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Typ-1-Diabetes Diagnose mit über 90

Autor: Dr. Andrea Wülker

Bereits nach wenigen Wochen war die 93-Jährige in der Lage, das Diabetesmanagement in Eigenregie zu führen (Agenturfoto). Bereits nach wenigen Wochen war die 93-Jährige in der Lage, das Diabetesmanagement in Eigenregie zu führen (Agenturfoto). © iStock/Tempura
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Alter schützt vor Typ-1-Diabetes nicht: Auch Hochbetagte können neu an der Stoffwechselstörung erkranken, wie ein Fallbeispiel zeigt. Mit dem Diabetesmanagement klappte es dann überraschend gut.

Eine 93-jährige, sehr schlanke Frau wurde stationär aufgenommen, weil sie sich seit zehn Tagen unwohl und sehr müde fühlte. Die alte Dame hatte vermehrt Durst, verspürte aber keinen Appetit. Eine Woche zuvor sei Harninkontinenz hinzugekommen, berichtete die Patientin, ihre Mobilität habe sich verschlechtert, vor einigen Tagen sei sie gestürzt.

In der Klinik fiel eine ausgeprägte Ketonämie auf

Bei den Laboruntersuchungen fielen ein Blutzuckerwert von 25 mmol/l und eine ausgeprägte Ketonämie auf, die venöse Blutgasanalyse ergab eine metabolische Azidose. Anamnestisch waren Anämie, primärer Hypothyreose und Vitamin-B12-Mangel bekannt, weshalb die Seniorin mit Levothyroxin und Vitamin-B12-Injektionen behandelt wurde.

In der weiteren Labordiagnostik zeigten sich ein HbA1c von 12,9 %, hochpositive Antikörpertiter gegen Glutamat-Decarboxylase (> 2000 IU/ml) sowie ein niedriger C-Peptid-Wert. In Zusammenschau von Anamnese, Klinik und Laborwerten sowie angesichts des niedrigen BMI und der Möglichkeit einer diabetischen Ketoazidose diagnostizierten die Klinik­ärzte einen Typ-1-Diabetes. Sie behandelten mit i.v. Insulin und Flüssigkeitsinfusionen. Bei Entlassung war die Patientin auf ein Basalinsulin eingestellt, das einmal täglich vom Pflegedienst gegeben werden sollte.

Erkrankt durch erlöschende Betazellfunktion

Zwar manifestiert sich ein Typ-1-Diabetes meist im Kindes- und Jugendalter. Er kann aber in allen Altersgruppen neu auftreten, in seltenen Fällen auch bei Hochbetagten, so Dr. ­Waqar ­Ahmad und Kollegen vom South Tees Hospitals NHS Foundation Trust in ­Middlesbrough. Meist wird die Stoffwechselstörung durch eine autoimmun bedingte Zerstörung der Betazellen im Pankreas ausgelöst. Bei der 93-Jährigen war die Neuerkrankung nach Ansicht der Autoren wohl auf eine erlöschende Betazellfunktion zurückzuführen.

Typ-1-Diabetes muss mit Insulin behandelt werden, um schwere Stoffwechselentgleisungen wie ausgeprägte Hyperglykämien oder eine Ketoazidose zu verhindern. Doch diese Therapie erfordert besonders bei Senioren Fingerspitzengefühl und einen individuellen Ansatz, um eine akzeptable glykämische Kontrolle zu erreichen und gleichzeitig das Hypoglykämierisiko gering zu halten. Für fitte ältere Patienten, die kaum Begleiterkrankungen haben und die ihr Diabetesmanagement selbst in die Hand nehmen können, wird ein HbA1c unter 7,5 % empfohlen. Bei gebrechlichen Personen mit reduzierter Lebenserwartung und erhöhtem Hypoglykämierisiko sollte der Zielwert unter 8,5 % liegen. 

Die hochbetagte Dame aus der Fallbeschreibung lernte innerhalb weniger Wochen, ihren Blutzuckerspiegel selbst zu kontrollieren und sich das Insulin selbst zu spritzen. Sie erreichte exzellente, stabile HbA1c-Werte.

Quelle: Ahmad W et al. BMJ Case Rep 2022; 15: e246799; DOI: 10.1136/bcr-2021-246799