Anzeige

Insulintherapie CGM-Systeme und Boluskalkulatoren: eine gute Kombination

diatec journal Autor: Prof. Dr. Lutz Heinemann, Dr. Andreas Thomas

Durch die Zusammenführung von CGM-Systemen mit Boluskalkulatoren kann die Insulintherapie optimiert und sicherer gestaltet werden. Durch die Zusammenführung von CGM-Systemen mit Boluskalkulatoren kann die Insulintherapie optimiert und sicherer gestaltet werden. © fotomek – stock.adobe.com
Anzeige

Um die Glukosekontrolle von insulinpflichtigen Patienten mit Diabetes sowie deren Therapie-Sicherheit zu verbessern, kann die Zusammenführung von CGM-Systemen mit einem Boluskalkulator eine hilfreiche Unterstützung darstellen – insbesondere solange noch keine Full-AID-Systeme mit automatischer Abdeckung des prandialen Insulinbedarfs zur Verfügung stehen. Wie diese Kombination funktioniert und welche Ansätze es gibt, beschreiben Professor Dr. Lutz Heinemann und Dr. Andreas Thomas. 

Die Verfügbarkeit von zuverlässigen Systemen zum kontinuierlichen Glukose­monitoring (CGM) ermöglicht nicht nur die ständige Überwachung des Glukoseverlaufs während des Tages, sondern liefert auch Informationen für die Wahl einer geeigneten prandialen Insulindosis. Dies gilt sowohl für eine intensivierte konventionelle ­Insulintherapie (ICT), bei der die Patienten mit Diabetes selbst ihre Insulindosis für die Abdeckung des basalen und prandialen Insulinbedarfs festlegen als auch für den Einsatz von Systemen zur Automatischen Insulin-Dosierung (AID).

Die aktuell verfügbaren (Advanced-)Hybrid-AID-Systeme decken den basalen Insulinbedarf ab und korrigieren ggf. vorliegende zu hohe Glukosewerte durch die Gabe von Korrekturboli. Die nächste Generation von AID-Systemen (Full-AID-Systeme) soll auch den prandialen Insulinbedarf automatisch abdecken. Solange diese noch nicht zur Verfügung stehen, macht der Einsatz von Boluskalkulatoren noch Sinn, insbesondere bei Hybrid-AID-Systemen. Aber auch bei Advanced-Hybrid-AID-Systemen kann der Korrekturbolus nicht in jedem Fall erhöhte Glukosewerte abdecken, wenn die Gabe des Bolusinsulins zu den Mahlzeiten nicht adäquat war. Im Gegensatz dazu ist der Boluskalkulator bei Full-AID-Systemen im Prinzip Bestandteil des Algorithmus.

Boluskalkulatoren: hilfreiche Unterstützung

Sowohl bei einer ICT als auch bei einer Insulintherapie, die zu einem erheblichen Teil durch ein Hybrid-AID-System erfolgt, können Boluskalkulatoren die Patienten mit Diabetes bei der Festlegung der prandialen Insulindosis unterstützen. Eine wesentliche Funktion der Boluskalkulatoren ist die Vermeidung von Hypoglykämien durch Überlappung der Wirkung des Essensbolus mit noch im Körper befindlichem aktivem Insulin von vorangegangenen Insulingaben. Boluskalkulatoren nutzen Algorithmen, die basierend auf der Abschätzung des Kohlenhydratgehaltes der aktuellen Mahlzeit (manuelle Eingabe durch den Nutzer), des Messwertes der prä­prandialen Glukosekonzentration und des noch im Organismus befindlichen aktiven Insulins einen Insulindosisvorschlag berechnen. Um zu ermitteln, um wieviel die Glukosekonzentration durch eine Einheit Insulin gesenkt wird, sollte die Tageszeit sowie die Insulinsensitivität – abgeschätzt über den Kohlenhydrat-Insulinfaktor – mit in die Berechnung eingehen. Dabei soll die subkutane Applikation dieser Insulindosis vor der Mahlzeit dazu führen, dass die Glykämie eine gewisse Zeit nach der Mahlzeit in einem vordefinierten Wertekorridor liegt bzw. einen Glukosewert möglichst gut trifft. 

Systemintegriert oder als App

Boluskalkulatoren können entweder direkt in das jeweilige Gerät (Blutglukosemesssystem, CGM-System, Insulinpumpe, AID-System) integriert sein oder werden als eigenständige App auf einem Smartphone genutzt. Da der Boluskalkulator auch die letzten prandialen Insulindosen kennt (bzw. bei Insulinpumpen alle Insulingaben), kann er die noch vorhandene Insulinwirkung berücksichtigen und somit die Dosis geeignet reduzieren. Abhängig von der verwendeten Dosis kann die Insulinwirkung länger andauern, als der Abstand zwischen zwei Mahlzeiten beträgt. Die Wirkung der aktuellen Insulingabe addiert sich dann zu der noch vorhandenen Restwirkung dazu, was zu postprandialen Hypoglykämien führen kann. Daher verwendet der Boluskalkulator-Algorithmus prinzipiell folgende Struktur: Bolus entsprechend der Kohlenhydratmenge abzüglich des noch wirksamen Insulins

Das noch wirksame Insulin ist das gesamte noch verfügbare Insulin, egal aus welchem Grunde dieses gegeben wurde (Essensbolus, Korrekturbolus, auch basales Insulin). Dabei verwenden die verschiedenen Boluskalkulatoren zwar unterschiedliche Algorithmen für die Berechnung (auch aufgrund von Patentansprüchen), die im Endeffekt gegebenen Empfehlungen sind jedoch ähnlich. Hinzu kommen noch die Korrekturboli.

Bei AID-Systemen ist die Relevanz der Mahlzeitenboli geringer, weil diese Systeme bei inadäquat hohen Boli automatisch weniger Insulin in der Zeit danach abgeben (adaptive basale Gabe) und damit überlappende (aktuell manuelle) Mahlzeitenboli weitestgehend kompensieren können. Diese Anpassung der basalen Insulinzufuhr an den aktuellen Bedarf gibt es bei einer „klassischen“ Insulinapplikation (ICT, CSII) nicht, da ist eine einmal gegebene Insulindosis im Körper wirksam. 

Boluskalkulatoren und CGM-Systeme

Bisher haben die Nutzer den Boluskalkulatoren üblicherweise den Glukosewert übermittelt, der durch eine konventionelle Plasmaglukosemessung in einer kapillären Blutprobe ermittelt wurde. Durch den Einsatz von CGM-Systemen stehen nicht nur wesentlich mehr – quasi nahezu lückenlos – Glukosewerte aus der Zeit vor der Mahlzeit zur Verfügung, diese geben damit auch eindeutig Auskunft zum Glukose­trend (fallend, konstant, steigend). Die Annahme ist, dass dieses Mehr an Informationen zu einer qualifizierteren Festlegung der prandialen Insulindosis genutzt werden kann. 
Durch Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) kann per Analyse des postprandialen Glukoseverlaufs evaluiert werden, ob die gewählte Insulindosis adäquat war oder nicht. Dabei stellt sich die Frage, was unter KI zu verstehen ist. Vielfach sind dies einfache Algorithmen die aus CGM-Kurven gewisse Parameter berechnen. Im Sinne einer Individualisierung der AID-Systeme, die lernen, wie ihr Nutzer (bzw. dessen Glukoseverlauf) auf verschiedene Faktoren reagiert, sollte eine Optimierung der (prandialen) Glukosekontrolle in Zukunft möglich sein. 

Da die Vorteile dieser Kombination offensichtlich sind, ist es nicht verwunderlich, dass es diverse Patente zur Nutzung von CGM bei Boluskalkulatoren gibt. Damit sollte es möglich sein, ein ernsthaftes diabetologisches Problem zu adressieren. Es gibt aber bisher eher wenige Publikationen, in denen dies konkret untersucht wird. In fünf durchgeführten und veröffentlichten Studien [1–5] wird folgender Ansatz beschrieben: Bei einem ­„Advanced Bolus Calculator for Diabetes (ABC4D)“ wird ein CGM-System in Kombination mit KI verwendet. Der hierbei eingesetzte Algorithmus wurde in einer App implementiert. Der Nutzer muss Informationen zur Mahlzeit und Sport manuell eingeben, damit der Algorithmus geeignete Berechnungen durchführen kann. Dabei berücksichtigt dieser frühere Berechnungen und das Verhalten des Nutzers.

Smarte Boluskalkulatoren

Ein anderer Ansatz ist ein „Smart Bolus Calculator“ (Smart-BC), bei dem versucht wird, den recht stark wechselnden Insulinbedarf der Diabetes-patienten (als Antwort auf Schwankungen bei der Insulinsensitivität) zu berücksichtigen. Der Boluskalkulator passt die Insulindosis automatisch an die aktuelle individuelle Insulinsensitivität an. In einer Studie nahmen 15 Patienten mit Typ-1-Diabetes an zwei Versuchstagen (je 24 Stunden) teil, die ein CGM-System und eine Insulinpumpe verwendeten [6]. An den Nachmittagen erhielten sie nach einer 45 Minuten andauernden körperlichen Belastung ein standardisiertes Abendessen. Der verwendete Bolus wurde entweder von einem Standard-Boluskalkulator berechnet oder von einem Smart-BC. Dann wurde der Glukoseverlauf in den vier Stunden danach verglichen: Bei Dosisfestlegung durch den Boluskalkulator mit CGM-Anbindung wurde eine Reduktion der postprandialen Hypoglyk­ämie beobachtet, ohne eine Zunahme von Hyperglykämien in dieser Zeit.

In einer aktuelleren Publikation [7] werden die Ergebnisse einer klinischen Evaluierung eines Boluskalkulatoren beschrieben, der mit einem CGM-System kombiniert ist (CIBC), um eine automatische Insulindosisanpassung zu erreichen. In der multizentrischen Studie wurden Patienten mit Typ-1-­Diabetes im Alter von 6–70 Jahren eingeschlossen. Diese verwendeten ein AID-System (Omnipod 5) – zunächst für sieben Tage im manuellen Modus ohne Anbindung an ein CGM-System und mit einem konventionellen Boluskalkulator, dann über sieben Tage mit einer solchen Anbindung. Bei den 25 Studienteilnehmern wurden signifikant weniger niedrige Glukosewerte (<70 mg/dl) im Zeitraum von 4 Stunden nach der Bolusgabe beobachtet (2,1 vs. 2,8 Prozent, p=0,03), während es keine Unterschiede bei erhöhten Werten (>180 mg/dl) und Werten im Zielbereich (70–180 mg/dl) gab. Dieser Effekt ist ein gemischter, d.h., hier wirkt das AID-System gepaart mit dem Boluskalkulator. 

Zusammenfassung und Ausblick 

Bei der Insulinzufuhr im Rahmen einer intensivierten konventionellen ­Insulintherapie oder einer Insulinpumpentherapie stellt die Zusammenführung von Boluskalkulatoren mit einem CGM-System aufgrund der besseren Datenbasis eine gute Kombination dar. Diese Kombination ist somit ein wichtiger nächster Schritt zur Optimierung der Glukose­kontrolle von Patienten mit Diabetes. Dadurch wird auch die Sicherheit der Nutzer verbessert, da das Risiko von akuten Entgleisungen reduziert wird. Dies kann als klarer medizinischer Bedarf betrachtet werden, welcher für die Entwicklung von entsprechenden Produkten notwendig ist.

Referenzen

  1. Pesl P, Herrero P, Reddy M, Oliver N, Johnston DG, Toumazou C et al. Case-Based Reasoning for Insulin Bolus Advice. J Diabetes Sci Technol. 2017; 11 (1): 37-42. Epub 20160709; doi: 10.1177/1932296816629986. PubMed PMID: 26862136; PubMed Central PMCID: PMCPMC5375057
  2. Herrero P, Pesl P, Bondia J, Reddy M, Oliver N, Georgiou P et al. Method for automatic adjustment of an insulin bolus calculator: in silico robustness evaluation under intra-day variability. Comput Methods Programs Biomed. 2015; 119 (1): 1-8. Epub 20150216; doi: 10.1016/j.cmpb.2015.02.003. PubMed PMID: 25733405
  3. Herrero P, Pesl P, Reddy M, Oliver N, Georgiou P, Toumazou C. Advanced Insulin Bolus Advisor Based on Run-To-Run Control and Case-Based Reasoning. IEEE J Biomed Health Inform. 2015; 19 (3): 1087-1096; doi: 10.1109/JBHI.2014.2331896. PubMed PMID: 24956470
  4. Pesl P, Herrero P, Reddy M, Xenou M, Oliver N, Johnston D et al. An Advanced Bolus Calculator for Type 1 Diabetes: System Architecture and Usability Results. IEEE J Biomed Health Inform. 2016; 20 (1): 11-17; doi: 10.1109/JBHI.2015.2464088
  5. Reddy M, Pesl P, Xenou M, Toumazou C, Johnston D, Georgiou P et al. Clinical Safety and Feasibility of the Advanced Bolus Calculator for Type 1 Diabetes Based on Case-Based Reasoning: A 6-Week Nonrandomized Single-Arm Pilot Study. Diabetes Technol Ther. 2016; 18 (8): 487-493; doi: 10.1089/dia.2015.0413
  6. Fabris C, Nass RM, Pinnata J, Carr KA, Koravi CLK, Barnett CL et al. The Use of a Smart Bolus Calculator Informed by Real-time Insulin Sensitivity Assessments Reduces Postprandial Hypoglycemia Following an Aerobic Exercise Session in Individuals With Type 1 Diabetes. Diabetes Care. 2020; 43 (4): 799-805. Epub 20200306; doi: 10.2337/dc19-1675. PubMed PMID: 32144167
  7. Pinsker JE, Church MM, Brown SA, Voelmle MK, Bode BW, Narron B et al. Clinical Evaluation of a Novel CGM-Informed Bolus Calculator with Automatic Glucose Trend Adjustment. Diabetes Technol Ther. 2022; 24 (1): 18-25. Epub 20210903; doi: 10.1089/dia.2021.0140. PubMed PMID: 34491825; PubMed Central PMCID: PMCPMC8783627