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Darm-Haut-Achse Auch an das innere Epithel denken

DDG-Tagung 2023 Autor: Dr. Susanne Gallus

Hautveränderungen können Darmveränderungen häufig vorausgehen. Hautveränderungen können Darmveränderungen häufig vorausgehen. © SciePro – stock.adobe.com
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Geschwollene Lippen oder Mundwinkelrhagaden können auch Anzeichen eines Morbus Crohn sein. Deshalb sollten Dermatologen insbesondere bei Kindern genau hinschauen, nach gastrointestinalen Beschwerden fragen und sich nicht scheuen, bei der Diagnose den Fachkollegen hinzuzuziehen.

Darm und Haut bilden beide immunologisch aktive Grenzflächen zur Umwelt und stehen über die Darm-Haut-Achse in Verbindung. Doch nicht nur das: Spezifische und unspezifische Hautveränderungen können bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen (CED) auftreten. Und manche gastroenterologischen Therapien lassen eine Hauterkrankung exazerbieren. Patienten mit CED haben nachweislich eine höhere Psoriasisprävalenz (10 % bei Morbus Crohn). Grund genug, dass Dermatologen und Gastroenterologen bei der Versorgung näher zusammenrücken, wie Prof. Dr. Philip­ Bufler­ von der Kindergas­t­roenterologie und Prof. Dr. Annika­ Vogt­ von der Kinderdermatologie der Charité – Universitätsmedizin Berlin in einem gemeinsamen Vortrag verdeutlichten.

Die Anzahl der CED nimmt in der westlichen Welt zu – warum genau, ließ sich bisher noch nicht eindeutig belegen. Bei jedem vierten Crohn-Patienten manifestiert sich die Krankheit im Kindes- und Jugendalter, so Prof Bufler. Fast jeder Dritte mit Colitis ulcerosa wird vor dem 20. Lebensjahr diagnostiziert. Pathogenetisch spielen Gene, Umwelt und Mikrobiom eine Rolle. Sie alle tragen zur Dysregulation des Immunsystems bei. Von der genetischen Prädisposition abzugrenzen sind allerdings monogenetische Immundefekte. „Jeder angeborene Immundefekt kann irgendwann im Laufe des Lebens zum Bild einer entzündlichen Darmerkrankung führen“, fügte Prof. Bufler hinzu, „weil die physiologische Balance des Immunsystems gestört ist.“

Die CED manifestieren sich aber nicht nur intestinal. Laut eines französischen Registers weisen 16 % der Patienten mit Morbus Crohn bei Dia­gnose eine kutane Beteiligung auf, eine Gelenkbeteiligung entwickelt im Verlauf mehr als jeder Fünfte.

Zu den extraintestinalen Manifes­tationen bei Crohn gehören:

  • perorale Aphthen
  • Erythema nodosum
  • Cheilitis granulomatosa
  • perianale Veränderungen, Fisteln

Bei der Colitis ulcerosa sind Haut- und Gelenkbeteiligung insgesamt seltener, im Verlauf können sie dennoch bei ca. 8 % bzw. 12 % vorkommen. Assoziiert mit der Colitis ulcerosa scheint zudem das Pyoderma gangraenosum zu sein, berichtete Prof. Bufler. 

Im Gegensatz zum Gastroenterologen kennt ein Dermatologe auch andere Szenarien, fügte Prof. Vogt an: Akutreaktionen, Mangelzustände, Atopie, Virusinfekte oder habituelle Aphthen. Wie lassen sich die Kinder herausfiltern, die CED-bedingte Aphthen haben? Die Differenzialdiagnosen müsse man individuell im Blick haben: „In dem Moment, in dem es sehr substanziell, groß, hartnäckig und rezidivierend ist, gehören die chronisch entzündlichen Darmerkrankungen dazu.“ 

Und wie unterscheiden sich Mundwinkelrhagaden und geschwollene Lippe bei einer Cheilitis granulomatosa von Angioödem, Erysipelas/Herpes simplex recidivans oder einer anderen Makrocheilie? Typisch ist – als Abgrenzung zum Angioödem – die harte gummiartige Konsistenz der Lippe, da das Lippengewebe entzündet und bereits fibrotisch ist. Die Lippenmanifestation kann Teil des Melkersson-Rosenthal-Syndroms (plus Lingua plicata und Fazialisparese) sein, muss aber nicht, „weil es bei Kindern in der Regel monosymptomatische Verläufe sind“, warnte die Expertin.

Wichtig sei die Rolle der Dermatologen, weil die Hautveränderungen den Darmveränderungen häufig vorausgehen können. Man müsse ein Stück weit entscheiden, wie stark man gewichtet, wie man es abklärt und wie engmaschig nachkontrolliert, fasst Prof. Vogt zusammen. Zwar erfolgt beim Dermatologen meist eine Ganzkörperuntersuchung, aber es sei wichtig z.B. auf perianale Beschwerden und die Familienanamnese diesbezüglich zu achten. Denn so etwas werde nicht immer angegeben. 
Natürlich kann man bei einer Cheilitis granulomatosa eine Stanzbiopsie zum Histologen schicken, sagte Prof. Vogt. Allerdings muss die Stelle gut gewählt sein und die Granulome müssen im (Stufen-)Schnitt gefunden werden. „Es kann aber auch sein, dass wir uns durchstufen und sie nicht finden“, gibt sie zu bedenken. Es kann sich dennoch um frühe Veränderungen handeln, weil die Lippe in der Anfangsphase noch nicht mit Granulomen dicht durchsetzt ist.

Deutlich weniger invasiv, hochsensitiv und deshalb gut geeignet ist dagegen die Untersuchung auf Calprotectin im Stuhl, hob Prof. Bufler hervor. Es dient als objektiver Parameter und korreliert mit dem Grad der Schleimhautentzündung. Zudem besitzt es eine gute Trennschärfe gegenüber funktioneller Beschwerden. „Ich kann mich an kein einziges Kind mit einer entzündlichen Darm­erkrankung erinnern, ohne Erhöhung des Calprotectins“, so Prof. Bufler. Er plädierte dafür, jedes Kind mit dem Bild einer Cheilitis diesbezüglich zu untersuchen – dafür muss es noch nicht zum Spezialisten. Sind die Werte erhöht, klärt der Gast­roenterologe den Verdacht per Koloskopie ab. Dann kann die geeignete Therapie eingeleitet werden, durch die oft auch die Hautmanifestationen zurückgehen.

Allerdings ist es nicht immer der Fall und es kann Monate dauern, fügte Prof. Vogt hinzu. Das unterstreiche die Wichtigkeit einer guten Kommunikation der Fachärzte untereinander und jeweils zu den Eltern. „Es hilft, miteinander zu reden und mit der gleichen Stimme zu sprechen, weil auch die Familie wahnsinnig unter Stress steht und manchmal auch das Gefühl hat, vielleicht weiß der Kollege gar nicht so richtig, was mein Kind hat“, so die Kinderdermatologin.

Darüber hinaus können auch gas­t­roenterologische Therapien für Hautveränderungen sorgen. Neben Hautinfektionen v.a. durch die Immunmodulation treten beispielsweise unter TNF-a-Inhibitoren psoriasiforme Hautreaktionen auf – allerdings variiert die Häufigkeit je nach Wirkstoff: Infliximab führt z.B. bei jedem Zweiten zu den Hautveränderungen, wohingegen die Häufigkeit für Golimumab bei 0,5 % liegt – um nur die beiden Extreme zu nennen. Auch Ekzem, Vitiligo und Alopezie können im Verlauf einer TNF-Inhibition auftreten. Ekzeme und Psoriasis wurden allerdings auch schon unter Vedolizumab, einem Integrin-Antagonisten, beobachtet, fügte die Referentin hinzu.
Viele der betroffenen Patienten können ihre systemische CED-Therapie dennoch fortführen und die Hautläsionen topisch behandeln. In ausgeprägten Fällen kann allerdings z.B. eine Umstellung oder eine systemische antipsoriatrische Therapie nötig werden.

Crohn und Colitis

Zwischen beiden CED gibt es einige Unterschiede, z.B. betrifft M. Crohn den gesamten Magen-Darm-Trakt, die Colitis ulcerosa vorwiegend das Kolon – distal beginnend, erläuterte Prof. Bufler. Die Crohn-Entzündung durchzieht die gesamte Organwand, wohingegen bei der Colitis nur die Mukosa entzündet ist, was sich auch in den i.d.R. niedrigeren Entzündungswerten widerspiegelt. Zudem zeige die Colitis ein kontinuierliches Befallsmuster, das des Crohn sei eher segmental. Erschwert wird die Situation allerdings dadurch, dass es mit der Colitis indeterminata eine Zwischenform gibt.