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Primärer Immundefekt Basisdiagnostik beim Hausarzt, alles Weitere beim Spezialisten

Autor: Dr. Andrea Wülker

Basisuntersuchungen decken 50–60 % der primären Defekte auf. Basisuntersuchungen decken 50–60 % der primären Defekte auf. © iStock/peterschreiber.media
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Immer wieder schwere, komplizierte und lang andauernde Infekte bei Kindern: Das kann auf eine pathologische Infektanfälligkeit bzw. eine gestörte Immunregulation hinweisen. Unter den Akronymen ELVIS und GARFIELD werden die klinischen Zeichen subsummiert.

Bis zu sieben leichte Infektionen jährlich werden bei Kleinkindern als physiologisch angesehen, schreibt Prof. Dr. Almut Meyer-Bahlburg vom Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin der Universität Greifswald. Die physiologische Infektanfälligkeit lässt sich besonders häufig beim Eintritt in die Kita beobachten. Viele Kinder sind dann im ersten Herbst und Winter pausenlos erkältet und die Eltern alarmiert. Sie befürchten, dass der Nachwuchs an einer Immunschwäche leidet.

Für eine pathologische Infektanfälligkeit gibt es einige Indizien. Diese werden unter dem Akronym ELVIS zusammengefasst:

  • Erreger: ungewöhnlich oder opportunistisch, z.B. Pneumonie durch Pneumocystis jirovecii oder Aspergillus, Cryptosporidien-Darminfektion, Candida-Sepsis
  • Lokalisation: Manifestation an ungewöhnlicher Stelle (z.B. Leberabszess) oder an mehreren Stellen gleichzeitig
  • Verlauf: z.B. protrahiert oder rezidivierend, schlechtes Ansprechen auf (indizierte) antibiotische Therapie
  • Intensität: ungewöhnlich
  • Summe der Infektionen: zwei oder mehr Majorinfektionen (z.B. bakterielle Pneumonie, Meningitis, Sepsis) oder mindestens acht Minorinfektionen (u.a. Otitis media, Infekte der oberen Atemwege) pro Jahr

Primär oder sekundär?

Primäre Immundefekte (PID) sind selten und werden häufig monogenetisch vererbt. Sie können praktisch jede Komponente des Immunsystems betreffen und die körpereigene Abwehr beeinträchtigen. Bis jetzt sind über 300 Mutationen bekannt, die einen PID verursachen.
Sekundäre Immundefekte beobachtet man nach einer Reihe von Erkrankungen, beispielsweise nach Virusinfektionen (HIV, EBV, Masern) oder einer Tuberkulose. Auch im Rahmen chronischer Erkrankungen können sie sich entwickeln, z.B. bei Mukoviszidose, Zöliakie oder Diabetes.

Nicht alle Immundefekte gehen mit vermehrten Infekten einher. Manche machen sich durch eine Dysregulation bemerkbar. Unter dem Akronym GARFIELD werden folgende Hinweise auf eine gestörte Immunregulation subsumiert:

  • Granulome
  • Autoimmunität
  • Rezidivierendes FIeber
  • Ekzematöse Hauterkrankungen
  • Lymphoproliferation
  • chronische Darmentzündung

Die meisten der GARFIELD-Symptome sind schwerwiegend. Daher sollte das Kind bei vermutetem primären Immundefekt für die weitere Diagnostik an einen Spezialisten überwiesen werden.

Warnzeichen für primäre Immundefekte bei Kindern und Erwachsenen

Kinder

Erwachsene

Familienanamnese für angeborene Immundefekte positiv

primärer Immundefekt in der Familie

mindestens acht eitrige Otitiden oder zwei Sinusitiden jährlich

mindestens vier antibiotikapflichtige Infektionen innerhalb eines Jahres

zwei oder mehr Pneumonien innerhalb eines Jahres

mehr als zwei schwere bakterielle Infektionen

indizierte Antibiose bleibt über zwei Monate oder länger ohne Wirkung

mindestens zwei radiologisch nachgewiesene Pneumonien innerhalb von drei Jahren

Impfkomplikationen bei Lebendvakzinen

Infektionen, die rezidivieren oder einer verlängerten Antibiotikatherapie bedürfen

rezidivierende oder systemische Infektionen mit atypischen Mykobakterien

Infektion mit ungewöhnlicher Lokalisation oder ungewöhnlichem Erreger

rezidivierende tiefe Haut- oder Organabszesse

 

zwei oder mehr viszerale Infektionen (Meningitis, Sepsis, Osteomyelitis)

 

mukokutane persistierende Candida- Infektionen nach dem 1. Lebensjahr

 

unklare Erytheme/Erythrodermie bei Neugeborenen und Säuglingen

 

Wie geht man nun bei einem Patienten mit Verdacht auf einen primären Immundefekt (PID) am besten vor? Erster diagnostischer Schritt ist die sorgfältige Anamnese: Welche Warnzeichen für einen PID liegen vor? Treffen ELVIS- oder GARFIELD-Kriterien zu? Wie spricht der Patient auf Antibiotika an? Gibt es Immundefekte oder ungeklärte Todesfälle in der Familie? Auch nach Durchfällen, Gedeihstörungen und Impfkomplikationen sollte gefragt werden.

Was Laboruntersuchungen in der Hausarzt- bzw. Kinderarztpraxis angeht, empfiehlt Prof. Meyer-Bahlburg, sich an der Leitlinie zu orientieren. Sinnvoll sind Differenzialblutbild sowie die Bestimmung der Immunglobuline IgG, IgA, IgM und IgE. Dabei müssen sowohl beim Differenzialblutbild als auch bei den Immunglobulinen die altersabhängigen Normwerte beachtet werden, erinnert Prof. Meyer-Bahlburg.

Die Basisuntersuchungen liefern bei einem Großteil der Patienten mit PID-Verdacht Hinweise auf die Erkrankung. Mit ihnen lassen sich etwa 50–60 % der primären Immundefekte aufdecken. Allerdings schließen normale Laborwerte manche PID nicht aus, mahnt die Kollegin.Dies sei zum Beispiel bei der septische Granulomatose der Fall.

Besteht trotz der unauffälligen Befunde weiterhin der klinische Verdacht auf einen primären Immundefekt, muss der betroffene Patient an einen in der Spezialdiagnostik versierten Kollegen überwiesen werden. Natürlich sollte dieser auch bei pathologischen Laborwerten hinzugezogen werden. Er übernimmt die nachfolgenden Abklärungsschritte – u.a. Bestimmung der Impfantikörper, Lymphozytenphänotypisierung, weitere Spezialtests – und unterstützt bei der Behandlung des Patienten.

Quelle: Meyer-Bahlburg A. Internistische Praxis 2022; 66: 54-64