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Melanom Diskussion ums Prinzip

EADO 2023 Autor: Dr. Daniela Erhard

In der Fachwelt herrscht Uneinigkeit darüber, ob Melanome anders klassifiziert werden sollten und ob adjuvante Therapien wirklich nötig sind. In der Fachwelt herrscht Uneinigkeit darüber, ob Melanome anders klassifiziert werden sollten und ob adjuvante Therapien wirklich nötig sind. © fotomek – stock.adobe.com
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 Ist es Zeit, Melanome anders als derzeit zu klassifizieren und sind adjuvante Therapien wirklich nötig? Darüber herrscht in der Fachwelt keine Einigkeit. Zwei deutsche Dermatologen plädierten auf dem EADO 2023 allerdings für ein klares „Ja“.

Tumoren nach dem TNM-System einzuordnen, ist wesentlich für die Prognose und die Wahl der Behandlungsstrategie. Bei Melanomen geht man dabei nach den Kriterien des American Joint Committee on Cancer (AJCC) vor – deren aktuellste Version v8 aus dem Jahr 2017 stammt. Und die kommt bei Prof. Dr. ­Claus ­Garbe, Universitäts-Hausklinik in Tübingen, nicht gut weg. Sie erfülle nicht mehr die Ansprüche an die Klassifikation von Melanomen, urteilte der Wissenschaftler.

Kritik übte er unter anderem an den Patient:innendaten, die in die AJCCv8 einflossen. Man erfahre nicht, wann die Aufnahme in die Kohorte gestoppt wurde, nicht die Dauer des medianen Follow-ups, des Gesamt- und rückfallfreien Überlebens. Hier sei nur das melanomspezifische Überleben (MSS) angegeben, bemängelte Prof. ­Garbe.

Adjuvante oder Neoadjuvante Behandlung?

Erstaunt zeigte sich der Experte über die gute Prognose, die die AJCCv8 gerade den Personen mit Melanomen im Stadium IIIA und IIIB zuordnet. Daten aus Deutschland – und auch die EORTC-18071-Studie – sprächen hier für ein deutlich schlechteres MSS. „Und das ist wichtig für die Diskussion, ob diese Patient:innen eine adjuvante oder neoadjuvante Behandlung benötigen“, sagte er. Insgesamt habe sich das MSS im Stadium III von Version 7 zu Version 8 wesentlich verbessert – ohne dass sich an der Therapie etwas geändert habe. Das sei schwer zu erklären. Für Prof. ­Garbe steht daher fest: Die aktuelle Klassifikation liefert keine zuverlässigen Informationen zur Prognose und kann zu falschen Therapieentscheidungen führen.

Prof. Dr. ­Jeffrey E. ­Gershenwald, Wissenschaftler am MD Anderson Cancer Center in Houston und Mitverfasser der Klassifizierung, sah das anders: „Version 8 erlaubt eine akkuratere Prognose als die Vorgängerversion.“ Dass sich die Prognose für Patient:innen im Stadium III verbessert habe, führte er auch auf die Biopsie der Sentinel-Lymphknoten (SNB) zurück. Wie er verdeutlichte, haben Personen ohne SNB selbst unter adjuvanter Therapie noch ein dreimal höheres Rückfallrisiko als diejenigen mit Biopsie. Und die meisten Erkrankten aus der Kohorte für die alte Klassifizierung stammten noch aus der Prä-SNB-Ära, erklärte der Experte. Das Fünf-Jahres-MSS in der aktuellen Kohorte sei nicht nur über die Gruppen hinweg fast identisch gewesen, sondern liege auch nah an den deutschen Daten, versuchte er die Kritik seines Kollegen zu entkräften.

Recht gab er ihm jedoch, dass neue Therapien und Biomarker zukünftig in die Bewertung mit einfließen müssten, wenn Konsens über ihre Bedeutung besteht. Prof. ­Gershenwald stellte zudem in Aussicht, dass das AJCC seine Klassifizierung zukünftig nur noch digital als Protokolle auf einer Plattform veröffentlichen wolle, die dann entsprechend aktualisiert würden. Eine grundlegend neue Klassifizierung für das Melanom brauche es aber nicht.

Stellenwert der Neoadjuvanz

Anders als sein australischer Kollege schätzte Prof. Hauschild den Nutzen neoadjuvanter Therapien als begrenzt ein. „Dafür braucht man ein Angriffsziel, und das ist ein makroskopisch präsenter Lymphknoten“, erklärte er. Da dieser jedoch den meisten Patient:innen fehlt, hätte wohl nur ein Fünftel von ihnen überhaupt die Chance auf eine solche Behandlung.

Ähnlich uneinig wie die beiden Redner war sich in dieser Sache auch das Auditorium, wie eine Abstimmung ergab. Etwas geschlossener votierte das Publikum später im Hinblick auf die Bedeutung einer adjuvanten Therapie beim Melanom. Diese hielten schätzungsweise 80 % der Zuhörer:innen für sinnvoll – und folgten damit der Meinung von Prof. Dr. ­Axel ­Hauschild, Dermatologikum Kiel.3 Er sagte: „Wir brauchen die adjuvante Therapie, und das noch für eine lange Zeit.“

Während seinen Gegenredner, Prof. Dr. ­Alex ­Menzies vom Melanoma Institute Australia in Sydney, die bisherigen Ergebnisse der adjuvanten Therapien mit Blick auf das Gesamtüberleben nicht überzeugten und dieser stattdessen maßgeschneiderte Behandlungen forderte4, sprachen für Prof. ­­Hauschild besonders die Rezidivraten und die Lebensqualität für die adjuvante Medikamentengabe. Um 40–50 % lasse sich das rückfallfreie Überleben und auch das Überleben ohne Fernmetastasen verbessern, argumentierte er. Im Stadium IIIA betrage das Risiko, innerhalb von fünf Jahren zu sterben, 20 %, im Stadium IIID sogar 70 %. „Eine so hohe Sterbewahrscheinlichkeit ist meiner Meinung nach eine Indikation, die Patient:innen zu behandeln“, äußerte der Dermatologe. Noch dazu, weil die Therapie die Lebensqualität Studien zufolge nicht beeinträchtige und die Medikamente im Allgemeinen gut verträglich seien.

Als Problem sah er allerdings die mitunter sehr schweren und irreversiblen Nebenwirkungen an, die knapp 3 % der adjuvant Behandelten erlitten. Für die Patient:innen gebe aber die Prävention von erneuten Tumoren den Ausschlag. Die Gefahr für Übertherapien bestehe natürlich, aber vor allem in niedrigeren Tumorstadien, sagte der Experte. In höheren Stadien überwiege das Rezidivrisiko. Um Hochrisikopersonen zu identifizieren, erachtete er vor allem das Genexpressions-Profiling sowie immunhistochemische Tests für zielführend. 

Quellen:
1.    Garbe C. 19th EADO Congress; Vortrag „Do we need a new melanoma classification? – Yes“
2.    Gershenwald JE.19th EADO Congress; Vortrag: „Do we need a new melanoma classification? – No“
3.    Hauschild A. 19th EADO Congress; Vortrag: „Is adjuvant treatment of melanoma still needed? – Yes“
4.    Menzies A. 19th EADO Congress; Vortrag: „Is adjuvant treatment of melanoma still needed? – No“