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Vitamin-C-Mangel Was zunächst nach Gerinnungsstörung aussah, entpuppte sich als Skorbut

Autor: Stefanie Menzel

Korkenzieherartige Verformungen der Haare sind typisch für einen Vitamin-C-Mangel. Korkenzieherartige Verformungen der Haare sind typisch für einen Vitamin-C-Mangel. © Science Photo Library/John Radcliffe Hospital
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Trotz typischer Symptome dauert es manchmal lange, bis die Diagnose Vitamin-C-Mangel steht. Wie der Fall eines 71-Jährigen zeigt, können Ernährungsgewohnheiten gerade bei älteren Patienten mitunter sehr aufschlussreich sein. Die Therapie ist dann denkbar einfach.

In der Notaufnahme berichtete ein 71-jähriger Mann von schwarzem Stuhl und Belastungsdyspnoe sowie blauen Flecken und starkem Bluten beim Zähneputzen. Zudem habe er Gewicht verloren. Die Frage nach Brust- und Unterleibsschmerzen, Orthopnoe, nächtlicher Atemnot, geschwollenen Beinen oder Stürzen verneinte er. Eine Blut­untersuchung, die einige Monate zuvor wegen eines großen Hämatoms an der Hüfte veranlasst worden war, hatte einen Hämoglobinwert von 10,8 g/dl ergeben.

Die Krankengeschichte offenbar­te zwei Aortenaneurysmen, chronische Nierenerkrankung, COPD, eine posttraumatische Belastungsstörung sowie Vitamin-D- und Vitamin-B12-Mangel bei entsprechender Polypharmazie. Er sei seit Jahrzehnten Kettenraucher, habe einige Jahre getrunken, gab der Mann zu Protokoll. Er lebe allein.

Der Patient machte insgesamt einen kranken Eindruck. Gebiss und Zahnfleisch waren in desaströsem Zustand, der Mann klagte über Gedächtnisstörungen und Schwindel. An Rumpf, Armen und Beinen zeigten sich Haut­einblutungen. Herz, Lunge und Abdomen erschienen unauffällig, allerdings fiel eine stark erhöhte Pulsfrequenz von 115/min auf.

Lieber Pommes statt Obst und Gemüse

Angesichts von Meläna, den Hautzeichen und der Anämie dachten die Ärzte zunächst an eine Gerinnungsstörung. Hinsichtlich der Gefäße ließ sich eine entzündliche Komponente ausschließen, so blieb als Ursache für die Blutungen eine gestörte vaskuläre Integrität.

Im Rahmen einer Magen-Darm-Spiegelung zeigten sich zahlreiche nicht-blutende angiodysplastische Läsionen und eine erythematöse Mukosa im gesamten Gastrointes­tinaltrakt. Durch Biopsate ließ sich der Verdacht auf einen Von-Willebrand-Faktor-Mangel ausräumen.

Nun nahmen die Ärzte die Haut des Patienten genauer unter die Lupe. Sie entdeckten perifollikuläre Einblutungen und Korkenzieherhaare und tippten auf Skorbut. Nachdem der Patient seine Vorliebe für ­Pommes ­frites und gleichzeitige Abneigung gegen Obst und Gemüse eingestanden hatte, ließen die Ärzte den Vitamin-C-Spiegel des Mannes bestimmen. Er war nicht messbar – womit die Diagnose feststand.

Obwohl heute ganzjährig Zitrusfrüchte und andere ascorbinsäurehaltige Lebensmittel zur Verfügung stehen, besteht bei 5–17 % der US-amerikanischen Bevölkerung eine entsprechende Hypovitaminose, berichten ­Cayla ­Pichan von der University of Michigan in Ann ­Arbor und Kollegen. Gefährdet sind insbesondere Menschen, die sich sehr einseitig ernähren und/oder psychische Probleme haben.

Risikofaktoren für die „Seemannskrankheit“

Personen mit erhöhtem Risiko für Vitamin-C-Mangel und Skorbut sind:
  • psychisch Kranke mit Essstörungen oder selektiver Ernährungsweise
  • Kleinkinder, die ausschließlich pasteurisierte Milch bekommen
  • Kinder mit Autismus-Spektrum-Störung
  • Menschen mit Alkoholabhängigkeit
  • isoliert lebende Senioren, die sich einseitig ernähren

Beschwerden gehen unter Substitution rasch zurück

Die Erkrankung betrifft viele Organsysteme, denn Vitamin C wird fast überall im Körper benötigt. So ist es z.B. als Kofaktor an der Synthese von Kollagen beteiligt, das Gefäßwände formt, weshalb sich ein Defizit in charakteristischen Blutungserscheinungen etwa im Bereich von Zahnfleisch, Haut, Gelenken oder inneren Organen manifestiert. Beim Energieumsatz hat Vitamin C in der Synthese von ­Carnitin Bedeutung, das Fettsäuren in die Mitochondrien transportiert. Störungen in diesen Abläufen dürften für Symptome wie Schwächegefühl, ­Fatigue und Muskelkrämpfe verantwortlich sein. Zudem begünstigt Vitamin C die intestinale Eisenaufnahme und bewahrt Erythrozyten und Folsäure vor oxidativen Schäden. Die Anämie ihres Patienten, so die Autoren, habe demnach dreierlei Ursachen: Einblutungen, gastrointestinalen Blutverlust aufgrund von Angiodysplasie und verminderte Produktion von intakten roten Blutkörperchen. Während körperliche Anzeichen erst bei gravierendem Vitamin-C-Mangel auftreten, könne ein erniedrigter Spiegel einigen Studien zufolge bereits im Vorfeld zu neurologisch-psychiatrischen Symptomen führen. Der Senior wurde stationär aufgenommen. Ein intravenöser Volumenausgleich senkte die Herzfrequenz, Schwindel- und Schwächegefühl verschlimmerten sich jedoch. Wie die Laboruntersuchung ergab, war der Hämoglobinwert weiter gesunken. Ferritin lag im Normbereich, Serum­eisen an der Untergrenze, Folsäure deutlich darunter. Die BSG war gesteigert, CRP vierfach erhöht. Hämolyse und Leukämie konnten ausgeschlossen werden. Der Blutausstrich ergab eine normozytäre Anämie.

Typische Skorbutsymptome

  • Zahnfleischbluten, Zahnlockerung und -verlust
  • Petechien und Purpura, schlechte Wundheilung, Korkenzieherhaare, follikuläre Hyperkeratose
  • Anämie
  • Hämarthrose, Schwächegefühl, Muskelschmerzen und -krämpfe
  • Müdigkeit, Stimmungsschwankungen, kognitive Beeinträchtigung

Dem 71-Jährigen verordnete man proteinhaltige ­Shakes, reichlich Obst und Gemüse sowie dauerhaft 1.000 mg/d Vitamin C, 1 mg/d Folsäure und ein Multivitaminpräparat. Die Hautsymptome gingen daraufhin rasch zurück und der ältere Herr konnte umgehend entlassen werden. Drei Monate später waren Einblutungen, Hämatome und Schwarzfärbung des Stuhls verschwunden, der Hb auf 12,9 g/dl gestiegen, das Denk- und Erinnerungsvermögen des Mannes hatten sich gebessert.

Quelle: Pichan C et al. N Engl J Med 2021; 385: 938-944; DOI: 10.1056/NEJMcps2108909