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Sekundärprävention Digitale Unterstützung für die Kardio-Reha

Autor:  Nils Bröckelmann

Die kontinuierlichen Kreislaufparameter, die durch Hilfsmittel zur Verfügung stehen, könnten die klassischen Reha-Methoden unterstützen. Die kontinuierlichen Kreislaufparameter, die durch Hilfsmittel zur Verfügung stehen, könnten die klassischen Reha-Methoden unterstützen. © Pixel-Shot – stock.adobe.com
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Überall verfügbar, flexibel, individuell: Digitale Medien schließen möglicherweise Lücken der klassischen stationären Kardio-Reha. Zudem lassen sie durch bessere Zugänglichkeit für Benachteiligte auf mehr Gleichheit im Gesundheitssystem hoffen. Allerdings bringen die Technologien auch einige Herausforderungen mit sich.

Ziel digitaler Technologien ist es nicht, herkömmliche Reha-Programme abzuschaffen, bei denen Patienten und Therapeut in persona zusammen trainieren. Vielmehr sehen Dr. Jessica Golbus und Kollegen von der Universität Michigan in ihnen Möglichkeiten, die klassischen Methoden zu unterstützen. Im Auftrag der American Heart Association erarbeiteten sie ein Kompendium, um der Kardio-Reha der Zukunft ein Gesicht zu geben. Darin fassen die Wissenschaftler zunächst die wesentlichen Bausteine eines guten Reha-Programms zusammen. Notwendig sind aus ihrer Sicht:

  • umfassende Anamnese und Untersuchung, Optimieren bestehender Therapien 
  • Ernährungsberatung
  • Kontrolle von Risikofaktoren wie Diabetes, Rauchen, Dyslipidämie
  • psychosoziales Management (z.B. Erfassen von Angst, Depression)
  • Beratung über körperliche Aktivitäten
  • Erstellen eines individuellen, symptomorientierten Trainingsprogramms 

Als Hilfsmittel für die digitale Unterstützung benennen die Kollegen Hilfsmittel wie Smartphones, Wearables, telemedizinische Ansätze und Implantate. Diese lassen sich ganz unterschiedlich anwenden, beispielsweise, wenn Patienten zu Hause trainieren und dabei mittels Technik von Klinikern überwacht werden oder Anweisungen erhalten. Denkbar ist auch, dass man beim Training Daten erfasst, die Ärzte dann zu einem anderen Zeitpunkt sichten und auswerten. Auch beim  klassischen Training mit „analogem“ Betreuer kann die digitale Technik helfen, etwa um kontinuierlich Kreislaufparameter zu erfassen. 

Insgesamt kann man digital eine enorme Fülle von Informationen gewinnen. Dazu gehören Parameter wie Herzrhythmus und Frequenz, Atemfrequenz, Sauerstoffsättigung, Blutdruck, Gewicht, Schlafrhythmus und Blutglukose. 

Mit digitalen Pillenboxen die Adhärenz ermitteln

Über Beschleunigungssensoren gelingt die Schrittzahlmessung, über Ortungsdienste das Ermitteln von Trainingsleistungen. Mit Entwicklungen wie einer digitalen Pillenbox, oder sogar digitalen Pillen will man der tatsächlichen Therapieadhärenz auf die Spur kommen. 

Für einige der erfassbaren Parameter mag es klare Zielvorgaben geben. Doch bei anderen bzw. für Kombinationen aus den gesammelten Informationen wird es komplexer. Welche Schrittzahl ist bei welcher individuellen Erkrankung erstrebenswert? Wie viele Übungen bringen Patienten voran, ohne sie zu überfordern? Solche Frage müssen in entsprechend angelegten Studien beantwortet werden, fordern die Autoren. Möglicherweise wird künftig auch künstliche Intelligenz für Datenauswertungen in Zukunft eine Rolle spielen, z.B. um individuelle Trainingspläne zu entwerfen. 

Für die Auswahl des individuell geeigneten Devices sind zumindest in der nahen Zukunft primär die Ärzte zuständig. Dabei müssen sie u.a. kardiovaskuläres Risiko, Multimorbidität und Alter des Patienten berücksichtigen. Dieser Aufwand sollte auch bezahlt werden, fordern Dr. Golbus und Kollegen. 

Datenflut könnte Ärzte in den Bournout treiben

Um Strukturen für den Einsatz der Techniken aufzubauen zu können, müssen zudem einige offene Punkte geklärt werden. Noch steht beispielsweise nicht fest, wie häufig eine Kontrolle der Parameter erfolgen soll und wie man automatisierte Alarme implementieren kann. Dies hängt mit den ebenfalls offenen Fragen der Verantwortlichkeit zusammen. Wer ist bei Alarm eines Gerätes zuständig? Nicht validierte Alarme sowie einen Überfluss an Daten, der Ärzte in den Burnout treiben kann, nennen die Autoren als zu vermeidende 
Gefahren. 

Ein Mehr an Technik hat zwar das Potenzial, für bisher benachteiligte Gruppen im Gesundheitswesen neue Chancen zu eröffnen. Allerdings werden damit auch eine Reihe von Problemen geschaffen. Mitunter verstärkt man Ungleichheiten sogar, wenn das Individuum aus dem Blick gerät. So benötigen möglicherweise viele alte Menschen besonders einfach zu bedienende Geräte. 

Auch Schwerhörigkeit oder Visusminderung sind mögliche Hürden für digitale Anwendungen. Und manche Patienten brauchen eine besonders einfache, gut verständliche Sprache. 

Dass die neuen Methoden kos­teneffektiv sind, wurde bereits in Studien gezeigt. Allerdings fehlen zum Teil Wirksamkeitsnachweise im Hinblick auf klassische harte Endpunkte wie Mortalität. Denn durch die rapide Entwicklung schaffen es Forscher teilweise nicht, die neuen Technologien in klassischen randomisierten Untersuchungen zu prüfen. Die Autoren fordern daher neue Studienmodelle mit kurzfristigeren, patientenrelevanten Endpunkten. Gelingt es den Patienten nach der Nutzung eines Programms ihre Sechs-Minuten Gehstrecke zu verlängern? Wie steht es um die Dyspnoe? Solche Ziele sind für die Betroffenen mitunter die wichtigsten.

Quelle: Golbus JR et al. Circulation 2023; 148: 95-107; DOI: 10.1161/CIR.0000000000001150