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Insektenstiche Verstärkte Lokalreaktion ist kein Grund für eine Immuntherapie

Autor: Dr. Angelika Bischoff

Wespen gelten als aggressiver als Bienen, starten ihre Rundflüge später im Jahr und sind auch bei schlechtem Wetter unterwegs. Wespen gelten als aggressiver als Bienen, starten ihre Rundflüge später im Jahr und sind auch bei schlechtem Wetter unterwegs. © iStock/marcophotos
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Bei Stichen von Bienen, Wespen, Hummeln und Hornissen lohnt sich Schubladendenken. Denn eine erneute Hymenopterenattacke führt selten zu einem Wechsel der Schublade. Die therapeutische Strategie bleibt in der Regel also gleich.

Allergische Reaktionen können sowohl aus den Stichen von Biene und Wespe als auch aus denen von Hummeln und Hornissen resultieren. Die Stiche der Hornisse werden oft für besonders gefährlich gehalten, sind aber zumindest für Nicht-Allergiker keineswegs bedrohlicher als die von Wespen, erklärte der in München niedergelassene Päd­iater Dr. David Wiesenäcker. Mit dem Stich wird das enthaltene Gift in die Haut eingebracht. Der Stachel einer Biene verbleibt anschließend meist in der Haut, sodass das Tier diese Attacke nicht überlebt. Die Wespe kann dagegen mehrmals zustechen, weil sie ihren Stachel behält.­

Wenn es darum geht, den Verursacher eines Stichs zu identifizieren, hilft ein Blick auf die Lebensweise der Tiere. Die Biene verhält sich eher friedlich, außer man nähert sich einem Bienenstock. Sie fliegt vor allem in Frühjahr bis Spätsommer, aber durchaus auch an warmen Wintertagen. Meist hält sie sich in der Nähe von Blüten oder Klee auf.

Die Wespe erscheint eher aggressiv, fliegt von Sommer bis Spätherbst, auch bei schlechtem Wetter. Am liebsten umschwirrt sie Speisen oder Abfall. Die Hornisse ist auch nachts unterwegs. Hummeln schwärmen bereits bei niedrigen Temperaturen aus. Morgens sind sie die ersten und abends die letzten Bestäuber an den Blüten. Bei schwülem und heißem Wetter werden alle diese Tiere stechlustiger.

Da Bienen und Wespen häufig verwechselt werden, kann es zur Identifizierung des „Täters“ beitragen, wenn man den Patienten eine Tafel zeigt, auf der die vier infrage kommenden Hymenopterenarten abgebildet sind, meinte Dr. Wiesen­äcker. Mögliche Reaktionen auf Hymenopterenstiche lassen sich im Prinzip in vier verschiedene Schubladen packen, wie Dr. Christoph Müller von der Universitätskinderklinik in Freiburg darlegte.

Schublade 1:

Die meisten Menschen reagieren auf einen Stich bzw. die toxische Giftwirkung mit einer lokalen Rötung, Schwellung, Schmerz und Juckreiz. Der Befund misst < 10 cm, systemische Symptome fehlen. Nach 24 h hat die Reaktion ihr Maximum deutlich hinter sich gelassen. Solch eine Reaktion gilt als völlig normal.

Schublade 2:

Bei einer verstärkten lokalen Reaktion handelt es sich um ein krankhaftes Geschehen, an dem nicht nur die toxische Wirkung des Gifts, sondern auch das Immunsystem beteiligt ist. Die Beschwerden nehmen über 24 h hinaus weiter zu, der Lokalbefund dehnt sich auf > 10 cm aus. Dies betrifft maximal ein Viertel der Gestochenen. Häufig treten zusätzlich lokale Symptome wie sterile Lymphangitis und gelegentlich auch pseudosystemische Symptome wie Krankheitsgefühl und Frösteln auf. Solche Reaktionen betreffen bevorzugt Menschen, die bereits gegenüber Hymenopterengift sensibilisiert sind. Sie repräsentieren wahrscheinlich die zelluläre Spätphase einer allergischen Reaktion, so Dr. Müller.

Schublade 3:

Bevor ein Patient in die Schublade anaphylaktische Reaktion gesteckt wird, sollte eine dreifache Plausibilitätsprüfung positiv ausgefallen sein:

  • Der zeitliche Zusammenhang zum Stich muss passen, die Reaktion innerhalb von 15–30 Minuten bis maximal zwei Stunden danach erfolgt sein. „Ein sofortiger Kollaps nach einem Stich zählt dazu nicht“, unterstrich Dr. Müller.
  • Die Symptome müssen plausibel erscheinen. Dies ist z.B. bei einer stichfernen Urtikaria, Atembeschwerden, gastrointestinalen Symptomen oder Kreislaufpro­blemen der Fall, nicht aber bei Hyperventilieren. Unter den Kreislaufproblemen am wenigsten relevant ist die Tachykardie. Sie kann der Aufregung geschuldet sein. Plausibel ist nur ein Abfall des systolischen Blutdrucks um > 30 %. Bei Jugendlichen ist ein Wert <  90 mmHg relevant.
  • Die Sensibilisierung muss belegt werden.

Schublade 4:

Schublade 4 enthält ungewöhnliche Stichreaktionen. Neurologische, renale und kardiale Erkrankungen sowie Vaskulitiden wurden in einigen kleinen und meist älteren Studien mit Stichen assoziiert – insgesamt mit sehr heterogener und zweifelhafter Evidenz. „Diese Schublade können wir getrost wieder schließen“, sagte Dr. Müller.

Stiche am besten vermeiden

Zur Stichprophylaxe sollte man Nahrungsmittel abdecken, Abfallbehälter geschlossen halten und nie nach den Insekten schlagen. Man darf sie auch nicht wegpusten, weil das CO2 in der Ausatemluft für die Tiere ein Alarmsignal ist. Vermeiden sollte man Parfüms, Cremes und bunte Kleidung, die anziehend wirken. Hilfreich kann es sein, zur Ablenkung in gewisser Entfernung attraktive Nahrungsmittel aufzustellen. Überreife Trauben sind am besten geeignet. Fenster sollte man mit Fliegengittern versehen, damit man wenigstens drinnen seine Ruhe hat.

Das Risiko für einen Schubladenwechsel von wiederholten verstärkten Lokalreaktionen zur Anaphylaxie scheint verschiedenen Untersuchungen zufolge minimal zu sein. Patienten, die verstärkte Lokalreaktionen zeigen, haben kein höheres Risiko für systemische Reaktionen als die Normalbevölkerung. Deshalb empfiehlt die EAACI*-Leitlinie für diese Patienten in der Regel keine Immuntherapie. In Einzelfällen könnte man für erwachsene Patienten, bei denen schwere Lokalreaktionen z.B. zu erheblichen beruflichen Problemen führen, eine Ausnahme machen. Aber im Prinzip habe die Immuntherapie keinen Platz bei verstärkten Lokalreaktionen, so Müller. Spezifisches IgE braucht bei diesen Menschen nicht gemessen zu werden. Und ein Notfall-Set mit einem Adrenalin-Autoinjektor benötigen sie auch nicht. In der Therapie kann man sich auf lokale kühlende und abschwellende Maßnahmen und ggf. die Gabe von NSAR sowie Steroiden beschränken. Antihistaminika sind nicht indiziert, da dem Geschehen keine Sofortreaktion, sondern eine zelluläre Reaktion zugrunde liegt. Aufpassen muss man, dass nicht irgendjemand dem Patienten im Fall einer sterilen Lymphangitis ein Antibiotikum gibt, warnte der Kollege.

* European Academy of Allergy and Clinical Immunology

Quelle: 16. Deutscher Allergiekongress