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Orthostatische Hypotonie Bei Blutdruckabfall im Stehen auch an ein paraneoplastisches Syndrom denken

Autor: Dr. Anne Benckendorff

Die Ursache einer orthostatischen Hypotonie kann nicht-neurogenoder neurogen sein, erinnern die Autoren. Die Ursache einer orthostatischen Hypotonie kann nicht-neurogenoder neurogen sein, erinnern die Autoren. © Krakenimages.com – stock.adobe.com
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Eine orthostatische Hypotonie ist gerade bei älteren Menschen häufig. Wenn sie akut auftritt und sich unter der üblichen Medikation nicht bessert, sollte ein paraneoplastisches Syndrom als Ursache in Erwägung gezogen werden.

Dass hinter einer Hypotonie im Alter durchaus eine seltene Ursache stecken kann, demonstrieren Dr. ­Bharati Dev vom New York Institute of Technology College of Osteo­pathic Medicine und Kollegen, Old Westbury, anhand einer eindrucksvollen Kasuistik. In ihrem Krankenhaus hatte sich ein 78-jähriger Patient hauptsächlich wegen Schwindel vorgestellt; zudem gab er an, in der letzten Zeit etwa 15 kg Gewicht verloren zu haben. Anamnes­tisch fanden sich zahlreiche weitere Diagnosen, darunter Bluthochdruck, Dyslipidämie, KHK, fortgeschrittenes Emphysem und Reflux sowie ein Myokardinfarkt, Pneumothorax und ein bekannter Blasenkrebs. Der Patient war ehemaliger Raucher (20 Packungsjahre).

Körperliche Untersuchung, Labor und Bildgebung ergaben eine Pneumonie sowie einen Infekt des Urogenitaltrakts. Der Patient wurde stationär aufgenommen und mit Azithromycin und Cefuroxim behandelt. Allerdings verschlechterte sich der Schwindel im Verlauf weiter und trat nun bereits beim Aufsetzen und nicht nur beim Aufstehen zutage. Darüber hinaus berichtete der Patient, dass sein Mund immer trockener werde und er sich immer abgeschlagener fühle. Ein Cushing-Syndrom sowie andere mögliche Ursachen einer sekundären orthostatischen Hypotonie konnten die Kollegen ausschließen.

Probleme durch vom Tumor produzierte Substanzen

Nachdem Volumengaben sowie Therapien mit Midodrin und Fludrocortison erfolglos geblieben waren, stand die Diagnose paraneoplastisches Syndrom im Raum. Als paraneoplastische Syndrome werden Symptome bezeichnet, die in Zusammenhang mit einer Tumor­erkrankung auftreten, aber nicht lokal durch einen Tumor oder dessen Metastasen verursacht sind. Vielmehr entstehen sie durch vom Tumor produzierte Substanzen oder durch gegen ihn gerichtete (Auto-)Antikörper, die mit Antigenen in gesundem Gewebe kreuzreagieren können. Zu den häufigen Beschwerden gehören der Verlust von Muskeltonus, Koordinationsstörungen, trockene Augen und trockener Mund, Schluckbeschwerden sowie Schwitzen.

Um die Möglichkeit einer bislang unerkannten malignen Erkrankung abzuklären, veranlassten die Ärzte ein paraneoplastisches Antikörper-Panel. Inzwischen wurde der Patient auf eigenen Wunsch nach Hause entlassen und dort palliativ betreut. Einige Wochen später traf das Ergebnis des Panels ein: Bei dem Patienten wurden Autoantikörper gegen einen Kalziumkanal vom P/Q-Typ nachgewiesen. Neben diesen Autoantikörpern sind bei neurologischen oder autonomen paraneoplastischen Syndromen oft die Autoantikörper gegen das Hu-Protein, Nervenzell­oberfläche oder synaptische Proteine positiv.

Die Ursache einer orthostatischen Hypotonie kann nicht-neurogen (z.B. Medikamentennebenwirkun­gen, Volumendepletion) oder neurogen (z.B. Dysfunktion des auto­nomen Nervensystems oder des Baro­reflexes) sein, erinnern die Autoren. Angesichts erfolgloser gängiger Therapien und des nachgewiesenen erhöhten Autoanti­körpertiters gehen sie davon aus, dass die Beschwerden ihres Patienten durch eine para­neoplastische autonome Neuropathie verursacht wurden. Aufgrund der Raucherhis­torie könnte möglicherweise ein kleinzelliges Bronchialkarzinom im Frühstadium vorgelegen haben, so die Vermutung der Autoren, zumal diese Malignome dafür bekannt sind, häufig paraneoplastische Syndrome zu verursachen.

Die Abklärung eines paraneoplastischen Syndroms ist ihnen zufolge auch deshalb wichtig, weil sie zur Diagnose einer noch nicht bekannten Tumorerkrankung führen kann. Zudem kann die Klärung der Ursache wichtige Hinweise auf mögliche weitere Therapieansätze liefern. In dem geschilderten Fall hatte der Nachweis der Antikörper keine Konsequenzen: Der Patient lehnte eine Tumorsuche ab.

Quelle: Dev B et al. EMJ Neurol 2023; DOI: 10.33590/emjneurol/10307775