
Wie der Lebensstil Anfällen vorbeugt Epilepsiebetroffene können das Krankheitsgeschehen zum Teil selbst beeinflussen

Patientinnen und Patienten mit neurologischen Erkrankungen sind seltener körperlich aktiv als gesunde Personen. Das gelte auch für Menschen mit Epilepsie, erklärte Prof. Dr. Barbara Tettenborn vom Swiss Brain Health Center in Zürich. Einer Metaanalyse aus dem Jahr 2020 zufolge bewegten sich die Betroffenen weniger und erzielten in Fitnesstests schlechtere Resultate.
Dieselbe Auswertung ergab aber auch, dass Epilepsieerkrankte von regelmäßiger sportlicher Betätigung profitieren. Mehr körperliche Aktivität ging nicht nur mit einer höheren Lebensqualität einher, sondern auch mit einer niedrigeren Anfallsfrequenz. Das hänge vermutlich mit den beteiligten Neurotransmittersystemen zusammen, so die Referentin – beim Sport werden Katecholamine wie Noradrenalin vermehrt ausgeschüttet.
Dass eine Kombination aus Ausdauer- und Krafttraining sinnvoll ist, zeigte eine randomisierte klinische Studie aus Brasilien. Ein zwölfwöchiges Übungsprogramm mit unterschiedlichen Arten von Belastung führte zu einer signifikant reduzierten Anfallshäufigkeit. Auch Lebensqualität und Stressniveau verbesserten sich. Einer Studie aus dem Jahr 2008 zufolge könnte körperliche Aktivität auch die Zahl plötzlicher ungeklärter Todesfälle bei Epilepsiebetroffenen senken.
Viele Patientinnen und Patienten haben die Sorge, während des Trainings einen Anfall zu erleiden. Zwar wurden in der Vergangenheit schon einzelne Anfallsereignisse mit starker körperlicher Belastung assoziiert, besonders bei einer strukturellen Epilepsie. Es gebe jedoch selbst für Intervalltraining und sehr große Anstrengung keine Hinweise auf eine generell anfallsinduzierende Wirkung, so Prof. Tettenborn. Für individuelle Entscheidungen kann ein Ergometer-EEG hilfreich sein.
Unfälle beim Schwimmen sind ein Sonderfall
Das Verletzungsrisiko ist für Menschen mit Epilepsie einigen Studien zufolge leicht erhöht, andere Untersuchungen fanden keinen Unterschied zu Gesunden. Eine Sonderstellung nehmen Schwimmunfälle ein: Sie sind die häufigste sportassoziierte Todesursache bei Epilepsie, mit einem vierfach gesteigerten Risiko für Erwachsene und einem sieben- bis vierzehnfach höheren Risiko für Kinder. Generalisierte Anfälle beginnen oft beim Ausatmen, weshalb die Betroffenen im Wasser absinken.
Kategorisch vom Sport auszuschließen ist jedoch keine Patientengruppe – so laute auch die internationale Empfehlung, stellte Prof. Tettenborn klar. Das gilt im besonderen Maß für Kinder. Denn auch Minderjährige mit Epilepsie treiben wenig Sport und sind Studien zufolge häufiger adipös als ihre gesunden Geschwister. Zugleich gibt es Hinweise, dass sich Sport langfristig positiv auf den Verlauf einer Epilepsie auswirken kann. „Betroffene Kinder daher bitte nicht generell vom Schulsport befreien“, mahnte die Referentin. In der Beratung gelte es, die individuelle Anfallssituation und das Gefahrenpotenzial verschiedener Sportarten zu berücksichtigen (siehe Kasten).
Neben der körperlichen Aktivität wirken sich auch Ernährung und Schlaf unmittelbar auf die Gesundheit von Epilepsiebetroffenen aus, erklärte Prof. Dr. Katja Menzler, Epilepsiezentrum Hessen am Universitätsklinikum Gießen und Marburg. Dabei sei wichtig zu wissen, dass sich die positiven Effekte dieser drei Lifestyle-Dimensionen nicht nur addieren, sondern gegenseitig verstärken.
Nach Schlafmangel kommt es bekanntermaßen häufiger zu Anfällen. Studien zufolge haben Patientinnen und Patienten in der Nacht vor einem epileptischen Anfall durchschnittlich ca. eine Stunde weniger geschlafen als sonst. Auch epilepsietypische Potenziale und eine höhere kortikale Erregbarkeit treten nach Schlafentzug vermehrt auf.
Dass eine gute Schlafqualität umgekehrt segensreich sein kann, zeigte eine Untersuchung mit Epilepsiekranken, die wegen einer schlafbezogenen Atmungsstörung eine CPAP**-Therapie begannen. Dies führte zu einer massiven Reduktion der nächtlichen epilepsietypischen Potenziale. Die Wirkung war ähnlich stark wie die eines Anfallssuppressivums, so die Referentin.
Auf die Rolle der Ernährung ging Dr. Wiebke Hahn von der Klinik für Neurologie Universitätsklinikum Marburg ein. Schon länger wird ein günstiger Einfluss der ketogenen Ernährung als Add-on zu Anfallssuppressiva diskutiert. Durch die fettreiche und kohlenhydratarme Kost wird der metabolische Zustand des Fastens imitiert, mit anfallssuppressiven Effekten.
Einem Cochrane-Review von 2020 zufolge erzielt die klassische ketogene Ernährung vor allem bei Kindern mit pharmakosresistenter Epilepsie durchschlagende Wirkung. Unter der Keto-Diät wurde eine signifikante Anfallsreduktion fast sechsmal häufiger erreicht als bei gewöhnlicher Ernährung, Anfallsfreiheit dreimal so oft. Die Evidenzqualität geben die Autorinnen und Autoren des Reviews allerdings als sehr niedrig bis niedrig an, so Dr. Hahn. Auch Langzeitstudien fehlen.
Welcher Sport bei Epilepsie?
Meistens gut möglich:
- Breitensport wie Fitnesstraining, Tanzen, Jogging, Wandern (ohne Absturzgefahr), Inline-Skating (auf Wegen ohne motorisierten Verkehr)
- Mannschaftssportarten wie Fußball, Handball, Volleyball
- Leichtathletik (außer Stabhochsprung und Wurfdisziplinen)
- Skilanglauf
Problematisch (nur bei erhaltener Körperbeherrschung im Anfall möglich):
- Reitsport
- alpiner Skisport (z. B. Abfahrt), Snowboarden
- Fahrradfahren
- Wassersport
Nicht geeignet:
- Motorsport
- Fallschirmspringen
- Drachenfliegen
- Boxen
- Diskus-, Speer- und Hammerwerfen
- Schießsport
Bei Sportarten mit Sturzgefahr muss grundsätzlich ein Helm getragen werden!
Verzicht auf Kohlenhydrate fällt Erwachsenen oft schwer
Für Erwachsene sind die Ergebnisse uneinheitlicher, was durch eine geringere Therapieadhärenz bedingt sein dürfte. Auch bei der „modifizierten Atkins-Diät“ (MAD), die weniger restriktiv ist als die klassische ketogene Ernährung, ist es um die langfristige Therapietreue oft schlecht bestellt.
Mittlerweile gibt es einige Hinweise darauf, dass ein streng ketogen gestalteter Speiseplan auch belastende sekundäre Symptome wie Schlafprobleme und Schwierigkeiten mit Konzentration und Gedächtnis lindern kann. Auf Depressivität und Ängste scheint die kohlenhydratarme Kost ebenfalls vorteilhaft zu wirken. Dies sei besonders wichtig, da Epilepsieerkrankte ein deutlich erhöhtes Risiko für Depressionen und Angststörungen haben, so Dr. Hahn.
Eine Alternative zur schwierig durchzuhaltenden ketogenen Diät könnten Nahrungsergänzungsmittel sein. In einer Machbarkeitsstudie nahmen Kinder und Erwachsene mit pharmakoresistenter Epilepsie dreimal täglich zu den Mahlzeiten ein dickflüssiges Getränk auf Basis von mittelkettigen Triglyceriden (MCT) ein. 38 % der Kinder und 50 % der Erwachsenen erreichten dadurch eine mindestens 50%ige Anfallsreduktion. Ein Drittel der Teilnehmenden brach die Studie jedoch vorzeitig ab, meist wegen gastrointestinaler Nebenwirkungen.
Auch Intervallfasten scheint zu einer signifikanten Reduktion von fokalen Anfällen und Myoklonien zu führen (nicht aber von generalisierten Anfällen). Das ergab eine ägyptische Studie mit Betroffenen, die während des Ramadans durchschnittlich 16 Stunden am Tag fasteten. In einer eigenen Studie untersucht die Referentin derzeit eine Kombination von Intervallfasten und einer MCT-basierten Supplementierung.
Quelle: 13. Dreiländertagung 2025*
* Gemeinsame Jahrestagung der Deutschen und Österreichischen Gesellschaft für Epileptologie und der Schweizerischen Epilepsie-Liga
** continous positive airway pressure