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Magersucht Auf der Suche nach Prädiktoren für den Behandlungserfolg

Autor: Friederike Klein

Prognostische Aussagen zur Anorexie sind oft unzuverlässig. Prognostische Aussagen zur Anorexie sind oft unzuverlässig. © michaelheim – stock.adobe.com
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Nur jedem zweiten Patienten mit Anorexia nervosa gelingt es im Langzeitverlauf, seine Krankheit zu überwinden. Die übrigen haben zum Teil eine schlechte Prognose, einige sterben. Um den individuellen Verlauf besser abschätzen und ggf. die Therapie modifizieren zu können, wären zuverlässige Prädiktoren wünschenswert.

Mehr als 30 Faktoren sind bereits beschrieben worden, die den Ausgang einer Anorexie beeinflussen. Prof. Dr. Ulrich Voderholzer von der Psychoso­matik & Psychotherapie an der Schön Klinik Roseneck in Prien am Chiemsee nannte die folgenden Prädiktoren, die für einen positiven oder negativen Behandlungsverlauf sprechen:

positive Prädiktoren

  • schnelle Symptomänderung zu Beginn der Behandlung
  • wöchentliche Gewichtszunahme
  • Ausmaß der Resilienz
  • Gewicht bei Aufnahme
  • Behandlungsdauer

negative Prädiktoren

  • Körperbildstörung
  • Unzufriedenheit mit dem Körper bei Aufnahme
  • Medikation
  • höheres Alter bei Aufnahme
  • vorherige stationäre Aufenthalte
  • Behandlungsdauer vor Aufnahme

In Prien wertete man von 89 stationär behandelten Anorexiepatienten die 12-Jahres-Katamnesen aus. Danach wurden 49,4 % als frei von einer Essstörung eingestuft. 15,7 % wiesen eine subklinische, 18 % weiterhin eine klinisch manifeste Anorexia nervosa auf. 9 % litten inzwischen unter einer Bulimia nervosa und 7,9 % waren gestorben. Psychotherapeuten sind nicht sehr gut darin, solche Verläufe vorherzusagen, erklärte der Psychiater. Dies zeige eine Studie mit 1.065 anorektischen Patienten, deren 10-Jahres-Prognose die Mitglieder des Behandlungsteams abschätzen sollten. Eine ungünstige Entwicklung prognostizierten sie in etwa zwei Drittel der Fälle korrekt. Einen positiven Langzeitverlauf sahen sie dagegen nur zu 50 % voraus.

Verschärfung durch Corona

Die pandemische Situation ist ein zusätzlicher Risikofaktor für Essstörungen. Sowohl Patienten mit Anorexia als auch diejenigen mit Bulimia nervosa erleben eine Verschlechterung ihrer Symptome, berichtete Prof. Voderholzer. Viele Kliniken und Versorger haben dadurch in den letzten beiden Jahren einen regelrechten Ansturm erlebt. Mit einer Verschlechterung der Essstörung waren verschiedene Faktoren assoziiert:
  • Isolation, Einsamkeit und weniger Kontakte als sonst
  • Fehlende Tagesstruktur, keine gewohnten Abläufe
  • Ängste, Intoleranz von Unsicherheit
Für die Therapie ist es daher laut Prof. Voderholzer wichtig, Tag und Mahlzeiten zu strukturieren sowie Emotionsregulationstechniken zu erlernen. Zudem plädierte der Kollege dafür, E-Mental-Health- und Selbstmanagementprogramme auszuweiten – da hinke Deutschland dem Ausland hinterher.

Früher Therapiebeginn zahlt sich aus

Für den Therapieerfolg ist es laut Prof. Voderholzer zum einen wichtig, früh im Verlauf zu behandeln und dabei den Fokus auf eine schnelle Symptomänderung zu legen. Zum anderen sollte so lange therapiert werden, bis das Körpergewicht des Patienten im normalen Bereich liegt. Anzustreben ist bei Erwachsenen ein BMI > 18,5 kg/m² und bei Jugendlichen ein Wert oberhalb der 25. Altersperzentile. Bestehen Ängste vor dem Erwachsenwerden oder eine allgemeine Ängstlichkeit, sollte auch darauf fokussiert werden. Die große Bedeutung eines frühen Behandlungsbeginns unterstreichen die 12-Monats-Katamnesen von 142 jugendlichen Patienten mit Anorexia nervosa. Diejenigen mit einer Krankheitsdauer von weniger als 24 Monaten zum Zeitpunkt der Klinikaufnahme erreichten im Mittel die 25. BMI-Altersperzentile. In der Gruppe mit einer Erkrankungsdauer von mehr als 24 Monaten vor Beginn der stationären Therapie war dies dagegen nicht der Fall. Auch überschritten diejenigen, die erstmals im Krankenhaus behandelt worden waren, im Mittel die 25. Altersperzentile des BMI. Patienten, die schon eine oder mehrere stationäre Aufenthalte hinter sich hatten, erreichten dagegen diese Marke nach einem Jahr nicht und sie verbesserten sich nach der Entlassung aus der Klinik auch nicht mehr. Die Dauer der unbehandelten Erkrankung durch früheres Erkennen und Behandeln der Anorexie zu verkürzen, ist laut Prof. Voderholzer eines der wichtigsten Ziele, um chronifizierende Verläufe zu verhindern.

Quelle: DGPPN* Kongress 2021

* Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde