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Corona: „Wir können nicht so weitermachen wie bisher“

Autor: Kathrin Strobel

Sollte die Corona-Pandemie so weitergehen, droht eine medizinische Unterversorgung. Sollte die Corona-Pandemie so weitergehen, droht eine medizinische Unterversorgung. © iStock/jmsilva
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SARS-CoV-2 vermehrt sich in bestimmten Zellen der Nieren sehr gut. Wer ohnehin nierenkrank ist, benötigt deshalb besonderen Schutz. Durch COVID-19 ist die Versorgung dieser Patienten gefährdet, mahnen Experten – und fordern entsprechende Maßnahmen.

Die Mehrheit der Patienten, die aufgrund von COVID-19 hospitalisiert sind, hat nephrologische Auffälligkeiten, erklärte Professor Dr. Jürgen­ Floege­ von der Uniklinik der RWTH Aachen. Er sprach von einer „auffälligen Liebe des Virus für die Niere“. Sie betreffe auch Personen, die vor der Infektion nierengesund waren. Für die Prognose bedeutet das nichts Gutes: Das Auftreten von Nierenschäden ist mit einem deutlich schlechteren Outcome assoziiert. Zudem weisen COVID-19-Patienten häufig erhebliche Eiweißverluste auf, wodurch das Risiko für Gerinnungsstörungen und damit für thromboembolische Ereignisse steigt.

Wer bereits vor Kontakt mit SARS-CoV-2 nierenkrank ist, gilt als besonders gefährdet für eine Infektion und anfällig für schwere Verläufe der Erkrankung. In der Extremform sind das jene Dialysepatienten, die dreimal die Woche per Taxi oder Krankentransport in die Praxis kommen müssen und dort Kontakt zu Arzt und Pflegepersonal haben, erklärte der Kollege. Häufig leben sie in Pflegeeinrichtungen – ein zusätzliches Risiko.

Dialysepflichtige Menschen sind „eine Gruppe, auf die wir im höchsten Maße aufpassen müssen“, warnte der Experte. Entsprechende Maßnahmen umfassen beispielsweise, sie vorübergehend nicht per Sammeltransport zur Dialyse zu bringen und, sofern möglich, separate Dialyseeinheiten für SARS-CoV-2-Infizierte anzubieten.

Zu den rund 100 000 Dialysepatienten in Deutschland kommen Millionen von Menschen hinzu, die eine stark eingeschränkte Nierenfunktion aufweisen, sowie Millionen von Patienten unter Immunsuppressiva. Bisher habe deren Versorgung hierzulande trotz der Pandemie aber ganz gut geklappt. Nur vereinzelt kam es zu Ausbrüchen.

„Allerdings können wir nicht so weitermachen, wie wir bisher agieren“, warnte Prof. Floege. Momentan sitzen in den Notaufnahmen nur noch eine Handvoll Menschen, die Patienten gehen von sich aus nicht ins Krankenhaus oder in die Praxis – aus Angst vor Infektionen. Sollte dies so weitergehen, droht eine Unterversorgung, mahnte auch Professor Dr. Christoph­ Sarrazin­ vom St. Josefs-Hospital und Leberzentrum Wiesbaden, der dasselbe Phänomen bei Patienten mit behandlungsbedürftigen gastroenterologischen und hepatologischen Erkrankungen beobachtet. Sogar die Zahl der Herzinfarktpatienten sei in den letzten Wochen deutlich zurückgegangen, berichtete Professor Dr. Sebastian­ Schellong­ vom Städtischen Klinikum Dresden – und zwar in einer Größenordnung von 20–30 %.

Transplantation: Mindest­mengenregelung pausieren!

Geplante Transplantationen von Organen von Lebendspendern sollen derzeit nicht durchgeführt werden – dazu besteht ein breiter Konsens, erklärte Prof. Floege. Das kann auf Dauer aber problematisch werden. Denn in Deutschland gilt die sogenannte Mindestmengenregelung, d.h. Transplantationszentren müssen jährlich eine festgelegte Mindestzahl an Transplantationen durchführen. Erfüllen sie diese Vorgabe nicht, besteht die Gefahr, dass im Folgejahr vorgenommene Eingriffe nicht mehr vergütet werden und das Zentrum geschlossen werden muss. Für die Nierentransplantation beträgt die Mindestzahl 25. Laut Prof. Floege kommen etwa 30 % der deutschen Zentren immer mal wieder in die Nähe dieser Grenze. Seit Ende März gilt vonseiten des G-BA zwar, dass der Krankenhausträger „weitere Umstände zur Begründung der berechtigten mengenmäßigen Erwartung heranziehen“ kann. Doch diese „wachsweiche Kann-Empfehlung“ reicht laut Prof. Floege nicht aus. Er fordert dringend, die Mindestmengenregelung bis auf Weiteres auszusetzen. „Sonst geht das Ganze nach hinten los.“

Dass Patienten trotz eindeutiger Beschwerden nicht zum Arzt gingen, sei ein großes Problem. Daher müsse man nun versuchen, die Krankenhäuser wieder zu öffnen, damit die Patienten, die auf regelmäßige ärztliche Betreuung angewiesen sind, diese auch erhalten, betonte Prof. Floege. Ein wichtiges Hilfsmittel hierfür sind Serumtests, mit denen sich feststellen lässt, wer bereits infiziert war und dadurch einen Immunschutz hat, so der Kollege. Bislang befänden sich die Tests jedoch noch in der Entwicklung und seien noch nicht zuverlässig genug, waren sich die Experten einig.

Quelle: Online-Pressekonferenz – DGIM*

* Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin