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Interview Zusammenarbeit von Studienzentren und niedergelassenen Hämato-Onkolog:innen stärken

Autor: Dr. Miriam Sonnet

Im Interview erläutert Prof. Dr. Hartmut Goldschmidt, wie das Verhältnis zwischen niedergelassenen Hämato-Onkolog:innen und Studienleitenden an Zentren verbessert werden könnte. Im Interview erläutert Prof. Dr. Hartmut Goldschmidt, wie das Verhältnis zwischen niedergelassenen Hämato-Onkolog:innen und Studienleitenden an Zentren verbessert werden könnte. © Dmitry Kovalchuk – stock.adobe.com
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Zwischen niedergelassenen Hämato-Onkolog:innen und Studienleitenden an Zentren gibt es ein großes Konfliktpotenzial. Umso wichtiger ist ein gutes Vertrauensverhältnis. Prof. Dr. Hartmut Goldschmidt erläutert, wie Kooperationen aussehen, warum sie immer schwerfälliger werden und was sich verbessern muss.

Herr Prof. Goldschmidt, welchen Stellenwert haben klinische Studien in der Onkologie und wo gibt es Verbesserungsbedarf?

Prof. Dr. Hartmut Goldschmidt: Klinische Studien sind besonders wichtig, um neue Medikamente zu entwickeln. Gerade in der Hämatologie/Onkologie sind wir heute in der Lage, bei bestimmten Entitäten wie dem Hodgkin-Lymphom einen großen Anteil der Erkrankten zu heilen. Deutschland stand über viele Jahre hinweg an zweiter Stelle weltweit, wenn es um die Rekrutierung von Patient:innen für klinische Studien ging. Mittlerweile sind wir auf Platz sieben gelandet. Das bereitet uns große Sorgen.

Für die Pharmafirmen verliert der Standort Deutschland durch eine geringere Anzahl an Studien an Attraktivität. Hierzulande bestehen enorme bürokratische Hürden und es dauert oft sehr lange, bis eine Studie starten darf. Andere Länder sind hier wesentlich schneller. Das führt dazu, dass einige Kolleg:innen nicht die notwendige Zeit aufbringen oder auch erst gar nicht die Strukturen vorhalten können, um sich darin einzubringen.

Wie gelangen Patient:innen an klinische Studien? 

Prof. Goldschmidt: In der Onkologie gibt es mehrere Möglichkeiten, wie Betroffene von klinischen Studien erfahren. Zum einen verfügen die meisten Zentren über Ambulanzen, in denen Krebspatient:innen behandelt werden. Zum anderen können niedergelassene Hämato-Onkolog:innen im Falle von Projekten – wenn die konventionellen Therapien ausgeschöpft sind und die Studie neue Optionen bietet – die Erkrankten an die Zentren schicken. Die dritte Möglichkeit sind Patient:innenorganisationen. Diese bieten oft auf ihrer Homepage eine Liste mit aktuellen Studien. Manchmal arbeitet dort ein eigener Beauftragter, an den sich Betroffene wenden können.

Welche Aufgaben können nur in einem Zentrum erfolgen und was können niedergelassene Hämato-Onkolog:innen übernehmen?

Prof. Goldschmidt: Handelt es sich um eine Studie, in der ein Medikament erstmals am Menschen getes­tet wird, so kann dies nur an einem Zentrum erfolgen, weil der Aufwand für die niedergelassenen Hämato-Onkolog:innen zu groß wäre. Möglich ist es für Letztgenannte aber, sich an einer Studie zur Therapieoptimierung zu beteiligen. Auch bei Phase-2–4-Studien, in denen die Wirksamkeit und Verträglichkeit einer Behandlung geprüft wird, können die Kolleg:innen sehr gut mitwirken.

Die German-Speaking Myeloma Multicenter Group (GMMG) hat im Rahmen von Studien eine verstärk­te Kooperation aufgebaut. Darin wurden verschiedene Elemente der Studie an die Niedergelassenen delegiert, was sehr gut funktionierte. In Deutschland ist genau das aber gesetzlich nicht definiert und somit bewegt man sich hier auf einem schma­len Grat. 

Was passiert nach Studienende? Besteht noch eine Kooperation zwischen Leiter:in und Niedergelassenem?

Prof. Goldschmidt: Ist die Person geheilt, erfolgt meist eine Nachsorge am Zentrum. Selbst wenn keine Kuration erreicht wurde, bleiben die Patient:innen häufig an den Zentren, weil es dort oft weitere Studien­angebote gibt. Hier gibt es ein gewisses Konfliktpotenzial mit den Niedergelassenen, weil sie die Betroffenen natürlich weiter betreuen wollen, wenn die Studie abgeschlossen ist. Denn die Kolleg:innen sind nicht nur Ärzt:innen, sondern auch Verantwortliche für die ökonomischen Rahmenbedingungen der Praxen  und tragen die Verantwortung dafür, dass die Praxis gut läuft. Und die Behandlung ist nun mal das, was ökonomisch besonders wichtig ist. Jede Person, die sie zur Therapie an ein Zentrum schicken, ist eine Herausforderung. Daher kann es passieren, dass Patient:innen aufgrund dieses Konfliktpotenzials nicht in Studien eingeschlossen werden.

Leider ist die Zeit für einen Austausch zwischen Niedergelassenen und Studienzentren begrenzt. Daher ist es wünschenswert, wenn sich Erstere an Tumorboards beteiligen – aber auch dazu fehlt oft die Zeit. Deshalb finde ich es gut, wenn die Praxen größer sind und mehrere Ärzt:innen dort arbeiten; einzelne Niedergelassene können es kaum leisten, an allen Tumorboards mitzuwirken. Daher sind es, zumindest in der Hämatologie, meist dieselben, die den Kontakt zu Zentren suchen – oft diejenigen aus größeren Praxen. Zu den Studientreffen der GMMG laden wir die Niedergelassenen immer mit ein. Leider können sie nicht jedes Mal teilnehmen, weil der Aufwand einfach zu groß ist.

Welche Vor-, aber auch Nachteile gibt es, wenn die Patient:innen von einem Studienleitenden direkt betreut werden?

Prof. Goldschmidt: In Studien ist die Diagnostik meist ausgeprägter als in der täglichen Praxis und i.d.R. beinhalten die Studien eine höchst moderne und effektive Therapie. Darüber hinaus haben die Zentren, an denen die Studien durchgeführt werden, sehr viel Erfahrung mit der Behandlung der jeweiligen Entitäten. Allerdings müssen die Patient:innen meist längere Wege auf sich nehmen, um zum Zentrum zu gelangen.

Was kann sich in Bezug auf Kooperationen noch verbessern?

Prof. Goldschmidt: Die Studien sind mittlerweile sehr kompliziert geworden, sodass es kaum noch möglich ist, die Arbeit zwischen Zentren und Niedergelassenen aufzuteilen. Viele Elemente der Studien müssen an den Unikliniken bleiben und es ist für die Ärzt:innen im niedergelassenen Bereich kaum noch attraktiv. Das liegt aber in der Natur der Dinge und eine Änderung ist nur sehr schwer durchführbar.

Wir sollten dringend das Vertrauen zwischen Studienleiter:innen und niedergelassenen Onkolog:innen stärken. Letztere müssen sich sicher sein können, dass, wenn sie eine Person an ein Zentrum schicken, diese auch wieder zurückkommt. Oder dass die Zentren den Kolleg:innen andere Betroffene übergeben, die genauso gut von ihnen betreut werden können. Die Behandlung von „Standard“-Patient:innen sollte schwerpunktmäßig bei den niedergelassenen Hämato-Onkolog:innen erfolgen. 

Die Universitäten definieren sich vielmehr über Studien und über Erkrankte, die eine komplizierte oder hoch aufwendige Therapie erfordern. Zum Beispiel können CAR-T-Zell-Therapien nur an ausgewiesenen Zentren durchgeführt werden.

Wir hoffen, dass wir im Rahmen von Phase-4-Studien bald weitere Daten zur breiten Medikamentenanwendung in Deutschland erhalten. Hier laufen zurzeit Diskussionen mit dem G-BA und dem IQWiG, wie man solche Daten gemeinsam mit den Niedergelassenen gewinnen kann. Im Augenblick gibt es Elemente, die verstärkt über die niedergelassenen Ärzt:innen laufen, andere wiederum gehen weitgehend über die Industrie. Das stellt meines Erachtens keine optimale Lösung dar, um Real-World-Daten zu generieren. Die Ansprüche wachsen ­enorm.

Prospektive Real-World-Daten zu erzeugen ist mittlerweile fast genauso teuer wie eine Studiendurchführung. Hier stellt sich die Frage, wer die Ressourcen gewinnen sowie vorhalten und die Regularien einhalten kann. Das ist ein Punkt, der diskutiert werden sollte: Wie können die extrem hohen Anforderungen und die Realität vereinbart werden? Hinzu kommt, dass sich die Vergütung der Arzneimittel in Deutschland ändert. Erstmedikamente werden in der Onkologie künftig nicht mehr immer ausreichend vergütet. Das führt dazu, dass einige Substanzen hierzulande nicht zur Verfügung stehen.

Interview: Dr. Miriam Sonnet

Prof. Dr. Hartmut Goldschmidt,
Ärztlicher Leiter der Studiengruppe GMMG, 
Universitätsklinikum Heidelberg
Prof. Dr. Hartmut Goldschmidt, Ärztlicher Leiter der Studiengruppe GMMG, Universitätsklinikum Heidelberg © zVg