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Weltraumflüge hinterlassen Spuren in Gehirn und Immunsystem

Autor: Tobias Stolzenberg

Schwerelos, aber nicht sorglos: Reisen ins All wirken sich negativ auf Hirn und Immunsystem aus. Schwerelos, aber nicht sorglos: Reisen ins All wirken sich negativ auf Hirn und Immunsystem aus. © iStock.com/eclipse_images
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Ein halbes Jahr verbrachte Alexander Gerst auf der ISS. Forscher haben nun genauer untersucht, welche gesundheitlichen Folgen solch lange Aufenthalte im All haben. Die Ergebnisse bereiten Grund zur Sorge.

Ein Astronaut ist zur Erde zurückgekehrt. Bei der medizinischen Nachuntersuchung diagnostizieren ihm Ärzte einen Hydrozephalus. Das klingt nach einem Auszug aus Stanley Kubricks Film „2001: Odyssee im Weltraum“. Tatsächlich jedoch wurde bereits mehrfach beobachtet, dass sich Liquor in den Hirnventrikeln von Astronauten ansammelte, die mindestens fünf Monate in der Schwerelosigkeit verbracht hatten.

Forscher wie Dr. Donna­ R. Roberts­, Medical University of South Carolina, Charleston, und Dr. Lonnie G. Petersen­, University of California in San Diego, haben dem Phänomen einen Namen gegeben: „Hydrocephalus associated with long-term space­flight“ – kurz HALS.¹

Nervenwasser drückt bei Schwerelosigkeit wohl auf Hirn, Retina und Sehnerv

Warum es zu den Veränderungen in den Gehirnen der Raumfahrer kommt, weiß man noch nicht. Unklar ist auch, wie lang die Abnormitäten nach der Rückkehr fortbestehen. Bisher liegen Arbeiten vor, in denen MRT-Bilder vor und zwei Wochen nach einer Allmission miteinander verglichen wurden. Eine Bildgebung darüber hinaus sieht das Protokoll der NASA nicht vor. So können Wissenschaftler nur mutmaßen, ob es sich beim „Raumfahrer-Wasserkopf“ um einen pathologischen Zustand handelt oder um eine natürliche Reaktion des Körpers auf die Schwerkraft. Möglicherweise ist es auch nur ein Schutzmechanismus, der die langfristige Hirngesundheit bewahren soll, schreiben die Kollegen.

Die graue Substanz schwindet

Der HALS ähnelt Liquor-Zirkulationsstörungen, die auf der Erde auftreten. Durch die Erforschung des Phänomens hoffen die Wissenschaftler, auch die irdischen Erkrankungen besser zu verstehen. Schon zuvor war aufgefallen, dass Langzeit-Weltraumreisende nach ihrer Rückkehr ein geringeres Hirnvolumen aufwiesen. Besonders in der orbitofrontalen und temporalen grauen Substanz.²

Zudem berichteten Sie von Schwierigkeiten beim scharfen Sehen. Grund dafür könnte sein, dass sich das Nervenwasser infolge der Schwerelosigkeit verlagert, auf Retina und Sehnerv drückt und das Gehirn komprimiert. „Ob die beobachteten großflächigen Veränderungen der grauen und weißen Substanz für die Kognition der Astronauten von Bedeutung sind, wissen wir aber nicht“, sagte Professor Dr. Peter­ zu Eulenburg­, Neurologe an der LMU München.

Aktivität natürlicher Killerzellen halbiert sich

Allerdings wirkt sich der Kosmos auch auf die Abwehrkräfte aus.³ Forscher um Dr. Austin B. Bigley­, University of Houston, hatten Blutproben von acht Astronauten untersucht, die vor, während und nach dem Aufenthalt auf der Internationalen Raumstation ISS entnommen worden waren. Die Männer waren sechs Monate im All stationiert.

Die natürlichen Killerzellen hatten einen deutlichen Teil ihrer zytotoxischen Aktivität gegen K562-Leuk­ämiezellen eingebüßt. An Tag 90 der Mission lag diese um 50 % niedriger als vor dem Start. Die Veränderungen fanden sich jedoch nur bei den Astronauten, die zum ersten Mal ins All geflogen waren. Nicht bei einem Weltraum-Veteranen, der 340 Tage auf der ISS verbrachte.

„Wir wissen nicht, ob es das jüngere Alter, der Stress, die kosmische Strahlung, die Schwerelosigkeit oder alles zusammen ist, das dem Immunsystem derart zusetzt“, gestand einer der Studienautoren in einer Pressemitteilung der Universität Arizona. Man müsse jetzt abwarten, ob die Raumfahrer eher Krebs bekämen oder bei ihnen vermehrt Viren reaktiviert werden.

Quellen:
¹ Roberts DR, Petersen LG. JAMA Neurol 2019; online first
² zu Eulenburg P et al. N Engl J Med 2018; 379: 1678-1680
³ Bigley AB et al. J Appl Physiol (1985) 2018; online first