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Diabetes mellitus Typ 1 ist kein Hindernis für Sport Viele Sorgen der Patienten sind unberechtigt

Autor: Dr. Melanie Söchtig

Mit der engmaschigen Kontrolle des Blutzuckerspiegels vor, während und nach dem Sport ist oft sogar hochintensives Training möglich. Mit der engmaschigen Kontrolle des Blutzuckerspiegels vor, während und nach dem Sport ist oft sogar hochintensives Training möglich. © Yistocking – stock.adobe.com
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 Bei Diabetes Typ 1 hilft Sport dabei, Folgeerkrankungen zu vermeiden und den Blutzucker auf lange Sicht besser einzustellen. Doch insbesondere die Angst vor Hypoglykämien hält viele Betroffene vom regelmäßigen Training ab. Wer als Arzt Bescheid weiß, kann seinen Patienten die Sorgen nehmen.

Die gesundheitlichen Vorteile von Sport und regelmäßiger Bewegung kommen bei ­Diabetes mellitus Typ 1 ganz besonders zum Tragen. Die körperliche Aktivität wirkt sich nicht nur positiv auf die Stoffwechsellage aus, sondern auch auf die kardiovaskuläre, muskuloskelettale, kognitive und psychosoziale Gesundheit der ­Betroffenen. Dem gegenüber stehen die Risiken für akute Hypo- und Hyperglykämien, die Gefahr von Verletzungen und kardiovaskulären Ereignissen sowie möglichen mikrovaskulären Komplikationen

Der gesundheitliche Nutzen von Sport überwiegt diese Risiken allerdings deutlich, schreiben Dr. Meinolf­ Behrens­ vom Dia­beteszentrum Minden und PD Dr. Christian­ Brinkmann­ von der Deutschen Sporthochschule Köln. Menschen mit Typ-1-Diabetes sollten daher gezielt zu regelmäßigem körperlichem Training und zu mehr Bewegung im Alltag ermuntert werden.

Die Patienten tragen ein erhöhtes KHK-Risiko

Patienten mit Typ-1-Diabetes tragen ein erhöhtes Risiko für eine KHK. Daher sollte man vor der Empfehlung zu mehr Sport kardio­vaskuläre Risikofaktoren sowie atypische Symptome einer KHK sorgfältig erfassen, raten die beiden Autoren. Ob bei asymptomatischen Personen, die mit einem wenig oder moderat intensiven Training beginnen wollen, ein entsprechendes Screening zu erfolgen hat, ist in Expertenkreisen umstritten.

Permanente Kontrolle bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen

Sollen die Übungen hingegen intensiver ausfallen, ist ohne Frage eine kardiovaskuläre Diagnostik vonnöten, betonen Dr. Behrens­ und Dr. Brinkmann­. Diese umfasst in der Regel ein EKG und eine echokardiografische Untersuchung. Ein Belastungs-EKG und Blutdruckmessungen unter Belastung und in Ruhe können hinzu kommen.

Darüber hinaus sind diabetes­assoziierte mikro- und makrovaskuläre Komplikationen zu beachten. KHK, Herzinsuffizienz oder PAVK etwa erfordern die fortlaufende Untersuchung des Patienten auch nach Aufnahme der sportlichen Aktivitäten. Ein kardiologisches Screening ist bei einer autonomen Neuropathie indiziert, da diese mit einer gestörten Regulation von Blutdruck und Herzfrequenz einhergehen kann. Im Falle einer sensomotorischen Neuropathie oder bei einem diabetischen Fuß empfiehlt sich das Tragen von speziellen Sportschuhen. Bei diabetesbedingten Fußläsionen ab dem Wagner-Stadium 1 oder Osteoarthropathien sollte eine starke Beanspruchung der Füße vermieden werden. Besteht eine proliferative Retinopathie, ist ein Anstieg des Blutdrucks über 180–200/100 mmHg zu vermeiden. Hochintensives Kraft- oder Ausdauertraining sowie Kampfsport sind dann ungeeignet.

Voraussetzung dafür, dass Patienten mit Typ-1-Diabetes sicher Sport treiben können, ist eine gute Stoffwechselkontrolle im Alltag. Die Blutzuckerwerte müssen engmaschig überwacht werden, und zwar vor, während und nach dem Training. Von großem Nutzen sind die Blutglukosetrends, wie sie die rtCGM*-Systeme in Form von Trendpfeilen liefern. Zudem wird die Bestimmung der Ketonkörper, idealerweise aus dem Blut, empfohlen.

Um die wesentlichen Behandlungsprinzipien und die optimale Blutzuckereinstellung zu erlernen, sollten die Betroffenen an Schulungen teilnehmen, beispielsweise zu multiplen Insulininjektionen, zum rtCGM und zu Sport bei Diabetes mellitus Typ 1. Auch das Führen eines Sporttagebuchs kann das Verständnis für die eigene Stoffwechsel­dynamik verbessern.

Je nach Sportart und individuellen Faktoren wird vor und während der Übungen eine Blutglukose­konzentration zwischen 126 und 180 mg/dl angestrebt. Anaerobes und hochintensives Training ist auch mit niedrigeren Spiegeln (90–124 mg/dl) möglich, sofern kein Abfall der Werte zu erwarten ist. 

Eine gute Kontrolle des Stoffwechsels im Alltag ist Voraussetzung für Sport

Bei nicht anderweitig erklärbaren Anstiegen der Blutzuckerspiegel auf über 270 mg/dl ist eine Ketonkörperanalyse angezeigt. Beträgt der Ketonspiegel im Blut weniger als 0,6 mmol/l, kann mit leichten bis mäßig intensiven aeroben Übungen begonnen werden. Im Falle erhöhter Ketonkörperkonzentrationen (bis zu 1,4 mmol/l) ist nur ein leichtes Training von weniger als 30 Minuten ratsam. Gegebenenfalls ist vor Trainingsbeginn eine geringe korrigierende Insulindosis notwendig. Eine Kontraindikation für Sport jeglicher Art besteht bei Ketonwerten von 1,5 mmol/l und mehr.

Bis zu 14 Stunden nach Trainingsende kann der sogenannte Muskelauffülleffekt eine Reduktion der Bolus- und/oder Basalinsulindosis erforderlich machen. Neben der Dosisanpassung besteht vor, während und nach dem Sport unter Umständen die Notwendigkeit, zusätzliche Kohlenhydrate aufzunehmen. Als Faustregel gilt: Die Menge des aktiven Insulins im Körper soll so niedrig wie möglich gehalten ­werden.

*    real-time continuous glucose monitoring

Quelle: Behrens M, Brinkmann C. Dtsch Z Sportmed 2023; 74: 242-247; DOI: 10.5960/dzsm.2023.579