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Krebserkrankung Das verrät der Blick in die Herz-Kreislauf-Glaskugel

Autor: Dr. Judith Lorenz

Präzise Prädiktionsmodelle sollen helfen, das kardiovaskuläre Risiko onkologischer Patient:innen besser einschätzen zu können. Präzise Prädiktionsmodelle sollen helfen, das kardiovaskuläre Risiko onkologischer Patient:innen besser einschätzen zu können. © Crystal light – stock.adobe.com
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Dank der modernen Diagnose- und Therapiemöglichkeiten sind die Überlebenschancen nach einer Krebserkrankung gestiegen. Allerdings erleiden die Patient:innen überproportional häufig Herz-Kreislauf-Komplikationen. Neuseeländische Wissenschaftler:innen entwickelten ein Modell, welches das Fünf-Jahres-Risiko relativ genau voraussagt.

Zwar existieren bereits zahlreiche Scores zur Vorhersage des Herz-Kreislauf-Risikos von Krebsüberlebenden, beispielsweise der Framingham-Score. Die meisten dieser Instrumente wurden allerdings anhand von Daten der Allgemeinbevölkerung entwickelt und nur an kleinen onkologischen Patient:innenkohorten mit ausgewählten Tumorentitäten getestet, berichtet das Team um Dr. Dr. Essa ­Tawfiq von der Universität Auckland.1 Wie gut sie das kardiovaskuläre Risiko von Tumorkranken voraussagen, ist also unklar. Um diese Lücke zu schließen, prüften die Forschenden nun einen weiteren Risikoscore an einem Kollektiv von mehr als 14.000 Krebspatient:innen. 

Die „New Zealand Cardiovascular Risk Prediction Equations“ wurden im Rahmen der offenen Kohortenstudie PREDICT entwickelt und sagen das Risiko allgemeinärztlich versorgter Personen, innerhalb von fünf Jahren eine Herz-Kreislauf-Komplikation zu erleiden, sehr genau voraus, erläutern die Autor:innen. Die Risikoprädiktionsgleichungen sind geschlechtsspezifisch und bilden folgende Parameter ab: Das Alter, die Ethnizität, den sozioökonomischen Deprivationsindex, die familiäre Belastung mit Herzkreislauferkrankungen, den Raucherstatus, die Vorbelastung mit Vorhofflimmern oder Diabetes, den systolischen Blutdruck, das Verhältnis von Gesamt- zu HDL-Cholesterin sowie präventive Medikationen (Antihypertensiva, Lipidsenker, Blutverdünner). 

Krebsüberlebende und kardiovaskuläres Risiko

In Neuseeland sind nahezu 57 % der Krebspatient:innen zehn Jahre nach der Diagnose am Leben, berichtet das Team um Dr. Tawfiq. Im Vergleich zu Personen ohne Tumorerkrankung haben sie allerdings ein höheres Risiko für kardiovaskuläre Komplikationen.

Tatsächliche Gefahr nur minimal unterschätzt

Nun wendeten die Forschenden das Modell auf eine Subkohorte von 14.263 Teilnehmer:innen der PREDICT-Studie an: Diese 30–74 Jahre alten Personen (darunter 57 % Frauen) hatten frühestens zwei Jahre vor der ersten Erhebung ihres kardiovaskulären Risikos die Diagnose eines invasiven Tumors erhalten. Die Männer und Frauen waren im Schnitt 61 Jahre bzw. 60 Jahre alt und wurden median nahezu sechs Jahre nachbeobachtet. In diesem onkologischen Studienkollektiv hatte das Vorhersage­modell zwar nur eine mäßig gute diskriminatorische Leistungsfähigkeit im Hinblick auf die Unterscheidung zwischen Personen mit bzw. ohne kardiovaskuläres Ereignis; allerdings unterschätzte es das tatsächliche kardiovaskuläre Risiko der Männer und Frauen bei Staffelung in Risiko-Zentilen nur um maximal 2,5 % bzw. 3,2 %. 

Weiterhin teilten die Kolleg:innen die Patient:innen gemäß ihrer kardiovaskulären Gefährdung den folgenden drei klinischen Risikogruppen mit einem Fünf-Jahres-Risiko von

  • < 5 %, 

  • 5 % bis < 15 % und

  • ≥ 15 %

zu. In den Kategorien mit geringer bzw. mittlerer Gefährdung unterschätzte das Modell das tatsächliche Risiko um weniger als 2 %, in der Hochrisikogruppe überschätzte es dagegen die tatsächliche Gefahr – bei Männern bzw. Frauen um 2,2 % bzw. 3,3 %.

Die „New Zealand Cardiovascular Risk Prediction Equations“ eignen sich zur Abschätzung des kardiovaskulären Risikos von Krebsüberlebenden in Neuseeland, schlussfolgern die Forschenden. Eine Erweiterung des Prädiktionsmodells um krebsspezifische Variablen wie Tumortyp und onkologische Therapie sowie konkurrierende Risiken (z.B. Tod aufgrund der Krebserkrankung) könne möglicherweise die Vorher­sagekraft des Instruments verbessern.

Interventionen je nach Risikogruppe anpassen

Der Kardiologe Prof. Dr. ­Xavier ­Rossello vom Hospital Universitari Son Espases in Palma de Mallorca teilt diese Ansicht.2 Insgesamt begrüßt er das Prädiktionsmodell, da es eine bislang vernachlässigte Patient:innengruppe einschließt, eine geschlechtsspezifische Vorhersage erlaubt und unmittelbare Konsequenzen für das klinische Management hat: Im Niedrigrisikokollektiv werden lediglich Lebensstiländerungen empfohlen, in der Hochrisikogruppe dagegen zusätzlich präventive Medikationen eingesetzt. Im Fall eines mittleren Risikos könne man diese Medikamente zusätzlich zur Lebensstiländerung erwägen. Perspektivisch hofft Prof. ­Rossello auf die Entwicklung noch besser auf das onkologische Patient:innenkollektiv zugeschnittener Prädiktionsmodelle.

Quelle: 
1. Tawfiq E et al. Lancet 2023; 401: 357-365; DOI: 10.1016/S0140-6736(22)02405-9
2. Rossello X. Lancet 2023; 401: 321-323; DOI: 10.1016/S0140-6736(22)02582-X