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Das Potenzial der metabolischen Chirurgie ohne BMI-Grenzen

Autor: Friederike Klein

Trotz hoher Komplikationsraten setzen Experten große Hoffnungen in die bariatrische Chirurgie. Trotz hoher Komplikationsraten setzen Experten große Hoffnungen in die bariatrische Chirurgie. © iStock/Capifrutta
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Weltweit haben bereits mehr als 50 Fachgesellschaften den Konsensus zur metabolischen Chirurgie bei Typ-2-Diabetes von 2016¹ umgesetzt. Geht es nach Professor Dr. Francesco Rubino, Direktor der bariatrischen und Stoffwechselchirurgie am King’s College in London, sind die darin festgelegten BMI- Grenzwerte aber nicht gerechtfertigt.

Die metabolische Chirurgie ist eine Standard-Diabetestherapie geworden, betonte Prof. Rubino. Auch die deutsche S3-Leitlinie hat die Empfehlungen der Konsensusgruppe² weitgehend übernommen. Eine Indikation zur metabolischen Chirurgie besteht danach

  • bei Patienten mit einem BMI ≥ 40 kg/m² ohne Begleiterkrankungen und ohne Kontraindikationen sowie
  • bei Patienten mit einem BMI ≥ 35 kg/m² mit einer oder mehreren Adipositas-assoziierten Begleiterkrankungen wie Diabetes mellitus, wenn die konservative Therapie erschöpft ist.
  • Bei einem BMI ≥ 50 kg/m² kann eine Primärindikation zu einem adipositas-chirurgischen Eingriff gestellt werden, ohne dass vorher ein konservativer Therapieversuch erfolgt ist.

Für diese BMI-Grenzen gibt es allerdings keine Evidenz, betonte Prof. Rubino. Nach einer Metaanalyse profitieren Diabetespatienten mit einem präoperativen BMI von 30–35 kg/m² ähnlich wie adipösere Diabetespatienten hinsichtlich einer Diabetesremission (HbA1c < 6,0 % ohne Diabetesmedikation) und einer verbesserten glykämischen Kontrolle sowie mit weniger kardiovaskulären Ereignissen, mikrovaskulären Diabetes-Komplikationen, Krebs und einer reduzierten Sterblichkeit. Die günstigen Effekte der metabolischen Eingriffe seien verfahrensabhängig, aber nicht BMI-abhängig, betonte Prof. Rubino.

Eine anhaltende Remission über fünf Jahre

Dabei bietet die metabolische Chir­urgie das Potenzial einer Heilung des Diabetes, wenn man diese wie in der Onkologie definiert: Eine anhaltende Remission der Erkrankung über fünf Jahre und mehr erreichte mit Magenbypass in einer Studie jeder fünfte aller Patienten und jeder zweite von den jüngeren, noch nicht so intensiv antidiabetisch behandelten Patienten. Das könnte die Therapielandschaft komplett verändern – weg von dem Konzept „Leben mit Diabetes“ hin zu einer potenziell kurativen Therapie.

Effekte jenseits einer reinen Gewichtsreduktion

Prof. Rubino wies darauf hin, dass es Effekte gibt, die bei der baria­trischen Chirurgie jenseits der reinen Gewichtsreduktion wirksam sind und die gastrointestinalen Mechanismen der metabolischen Regulation betreffen. Dazu gehören Veränderungen des Darmmikrobioms und der gastrointestinalen Nährstoffwahrnehmung, jeweils mit Effekten auf die Insulinsensitivität und einer Beeinflussung der gastrointestinalen Hormonausschüttung – mit Auswirkungen auf Insulinsekretion und -sensitivität gleichermaßen.

Aber auch die Bildung und Ausschüttung von Gallensäuren, die wieder zurückwirken auf Insulinsensitivität, Energieverbrauch, Hormonsekretion oder Mikrobiom sind zu nennen. Prof. Rubino regte an, der Frage nachzugehen, ob die metabolische Chirurgie nicht durch den Gewichtsverlust an sich, sondern durch diese physiologischen Effekte im Gastrointestinaltrakt zu einer Diabetesremission führt.

Indikation zur Adipositas-/ metabolischen Chirurgie

Die Indikation für einen adipositaschirurgischen Eingriff ist nach der deutschen S3-Leitlinie² unter folgenden Bedingungen gegeben:
  1. BMI ≥ 40 kg/m², keine Begleiterkrankungen, konservative Therapie ausgeschöpft.
  2. BMI ≥ 35 kg/m², eine oder mehrere Adipositas-assoziierte Begleiterkrankungen wie Diabetes mellitus Typ 2, koronare Herzerkrankung, Hyperlipidämie, arterieller Hypertonus, Nephropathie u.a., konservative Therapie ausgeschöpft.
  3. Primärindikationen ohne vorherigen konservativen Therapieversuch:
    • BMI ≥ 50 kg/m²,
    • konservativer Therapieversuch als aussichtslos eingeschätzt,
    • bei besonderer Schwere von Begleit- und Folgeerkrankungen, die keinen Aufschub erlauben.

Der Vorsitzende Professor Dr. Michael Roden vom Deutschen Diabetes-Zentrum (DDZ) Düsseldorf wies darauf hin, dass die positiven Aspekte, die eine bariatrische Operation verspricht, aufgrund der hohen Komplikationsrate nur realistisch sein können, wenn der Eingriff in einem spezialisierten Zentrum durchgeführt wird und der Patient eine entsprechende Nachsorge erhält.

Quellen:
Diabetes Kongress 2019
Cummings DE, Rubino F. Diabetologia. 2018; 61: 257–264
¹ Rubino F et al. Diabetes Care 2016; 39: 861–877
² S3-Leitlinie: Chirurgie der Adipositas und metabolischer Erkrankungen, Version 2.3 AWMF-Register Nr. 088-001, Stand Februar 2018