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Altersdepression „Existenzielle Bedrohung und Stress“

Autor: Friederike Klein

Die Befragten hatten häufig niemanden, mit dem sie ihre Sorgen und Ängste teilen konnten. Die Befragten hatten häufig niemanden, mit dem sie ihre Sorgen und Ängste teilen konnten. © iStock/Hartmut Kosig
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Wie steht es in Deutschland um die altersdepressiven Menschen? Welche Folgen hat für sie eine unzureichende Behandlung? Und wie wirkt sich die Pandemie auf ihr Gemüt aus? Mit solchen Fragen beschäftigte sich die Studie CBTlate.

In der Studie CBTlate nahmen Patienten randomisiert entweder an 15 ambulanten Sitzungen einer speziell entwickelten kognitiven Verhaltenstherapie für Altersdepression (CBTlate life) teil oder erhielten eine supportive non-direktive Psychotherapie. CBT steht für Cognitive Behavioural Therapy, das late bezieht sich auf die vulnerable Gruppe der Menschen mit Altersdepression Ü60. Die Studie startete bereits 2017 und bietet somit zusätzlich die Möglichkeit, Daten von vor Beginn der COVID-19-Pandemie mit denen in der Pandemie zu vergleichen, berichtete Dr. Moritz Elsaeßer von der Universität Freiburg. Dafür wurde in einem Studienzusatz ein weiterer Erhebungszeitraum zwischen 8. Mai und 27. Juli 2020 eingeplant – nach Ende der ersten Welle und des ersten Lockdowns.

Logistische Probleme spielten eine untergeordnete Rolle

In diesem Zeitraum wurden 154 Probanden telefonisch hinsichtlich Depressivität, Ängstlichkeit, Schlaf und Einsamkeit befragt. Die Pandemie beeinträchtige fast alle der Antwortenden, so Dr. Elsaeßer. Am häufigsten durch die Reduktion der Kontakte (74 %), gefolgt von der psychischen Verfassung, der Depressivität und den Ängsten (je etwa 60 %). Logistische Probleme, z.B. bei Einkauf oder medizinischen Behandlungen, spielten eine untergeordnete Rolle. 11 % gaben allerdings an, auch Probleme beim Zugang zu Medikamenten gehabt zu haben.

Die Psychotherapie war moderat wirksam. Aus den Daten vor der Pandemie geht hervor, dass die altersspezifische Depressivität gemessen anhand der Geriatrischen Depressionsskala nach den Sitzungen wieder leicht zunahm. In der Pandemie setzte sich dieser Trend fort, aber ohne im Mittel wieder den Ausgangswert zu erreichen. Ähnliche Verläufe ergaben sich für die Selbsteinschätzung von Ängstlichkeit und Schlaf.

Insgesamt blieb eine massive Verschlechterung bei den über 60-Jährigen mit moderater oder schwerer Depression aus. Etwa drei von vier Therapiesitzungen in der Pandemie hatten stattgefunden. 65 % der Befragten gaben explizit an, dass ihnen die CBTlate life geholfen hatte. Auch Dr. Elsaeßer bewertete den Effekt bei der Bewältigung der Pandemiesituation als gut. Als weitere mögliche protektive Faktoren nannte er:

  • finanzielle Sicherheit
  • Rückzugsmöglichkeiten wie Balkon, Terrasse oder Garten
  • Erfahrungen aus der Nachkriegszeit (subjektives Empfinden der Befragten)
  • gute Tagesstrukturierung (die Befragten verließen zudem täglich einmal die Wohnung)

Nach eigenen Angaben hielten sich die Studienteilnehmer zudem an gesetzliche Vorgaben, pflegten regelmäßige Kontakte und nahmen sich selbst als nicht sehr stark von der Infektion bedroht wahr.

Dr. Elsaeßer betonte allerdings, dass man nicht nur die Mittelwerte betrachten dürfe. Immerhin gaben 51,7 % der Teilnehmer in der 20 Items umfassenden UCLA Loneliness Scale an, hoch einsam zu sein. Diese Menschen lebten seltener mit einem Ehepartner zusammen, waren häufiger geschieden und befanden sich häufiger in psychia­trischer Behandlung. Kontakte über Telefon, Mail, Video oder elektronische Nachrichtendienste hatten sie im Vergleich zu Nicht-Einsamen weniger­.

Und die Pandemie steigerte dieses starke Einsamkeitsgefühl: Die Befragten hatten häufig niemanden, mit dem sie ihre Sorgen und Ängste teilen konnten. Jeder Dritte wusste niemanden, an den er oder sie sich in einer Notsituation wenden könnte. „Das schafft eine existenzielle Bedrohung und Stress“, betonte Dr. Elsaeßer. Bei dieser vulnerablen Gruppe war die Depressivität und Ängstlichkeit in der Pandemie deutlich angestiegen, während dies bei den nicht einsamen Menschen nicht der Fall war.

* Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde

Quelle: DGPPN* Kongress 2021