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Komplementärmedizin Endlich eine S3-Leitlinie veröffentlicht

Autor: Dr. Miriam Sonnet

In der Kategorie „medizinische Systeme“ besteht die meiste Evidenz für Akupunktur bei Tumoren. In der Kategorie „medizinische Systeme“ besteht die meiste Evidenz für Akupunktur bei Tumoren. © iStock/eyecrave
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Erstmals wurde eine S3-Leitlinie zur Komplementärmedizin in der Onkologie publiziert. Die Autoren gehen darin auf verschiedene Verfahren und Therapien ein, die zur Linderung von Beschwerden eingesetzt werden können. Meist sind die positiven Empfehlungen eher zurückhaltend – nur für Sport bzw. Bewegung gibt es ein klares Statement.

Mittlerweile existiert eine große Bandbreite verschiedener komplementärer und alternativer Therapien, auf die zahlreiche Krebspatienten zurückgreifen. Die hohe Prävalenz der Nutzung gab Anlass, die neue S3-Leitlinie „Komplementärmedizin in der Onkologie“ unter Federführung der Deutschen Krebsgesellschaft zu erstellen. Im Folgenden sollen die wichtigsten evidenzbasierten Empfehlungen vorgestellt werden. Auf Methoden, für die keine ausreichenden Daten existieren, wird nicht eingegangen.

Grundsätzlich empfehlen die Autoren, Krebskranke auf aktuelle oder geplante komplementäre Maßnahmen anzusprechen und sie individuell zu beraten. Dies sollte frühest­möglich und im Therapieverlauf wiederholt erfolgen. Hilfestellung hierzu bietet das Kompetenznetz KOKON. Zudem gilt es, Patienten auf verlässliche Informationsquellen hinzuweisen und zu erklären, wie man seriöse Anbieter erkennt.

Medizinische Systeme

Zu den medizinischen Systemen gehören Akupunktur, Akupressur, anthroposophische Medizin, Homöopathie und klassische Naturheilverfahren. Gerade zur Akupunktur liegen zahlreiche Studiendaten vor. Die Maßnahme gilt als Option bei:

  • Frauen mit Mammakarzinom und Gelenkschmerzen durch Aromataseinhibitoren (sollte)
  • Tumorschmerzen (sollte)
  • Fatigue (kann)
  • Brustkrebserkrankten mit Angst/Ängstlichkeit oder Depressivität nach Abschluss von Chemotherapie oder unter Behandlung von Aromataseinhibitoren (kann)
  • Ein- und Durchschlafstörungen (kann)
  • Wiederherstellung der Darmfunktion nach Operation bei Kolonkarzinompatienten (kann)
  • Frauen mit Brustkrebs und kognitiver Beeinträchtigung unter adjuvanter Chemotherapie (kann)
  • Förderung globaler und tumorspezifischer Lebensqualität während und nach onkologischer Behandlung (kann)
  • menopausalen Hitzewallungen und Symptomen (kann)
  • chemotherapieinduzierten, peripheren neuropathischen Schmerzen (kann)
  • prostatektomierten Männern und Hirntumor-Patienten mit post­operativen Schmerzen (kann)
  • chemotherapieinduzierter Übelkeit/Erbrechen (kann), zusätzlich zur antiemetischen Behandlung
  • Erkrankten mit Kopf-Hals-Tumoren und Xerostomie während einer Radio-/Chemotherapie (kann)
  • Xerostomie nach adjuvanter Bestrahlung (kann)

Eine Akupressur kann wiederum empfohlen werden, um Fatigue, Übelkeit und Erbrechen zu lindern. Außerdem kann eine Ohr-Akupressur gegen Tumorschmerzen, zusätzlich zur herkömmlichen Behandlung, helfen.

Der Einsatz einer anthroposophischen Komplextherapie, bestehend aus Psycho- und Schlafedukation, Eurythmie- und Maltherapie, kann im Fall von Ein- und Durchschlafstörungen sowie Fatigue bei Überlebenden nach einer Brustkrebserkrankung erwogen werden. Gleiches gilt für die Homöopathie, um die Lebensqualität onkologischer Patienten zu verbessern, schreiben die Autoren der Leitlinie.

Mind-Body-Verfahren

Mind-Body-Verfahren umfassen Meditation, achtsamkeitsbasierte Stressreduktion, Tai-Chi/Qigong und Yoga. Die Experten geben eine „kann“-Empfehlung für die Meditation bei:

  • Angst/Ängstlichkeit während der Bestrahlung sowie vor der Mastektomie von Brustkrebs­patientinnen und während der Chemotherapie von Leukämiepatienten
  • Depressivität während und nach Abschluss von Chemo- bzw. Radiotherapie
  • Frauen mit Mammakarzinom, um die globale/tumorspezifische Lebensqualität zu verbessern
  • Stress

Verfahren zur achtsamkeitsbasierten Stressreduktion können eingesetzt werden zur

  • Reduktion von Angst/Ängstlichkeit während und nach adjuvanter Behandlung von Erkrankten mit Brustkrebs,
  • Verringerung von Depressivität während und nach adjuvanter Therapie,
  • Linderung von Ein- und Durchschlafstörungen, Fatigue und kognitiven Beeinträchtigungen (Letzteres gilt nur für Brustkrebs­patientinnen) nach adjuvanter Behandlung,
  • Verbesserung der globalen und tumorspezifischen Lebensqualität,
  • Reduzierung menopausaler Symptome nach adjuvanter Therapie von Frauen mit Brust- oder anderen gynäkologischen Tumoren.

Die Integration eines ärztlich geleiteten, individualisierten, multimodalen komplementärmedizinischen Angebots in die Standardversorgung kann zur Verbesserung von globaler/tumorspezifischer Lebensqualität, Fatigue und Schmerzen erwogen werden, schreiben die Autoren weiter. Tai Chi/Qigong wiederum sollte gegen Ein- und Durchschlafstörungen und Fatigue während und nach Abschluss von Chemo- und Radiotherapie versucht werden. Eine Kann-Empfehlung sprechen die Experten aus, um Depressivität und globale/tumorspezifische Lebensqualität zu verbessern.

Yoga kann erwogen werden bei folgenden Symptomen nach Abschluss einer (adjuvanten) Chemo- bzw. Radiotherapie: für Patienten mit Kolorektalkarzinom und Angst/Ängstlichkeit bzw. Depressivität und für Frauen mit Brustkrebs und Ein- und Durchschlafstörungen, kognitiven Beeinträchtigungen bzw. menopausalen Symptomen. Yoga kann sich auch eignen, um die globale und krebsspezifische Lebensqualität zu erhöhen. Es sollte während und nach Abschluss einer Chemo- oder Radiotherapie zum Einsatz kommen, um eine Fatigue zu verbessern.

Manipulative Körper­therapien

Unter manipulativen Körpertherapien werden passive Behandlungsformen verstanden, die das Gewebe des Bewegungsapparates beeinflussen sollen. Dazu gehören beispielsweise Sport, Osteopathie aber auch Reiki und Shiatsu. Die Autoren sprechen sich gegen Bioenergiefeld-Therapien aus. Diese sollten nicht zur Linderung von Angst bzw. Ängstlichkeit, Depressivität, Fatigue, Schmerz, Übelkeit oder zur Verbesserung der Lebensqualität zum Einsatz kommen.

Von einer Chirotherapie oder Osteopathie mit manipulativen- oder Impulstechniken soll abgeraten werden, wenn Patienten eine verminderte Knochenstabilität aufweisen und Verletzungsgefahr besteht. Eine Elektro- und Ganzkörper-Hyperthermie sollte nicht außerhalb von Studien erfolgen.

Eine klare Empfehlung gibt es aber für Sport bzw. Bewegung: Betroffene sollen während und nach Abschluss der Krebsbehandlung körperlich aktiv sein. Ziel ist es, 150 Minuten moderate oder 75 Minuten anstrengende Aktivität pro Woche so früh wie möglich nach der Diagnose wieder zu erreichen oder aufrechtzuerhalten.

Weitere Empfehlungen

Es gilt, nur bei Mangel Vitamine und Spurenelemente zu supplementieren. Die Serumspiegel von Vitamin B12 und D sowie Selen sollten während der Therapie im Auge behalten werden. Vor der Einnahme von Amygdalin bzw. „Vitamin B17“/Aprikosenkernen warnen die Autoren: Die Substanz kann potenziell lebensbedrohliche Nebenwirkungen verursachen und soll nicht empfohlen werden.

Patienten, die Johanniskraut einnehmen, sollen über die Unsicherheiten der Präparate mit hohem gehalt an Hyperforin informiert und über mögliche schwere Wechselwirkungen aufgeklärt werden. Was bei biologischen Therapien zu beachten ist, finden Sie in der nachfolgenden Tabelle. 

Biologische Therapien und Empfehlungsstärke
Einsatz für/gegen
Therapie
Empfehlungsstärke
Bei wem und wann (nicht) einsetzen?
DermatitisAloe Vera-haltige Cremes, Lotions oder Aloe Vera Gelesoll nichtOnkologische Patienten, zur Vorbeugung der Radiodermatitis
FatigueGinsengkannOnkologische Patienten
Guarana-Trockenextraktsollte nichtPatienten, die unter einer Chemotherapiebedingten Fatigue leiden
Lebensqualitätsubkutane Gabe von Mistelgesamtextrakt enthaltenden ArzneimittelnkannPatienten mit soliden Tumoren
Vitamin E und Beta-Carotin (Vitamin A)soll nichtPatienten mit Kopf-Hals-Tumoren während einer Radiotherapie
Ketogene Diätsollte nichtFrauen mit Ovarial- oder Endometrium­karzinom
Vitamin B12 und Folsäuresollte nichtLungenkarzinom- und Mesotheliom­patienten im fortgeschrittenen Stadium während einer Chemotherapie; norm­wertige Vitamin B12/Folsäure-Spiegel
Menopausale SymptomeCimicifuga racemosakannBrustkrebspatientinnen
Isoflavone (Soja)soll nicht
Vitamin Esoll nicht
MukositisNatriumselenitkannPatientinnen mit Gebärmutter- oder Gebärmutterhalskrebs und Selendefizit; Endpunkt: Mukosa des Beckenbereichs (Diarrhö)
NatriumselenitkannPatienten mit fortgeschrittenen Kopf-Hals-Tumoren und Selendefizit; Endpunkt: ­Mukosa des Mundes
Zink (Supplementation)kannOnkologische Patienten; Enpunkt: ­Bestrahlungsinduzierte Mukositis
Vitamin Esoll nichtPatienten mit Kopf-Hals-Tumoren unter Strahlentherapie; Endpunkt: behandlungsinduzierte Mukositits
Zinksoll nichtKrebspatienten mit Bestrahlung von ­Tumoren in der Hals-Kopf-Region oder der Speiseröhre; Endpunkt Chemotherapie­bedingte Mukositis
Vitamin Esollte nichtOnkologischen Patienten; Endpunkt: ­Chemotherapie-induzierte Mukositis
NeutropenieVitamin B12 und Folsäuresollte nichtLungenkarzinom- und Mesotheliom­patienten (im fortgeschrittenen Stadium) während Chemotherapie; normwertige Vitamin B12/Folsäure-Spiegel
OtotoxizitätVitamin Esoll nicht Patienten unter Cisplatin
Periphere PolyneuropathieCarnithinsoll nichtOnkologische Patienten; Endpunkt ­periphere taxaninduzierte Neuropathie
Vitamin Esoll nichtChemotherapie-induzierte Polyneuropathie
Übelkeit/ErbrechenIngwerkannKrebspatienten; zusätzlich zur leitliniengerechten Antiemese, Endpunkt zyto­statikainduziert
XerostomieKombination von Vitamin C und Vitamin Esollte nichtPatienten mit Kopf-Hals-Tumoren; Strahlentherapie-induzierter Xerostomie

Quelle: S3-Leitlinie Komplementärmedizin in der Behandlung von onkologischen PatientInnen; AWMF-Reg.-Nr. 032/055OL; www.awmf.org