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Kutanes Mikrobiom Ein Universum für sich

Autor: Dr. Susanne Gallus

Unzählige Bakterien, Viren, Pilzzellen und eine bisher unbekannte Menge Protozoen: Niemand ist allein. Unzählige Bakterien, Viren, Pilzzellen und eine bisher unbekannte Menge Protozoen: Niemand ist allein. © Science Photo Library/Harris, Roger
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Mikroben sind in uns, auf uns und um uns herum. Die Gesamtheit ihrer genetischen Information übersteigt die unsere um das Hundertfache. Was wissen wir über das kutane Mikrobiom und wie lässt sich dieses Wissen auf die Therapie von Hautkrankheiten anwenden?

Die Mikrobiomforschung gibt es schon seit der Erfindung des Mikroskops im 17. Jahrhundert. Obwohl man sie daher eigentlich als alten Hasen bezeichnen könnte, hat sie sich inzwischen zum dynamischsten Feld in der gesamten medizinischen Wissenschaft nach COVID entwickelt, erklärte Professor Dr. André Gessner vom Institut für Medizinische Mikrobiologie und Hygiene der Universität Regensburg. Die Forschung hat längst auch das Interesse der Öffentlichkeit geweckt, allein bei Youtube gibt es mehr als 75.000 Videos dazu.

Das Mikrobiom besteht nicht nur aus Bakterien. Es gibt noch Viren sowie die Meiofauna, bestehend aus Einzellern und Pilzen. „Allein im menschlichen Mund leben über 70–80 verschiedene Pilzarten“, betonte Prof Gessner. Und die Mikroorganismen haben die Oberhand: „1013 humanen Zellen stehen mindestens genauso viele Bakterien gegenüber.“ Hinzu kommen etwa 1015 Viren sowie eine bisher noch nicht klar definierte Masse an Pilzen (mind. 1012) und Protozoen. „Die genetische Information, die diese Organismen tragen, ist um den Faktor 100 oder noch mehr größer als unser eigenes Genom.“ Der interindividuelle genetische Unterschied zwischen zwei Personen liegt etwa bei 0,1 %, im Mikrobiom geht man von 60–70 % aus.

Es gibt keine sterilen Körperregionen

Man weiß durch das Human Microbiome Project (s. Kasten), dass sich das Mikrobiom auch bei verschiedenen Krankheiten unterscheidet. Außerdem wurde klar: Mikroorganismen sind überall. „Selbst Körperregionen, über die wir früher gelernt haben, sie seien steril, sind es ganz und gar nicht“, so der Experte. Gleichzeitig hat man je nach Körperbereich individuell verschiedene Bakterienkompositionen. Das gilt insbesondere für die Haut, da die Standortfaktoren (pH-Wert, Feuchtigkeit, Expression von Defensinen) zum Teil deutlich variieren. 

Warum hat dieses Feld derart Fahrt aufgenommen?

Der Zeitpunkt lässt sich sehr genau datieren: 2007 hat man in Europa und den USA sehr viel Geld ausgegeben und das Human Micobiome Project ins Leben gerufen. Ermöglicht haben das die neuen Sequenziertechniken, mit der man die 16S-rRNA-Gensequenzen direkt analysierte. Initial untersuchten die Wissenschaftler 15–18 Körperstellen von 300 Probanden ... „Und dann öffnete sich ein neuer Kontinent! Es wurden viele Bakterien neu entdeckt, die noch nie ein Mensch zuvor gesehen hatte“, so Prof. Gessner. Denn der Großteil der Bakterien lässt sich im Labor nicht anzüchten. Mittlerweile liegen von mindestens 2.000 Bakterienspezies Sequenzdaten vor. Tatsächlich ausgehen sollte man allerdings am und im menschlichen Körper eher von 4.000–5.000 Arten, so Prof. Gessner. Mikrobiomdaten gibt es für immer mehr Fragestellungen und für die verschiedensten Krankheitsbilder. Auch die Sequenziertechnologie wird schneller und kostengünstiger. Inzwischen ist die Industrie mit ganzer (finanzieller) Kraft in die Mikrobiomforschung eingestiegen und sucht nach Biomarkern oder neuen Therapiemöglichkeiten. „Da herrscht tatsächlich so eine Art Goldgräberstimmung“, wie Prof. Gessner beschrieb.

Die Mikroorganismen stehen über Stoffwechselprodukte im ständigen Austausch miteinander und mit den menschlichen Körperzellen, z.B. den Keratinozyten oder Immunzellen. Und das beeinflusst die Hautgesundheit, da sie nicht nur diese Zellen stimulieren, sondern unter anderem dafür sorgen, dass Hautpathogene keinen Platz finden, indem sie sie direkt abtöten oder eine Immunreaktion triggern. Zusätzlich konnte eine Arbeitsgruppe aus den USA erst kürzlich ­zeigen, dass Hautbakterien, insbesondere wohl bestimmte Staphylokokken, für die Wundheilung wichtig sind. „Das ist ein ganz starkes Argument dafür, Wunden zum Beispiel nicht mehr mit topischen Antibiotika zu behandeln“, so das Fazit von Prof. Gessner. Das hemme diese Mikroorganismen und damit auch die Wundheilung. Gerät das Hautmikrobiom allerdings aus der Balance, z.B. durch zugrunde liegende Erkrankungen oder bei Wunden, können die Hautmi­kro­organismen Krankheiten auslösen. Dazu gehören beispielsweise Akne, Malassezia, atopische Dermatitis, chronische Wundinfektionen bzw. systemische Manifestationen wie Osteomyelitis und Sepsis. Der Dysbiose folgen eine beeinträchtigte Barrierefunktion und eine veränderte Immun­antwort.

Das Hautmikrobiom wieder ins Gleichgewicht bringen

Therapeutisch kann man beispielsweise bei Neurodermitikern über eine topische Basispflege oder systemische bzw. topische antiinflamma­torische Wirkstoffe gegensteuern. „Wir können natürlich auch versuchen, die Dysbiose der Haut selbst zu korrigieren“, erklärte Prof. Gessner. Dazu tragen in einem multimodalen Therapiekonzept Probiotika bei – ähnlich wie es bereits bei manchen Darmerkrankungen üblich ist, nur topisch.

Quelle: DERM Frankenthal 2021