgrund des langen Aufenthalts baute die Patientin körperlich und funktionell ab. Keiner war auf die Idee gekommen, dass der Cholinesterasehemmer den Durchfall ausgelöst haben könnte.

Wie lassen sich solche Verschreibungs- und Untersuchungskaskaden vermeiden? Die Geriaterin Katrina­ L. Piggott­, Mount Sinai Hospital, Toronto, und Kollegen schlagen vor, gemeinsam mit den Patienten und ggf. Angehörigen oder Pflegern eine Art Diagramm zu erstellen – auch wenn dies im ersten Augenblick mehr Zeit kostet. Aus der Darstellung der medizinischen Geschichte wird der zeitliche Zusammenhang zwischen Medikation und Symptomen deutlich. Der Blick des Arztes wird damit von einzelnen Beschwerden auf die Gesamtsituation geweitet.

Quelle: Piggott KL et al. BMJ 2020; 368: m261; DOI: 10.1136/bmj.m261