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Echte Insulinresistenz ist bei Kindern selten

Autor: Antje Thiel

Wie lässt sich eine gestörte Glukosetoleranz feststellen? Wie lässt sich eine gestörte Glukosetoleranz feststellen? © iStock/FluxFactory
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Anhand welcher Parameter man eine gestörte Glukosetoleranz in jungen Jahren verlässlich feststellt, darüber sind sich die Experten noch nicht einig. Derzeit existieren weder Standardverfahren noch Referenzwerte zur Messung und Beurteilung von Insulinsensitivität bzw. -resistenz im Kindes- und Jugendalter.

So lägen bis dato keine prospektiven kontrollierten Studien zur Verlässlichkeit und Sicherheit von HbA1c-Wert, Nüchtern-Glukose und oralem Glukose-Toleranz-Test (oGTT) zur Diagnose einer Insulinresistenz im Kindesalter vor, wie Professor Dr. Wieland Kiess, Universitätsklinikum Leipzig, betonte. Insbesondere der HbA1c-Wert wird seiner Einschätzung nach ziemlich überschätzt: „Die entscheidenden Symptome für die Diagnose eines Diabetes sind Gewichtsverlust, Durst, häufiges Wasserlassen und ein erhöhter Blutzuckerwert.“ Der HbA1c-Wert hingegen sei aufgrund der hohen Varianz bei der Überlebenszeit der roten Blutkörperchen zumindest als isolierter Parameter nur bedingt aussagekräftig.

Während der Pubertät ist ein leichter HbA1c-Anstieg normal

Immerhin habe das Leipziger Forschungsprojekt „LIFE Child“ mittlerweile Referenzdaten geliefert, an denen man sich bei einer Verdachtsdiagnose orientieren kann. So zeigten die bis dato erhobenen Daten, dass Veränderungen beim HbA1c-Wert zwar unabhängig von Bildungs- und sozioökonomischem Status sind, aber sehr wohl mit BMI und Geschlecht korrelieren. Zudem steige die HbA1c-Perzentile im Zeitraum zwischen 0 und 18 Jahren moderat an. So sei während der Pubertät ein Anstieg des HbA1c-Werts von durchschnittlich 5,0 auf 5,2 % bei Jungen und von 5,0 auf 5,1 % bei Mädchen nicht ungewöhnlich.

oGTT mit hoher inter- und intrapersoneller Variabilität

Auch der oGTT ist bei der Dia­gnose einer Insulinresistenz nur bedingt hilfreich, wie Privatdozent Dr. Christian Denzer, Universitätsklinikum Ulm, berichtete. Hauptproblem des oGTT sei die mangelnde Reproduzierbarkeit der Messwerte. Ein- und derselbe Patient, bei dem der oGTT heute eine gestörte Glukosetoleranz ergibt, kann morgen völlig unauffällig sein. Denn es gebe sowohl inter- als auch intrapersonell eine hohe Variabilität bei der Glukoseverstoffwechselung im Gastrointestinaltrakt.

Und auch längerfristig lasse sich beobachten, dass 60–75 % der adipösen Kinder und Jugendlichen mit gestörter Glukosetoleranz im Verlauf von 1–5 Jahren wieder zu einer normalen Glukosetoleranz konvertieren. „Im praktischen Alltag ist der oGTT deshalb wenig aussagekräftig“, erklärte Dr. Denzer. Lediglich in der klinischen Forschung sei er – ebenso wie auf ihm basierende Surrogatparameter – mit entsprechender mathematischer Modellierung zur Detektion von Insulinresistenz und Betazellfunktion bei Kindern geeignet.

Fallstricke in der Diagnostik der Insulinresistenz

  • HbA1c-Wert: interpersonell hohe Varianz bei der Überlebenszeit der roten Blutkörperchen, auch ethnisch bedingt
  • oGTT: intrapersonell keine verlässlich reproduzierbaren Ergebnisse, außerdem keine Aussagekraft über die Betazellfunktion
  • Nüchtern-Glukosewert: keine klare Definition von Nüchternheit, wenig Aussagekraft über Fettstoffwechsel

Bleibt der Nüchtern-Glukosewert. Auch hier ergeben sich viele praktische Hürden, wie Privatdozentin Dr. Susanna Wiegand, Charité – Universitätsmedizin Berlin, berichtete: „Das fängt schon mit der Frage an, was eigentlich nüchtern bedeutet. Verzicht aufs Essen? Auch aufs Trinken? Essen ohne Kohlenhydrate? Nichts mehr essen nach 22 Uhr? Und was ist mit intermittierendem Fasten wie im Ramadan?“ Für den Fettstoffwechsel sei das Nüchterngebot, wie es früher einmal propagiert wurde, inzwischen obsolet – dies gelte insbesondere für Kinder. Nur bei deutlich erhöhten Triglyzeridwerten sei zur Beurteilung des Fettstoffwechsels eine Überprüfung im Nüchternzustand indiziert.

Quelle: Diabetes Kongress 2019