Hochintensives Intervalltraining Bessere Antenne für den Unterzucker

Autor: Dr. med. Judith Lorenz

Hochintensives Intervalltraining kann z. B. auf dem Fahrradergometer durchgeführt werden. Hochintensives Intervalltraining kann z. B. auf dem Fahrradergometer durchgeführt werden. © Kzenon – stock.adobe.com

Etwa ein Viertel der Menschen mit Typ-1-Diabetes hat eine Hypoglykämiewahrnehmungsstörung (engl. impaired awareness of hypoglycemia, IAH) und verspürt bei sinkenden Glukosewerten keinerlei Symptome. Diese Menschen profitieren möglicherweise von einem hochintensiven Intervalltraining.

Bei Menschen mit Typ-1-Diabetes, die wiederholt Unterzuckerungen ausgesetzt sind, bleiben mit der Zeit die typischen Symptome einer Hypoglykämie aus, womit die Gefahr schwerer Hypoglykämien steigt, erklärte Dr. Catriona Farrell von der Abteilung für Systems Medicine an der Universität Dundee (Schottland).

Lässt sich der Habituationseffekt wieder aufheben?

Diesem Phänomen liegt vermutlich ein Gewöhnungseffekt (Habituation) zugrunde, erläutert die Forscherin: Sowohl die hormonelle als auch die symptomatische Antwort auf einen starken Blutzuckerabfall ist nach einem vorangegangenen Hypoglykämie-Ereignis supprimiert. Nur durch eine konsequente Vermeidung von Unterzuckerphasen können die Gegenregulation und die Hypoglykämiewahrnehmung wiederhergestellt werden.

Dr. Farrell und weitere Forschende fanden nun heraus, dass vermutlich auch hochintensives Intervalltraining (HIIT, siehe Kasten) den Habituationseffekt aufheben kann. Nach ermutigenden Ergebnissen bei einer einmaligen intensiven Sportbelastung von 20 Minuten prüfte das Wissenschaftlerteam im Rahmen einer longitudinalen Pilotstudie, ob es sich hierbei nur um einen vorübergehenden Effekt handelt oder ob der Stimulus auch bei regelmäßigem Training seine Wirksamkeit behält. An der randomisierten HIT4HYPOS-Studie nahmen 18 schottische Menschen im Alter zwischen 20 und 54 Jahren teil, die seit durchschnittlich 27 Jahren mit einem Typ-1-Diabetes lebten, einen HbA1c-Wert von median 7,3 % aufwiesen und nachweislich eine „impaired awareness of hypoglycemia” (IAH) hatten.

Effektiver trainieren durch wechselnde Belastung

Hinter dem hochintensiven Intervalltraining (HIIT) steckt die Idee, dass ein Training effektiver ist, wenn es nicht in einem konstanten Belastungsbereich stattfindet, sondern zwischen starker Anstrengung bei 85 bis 90 % der maximalen Herzfrequenz und Erholungsphasen wechselt. 

Beim Laufen, Radfahren oder Schwimmen etwa kombiniert man also kurze Sprints mit Gehen, langsamem Radeln bzw. ruhigem Schwimmen. Die Phasen mit niedriger Belastungsintensität sind dabei bis zu viermal länger als die Phasen mit hoher Belastungsintensität.

Alle erhielten zunächst einen Glukosesensor mit Echtzeitmessung. Nach einer vierwöchigen Einlaufphase mit Optimierung der glykämischen Kontrolle absolvierte die Hälfte in den folgenden vier Wochen zusätzlich dreimal pro Woche ein je 20 Minuten dauerndes Hochintensitäts-Intervalltraining auf einem Fahrradergometer. Vor sowie nach dieser Interventionsphase induzierten die Forscher*innen bei allen Studienteilnehmenden experimentell (mithilfe der hyperinsulinämischen-hypoglykämischen Clamp-Technik) eine Hypoglykämie. Über einen Zeitraum von 90 Minuten bestimmten sie dabei mehrfach den Spiegel von Insulin und der hormonellen Gegenspieler Adrenalin, Noradrenalin und Glukagon. Zusätzlich erfassten sie regelmäßig Hypoglykämiesymptome und objektivierten mithilfe psychometrischer Tests die kognitive Funktion der Teilnehmenden während des Versuchs.

Signifikanter Unterschied bei der Katecholaminantwort

Bezüglich der durchschnittlichen Anzahl der Hypoglykämie-Episoden während der vierwöchigen Interventionsphase unterschieden sich die beiden Studienkollektive nicht wesentlich. Gleiches galt für die durchschnittlichen Zuckerspiegel und den Glukosemanagement-Indikator. Die Auswertung der experimentell induzierten Hypoglykämien ergab: Sowohl die Plasma-Insulin- als auch die Plasma-Glukosespiegel waren – sowohl vor als auch nach der Interventionsphase – in beiden Studiengruppen ähnlich.

Bezüglich der Katecholaminantwort zeigte sich dagegen ein signifikanter Unterschied zugunsten derjenigen in der Sportgruppe: Sie wiesen sowohl im Vergleich zu ihren Basiswerten als auch im Vergleich zur Kontrollgruppe eine stärkere Noradrenalin- und Glukagonausschüttung während der durch Insulin induzierten Hypoglykämie auf. Im Hinblick auf die Adrenalinantwort hatten sie dagegen keinen wesentlichen Vorteil. Weiterhin profitierten die Personen der Sportgruppe im Hinblick auf die durch Hypoglykämie induzierte Antwort des autonomen Nervensystems von dem Intervalltraining.

Hochintensives Intervalltraining, so das Fazit der Wissenschaftler*innen, stellt für Menschen mit Typ-1-Diabetes sogar bei hohem Hypoglykämierisiko nicht nur eine sichere Sportoption dar: Entsprechende regelmäßige Belastungen schärfen zudem die Hypoglykämiewahrnehmung und stärken – zumindest über einen Zeitraum von vier Wochen – die hormonelle Gegenregulation durch Glukagon, die sonst bei den meisten Menschen mit Typ-1-Diabetes nach mehrjähriger Diabetesdauer nicht mehr stattfindet. Sollten sich diese Beobachtungen in länger angelegten Studien bestätigen, steht zukünftig möglicherweise für Menschen mit Typ-1-Diabetes und IAH eine wirksame Behandlungsstrategie zur Verfügung.

Literatur:
Farrell CM et al. Diabetologia 2024; 67: 392-402. doi: 10.1007/s00125-023-06051-x