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Akut verwirrt Ein Delir hat bei alten Patienten oft schwere langfristige Folgen

Autor: Maria Weiß

Zu den neueren Topika gehören zwei Substanzen, die zumindest in anderen Ländern schon auf dem Markt sind. (Agenturfoto) Zu den neueren Topika gehören zwei Substanzen, die zumindest in anderen Ländern schon auf dem Markt sind. (Agenturfoto) © fizkes – stock.adobe.com
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Ein zuvor noch weitgehend klarer älterer Patient wird wegen einer internistischen Erkrankung oder für einen chirurgischen Eingriff stationär aufgenommen. In der Klinik erscheint er zunehmend verwirrt und desorientiert. Was ist zu tun?

Etwa ein Drittel aller über 70-Jährigen zeigt nach Aufnahme auf eine internistische Station eine akute Verwirrtheit, die auch als Delir bezeichnet wird, sagte Prof. Dr. Helge Topka vom Klinikum Bogen­hausen in München. Nach größeren chirurgischen Eingriffen sind es sogar über die Hälfte, bei Intensivpatienten 30–80 %.

Definiert ist das Delir als eine innerhalb von Stunden bis Tagen einsetzende, akute bis subakute Veränderung des mentalen Status mit Beeinträchtigung von Bewusstsein und/oder Aufmerksamkeit, die sich nicht allein durch Vorerkrankungen wie z.B. Demenz erklären lässt. Auch Kommunikationsfähigkeit, Wahrnehmung, Gedächtnis und Verhalten können betroffen sein, sodass sich ein sehr variables Erscheinungsbild mit unterschiedlichen Ausprägungen ergibt. 

Typisch sind die fluktuierende Intensität und die Zunahme der Symptomschwere in der Nacht. Auch vegetative Beschwerden sind möglich. Dazu gehören:

  • Tachykardie und Herzbeschwerden
  • arterielle Hypertonie
  • Unruhe und Tremor
  • Schlaflosigkeit
  • Übelkeit
  • vermehrtes Schwitzen und Hyperthermie

In einigen Fällen gibt es Hinweise für Auslöser wie Intoxikationen, eine Entzugssymptomatik oder Vorerkrankungen

Den früheren Begriff Durchgangssyndrom, der eine spontane vollständige Rückbildung suggeriert, hat man heute zurecht verlassen, erläuterte der Neurologe. Denn die Letalität von Patienten mit Delir ist im Vergleich zu Patienten ohne die Bewusstseinsstörung deutlich erhöht, und zwar im Mittel von 3,9 % auf 22,9 %. Der Krankenhausaufenthalt wird durch ein Delir um durchschnittlich zehn Tage verlängert. Und nahezu jeder vierte betroffene Patient bleibt nach dem Klinikaufenthalt dauerhaft pflegebedürftig. Kognitive Defizite persistieren häufig, und oft sind die Patienten nach Aussage der Angehörigen danach „nicht mehr die Alten“.

Prädisponierende Faktoren sind neben dem höheren Lebensalter eine vorbestehenden Demenz und Gebrechlichkeit. Auch Drogen- und Alkoholabhängigkeit, Hör- und Sehminderung, Polypharmazie, männliches Geschlecht und Depressionen begünstigen die akute Verwirrtheit. Schließlich steigern  zahlreiche Medikamente das Risiko für ein Delir. Dazu gehören nicht nur zentral wirksame Substanzen wie Neuroleptika, Opioide und Benzo­diazepine, sondern auch Digitalis, Steroide und NSAR.

Fremdanamnese hilft beim Einordnen der Symptome

Beim Delir müssen zahlreiche Ursachen bedacht und ausgeschlossen werden (s. ­Kasten). Neben Vitalparametern und dem Bewusstseinsstatus sollte man immer auch Laborwerte wie Blutglukose, Blutbild, Leber- und Nierenwerte, Serumkalzium, CRP und Elektrolyte bestimmen. 

Hilfreich bei der Ursachenforschung sind zudem Röntgen­thorax, Blutgasanalyse und Urinstatus. Im Zweifelsfall kann eine zerebrale Bildgebung erforderlich sein. Von besonders großer Bedeutung ist die Fremdanamnese. Mit ihrer Hilfe lassen sich evtl. vorbestehende kognitive Einschränkungen beurteilen und die akuten Beschwerden besser einordnen.

Mögliche Ursachen für akute Verwirrtheitszustände

D    Medikamenten- oder Substanzentzug („drugs“)
E    sensorische Sinnesstörungen („ear and eye“)
L    Hypoxie („low O2 status“) 
   Infektionen, Sepsis („infections“)
R    Harn- und Stuhlverhalt („retentions“)
   Leberfunktionsstörungen („ictal status“)
U    Hypovolämie und Mangel­ernährung („underhydration and undernutrition“)
M    metabolische Störungen („metabolic causes“)
(S)    ZNS-Pathologie („subdural haematoma“)

Es existieren zahlreiche validierte Screeningverfahren, um die mentalen Veränderungen bei einem Delir zu erfassen. Ein ganz einfacher Test ist es, den Patienten die Monate von Dezember beginnend rückwärts aufzählen zu lassen. Wer hierbei fehlerfrei und zügig bis September kommt, hat schon mal mit großer Wahrscheinlichkeit kein Delir, ­meinte Prof. Topka. 

Brille und Hörgerät zur Reorientierung nutzen

Eine medikamentöse Therapie, mit der sich ein Delir verhindern oder behandeln ließe, gibt es nicht. Neuro­leptika sind eher kontra­produktiv und sollten nur im Notfall bei Fremd- oder Eigengefährdung eingesetzt werden. Somit bleiben zur Prävention und Therapie nur allgemeine Maßnahmen zur Reorientierung: Brille und Hörgerät nutzen, Uhren und Kalender gut sichtbar platzieren, die Nachtruhe gewährleisten, auf Konstanz beim Pflegepersonal achten. Mit einer adäquaten Schmerztherapie, einer ruhigen Umgebung und der Mithilfe von Angehörigen lassen sich Ängste vermeiden. Auch Frühmobilisation, Ergo- und Physiotherapie, geistige Aktivität und die ausreichende Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme sind bei der Prävention und der Behandlung des Delirs hilfreich.

Quelle: 40. Arbeitstagung NeuroIntensivMedizin