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Sexarbeit Volle Fahrt in Angst und Sucht

Autor: Annette Kanis

Ein Großteil der Sexarbeit in Deutschland findet in gesundheitlich gefährdenden Verhältnissen statt.
Ein Großteil der Sexarbeit in Deutschland findet in gesundheitlich gefährdenden Verhältnissen statt. © iStock/ toxawww
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Ob Prostitution oder Striptease: Sexarbeitende und Zwangsprostituierte entwickeln psychische Probleme und benötigen Hilfe. Ihr Zugang zum Gesundheitssystem ist durch verschiedene Faktoren erschwert und muss dringend verbessert werden.

Sie erfahren Gewalt, flüchten sich in Drogen und entwickeln psychische Störungen – Sexarbeitende sind aufgrund ihrer Lebens- und Arbeitsverhältnisse sowie negativer Rahmenbedingungen eine gesundheitlich besonders gefährdete Gruppe. Daran haben auch die in den vergangenen Jahren eingeführten Gesetze wenig geändert (Prostitutionsgesetz 2002 und Prostitutionsschutzgesetz, ProstSchG, 2017): Ein Großteil der Sexarbeit in Deutschland findet weiterhin in (auch) gesundheitlich gefährdenden Verhältnissen statt, berichten Prof. Dr. ­Meryam Schouler-­Ocak von der Psychiatrischen Universitätsklinik der ­Charité im St. Hedwig-Krankenhaus, Berlin, und Kollegen.

80 % aller Sexarbeitenden in Deutschland sind ohne deutsche Staatsbürgerschaft. Die meisten von ihnen stammen derzeit aus den Balkanstaaten und den Nachfolgestaaten der Sowjetunion. Doch Sexarbeitende mit Migrationshintergrund sind eine besonders vulnerable Gruppe, schreibt Prof. Schouler-Ocak. Verschiedene Faktoren erschweren ihre angemessene medizinische Versorgung. So sind laut RKI-Studie nur 21,2 % von ihnen krankenversichert – von den deutschen Sexarbeitenden sind dies fast 90 %. Massive Sprachbarrieren erschweren eine adäquate Gesundheitsversorgung zusätzlich. Außerdem sind Sexarbeitende mit Migrationshintergrund meist wenig informiert über das Gesundheitssystem. Den im Gesundheitswesen Tätigen wiederum fehlt es an interkulturellem Wissen und Mehrsprachlichkeit.

Eine weitere Hemmschwelle stellt bei den Sex­arbeitenden die Scham über die ausgeübte Tätigkeit dar. Diese wird mitunter verstärkt durch Abwertung und Stigmatisierung vonseiten des medizinischen Personals.

All diese Faktoren haben auch einen Einfluss auf die psychische Gesundheit, wie eine Schweizer Studie an knapp 200 Sexarbeitenden zeigt.  Diese litten deutlich häufiger an psychischen Störungen als Frauen in der europäischen Allgemeinbevölkerung. Affektive Störungen (30,1 %) kamen sechsmal so häufig vor, Angsterkrankungen (33,7 %) etwa achtmal so häufig.

Größere Belastung bei illegaler Tätigkeit

Die psychische Gesundheit wird primär durch die Tätigkeit selbst beeinträchtigt, zudem häufig durch Unsicherheiten bezüglich des Aufenthaltsstatus und der Wohnsituation. Die Arbeitsbedingungen haben Einfluss, insbesondere besteht ein Zusammenhang mit Gewalterfahrungen innerhalb und außerhalb der Arbeitsumgebung. Illegal tätige Sexarbeiterinnen berichten von stärkeren psychischen Problemen als legal Tätige. Straßenprostituierte denken besonders häufig an Suizid, mit 45,5 % wurde bei drogenabhängigen Straßenprostituierten die höchste Depressionsrate ermittelt.

Diese und weitere Untersuchungen unterstreichen den Bedarf für präventive Maßnahmen, um die Gesundheitsversorgung von Sexarbeitenden zu verbessern und bei psychischen Problemen helfen zu können. Besonders kostenlose Beratungs- und Behandlungsangebote, die sich kultursensibel um illegale Sexarbeitende ohne Versichertenstatus kümmern, müssten ausgebaut werden.

Quelle: Schouler-Ocak M et al. Bayerisches Ärzteblatt 2022; 77: 100-101