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Fraktur des Kahnbeins wird oft übersehen

Autor: Dr. Dorothea Ranft

Nicht immer lässt sich eine Kahnbeinfraktur im Röntgen erkennen. Im Zweifel braucht’s die MRT. Nicht immer lässt sich eine Kahnbeinfraktur im Röntgen erkennen. Im Zweifel braucht’s die MRT. © wikimedia/Sjoehest
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Ein 25-jähriger Fußballtorwart sucht nach einer Extensionsverletzung im rechten Handgelenk die Notaufnahme auf. Doch weil die Röntgenbilder nichts Auffälliges zeigen, schicken ihn die Ärzte wieder nach Hause. Seine Scaphoidfraktur fällt erst sechs Wochen später auf – ein typischer Fall.

Kahnbeinfrakturen entstehen meist durch einen Sturz auf die gestreckte Hand, aber auch Verkehrsunfälle mit einem Aufprall auf das Lenkrad oder ein unsanfter Ballkontakt können die Ursache sein, schreiben Onur Berber, Handchirurg am Whittington Hospital in London, und seine Kollegen.

Ein typisches klinisches Zeichen der Scaphoid-Fraktur ist die Druckdolenz der Tabatière und des Tuberculum ossis scaphoidei. Außerdem findet sich oft ein Stauchungsschmerz bei longitudinaler Daumenkompression. Die Kombination dieser drei Zeichen erhöht die diagnostische Genauigkeit beträchtlich: Eine prospektive Studie ergab eine Sensitivität von 100 % und eine Spezifität von 74 %. Ein Patient, der in den ersten 24 Stunden nach der Verletzung keines dieser Zeichen aufweist, hat also höchstwahrscheinlich auch keine Fraktur. Allerdings verschwinden diese Akutsymptome rasch, nach 48–72 Stunden ist auf sie kein Verlass mehr.

Röntgen aus vier Richtungen bei Verdacht wiederholen

Die klassischen Röntgenaufnahmen des Handgelenks in zwei Ebenen vermögen eine Scaphoidfraktur nicht zuverlässig zu detektieren. Deshalb sollten Patienten mit klinischem Verdacht so früh wie möglich eine spezielle Untersuchung mit Zielaufnahmen aus vier Richtungen (Kahnbeinquartett) erhalten. Allerdings lässt sich auch mit dieser Röntgenserie ein Bruch nicht völlig ausschließen, betonen die Autoren, in einer Studie wurden 16 % der Fälle übersehen. Bei fortbestehendem Verdacht wiederholt man die Aufnahmen nach 7–10 Tagen und ergänzt sie im Zweifel durch eine Schnittbildgebung. Die Experten favorisieren dafür das MRT wegen der höheren Sensitivität (94 %) und Spezifität (98 %) sowie der Möglichkeit, andere Knochen- und Weichteilläsionen zu erkennen.

Das Handgelenk sechs bis acht Wochen ruhigstellen

Therapeutisch steht bei vermuteter oder nachgewiesener Scaphoidfraktur die Immobilisation des Handgelenks an ers­ter Stelle – mit Schiene oder mit einem Unterarmgips. Nicht dislozierte Frakturen im mittleren Drittel des Scaphoids und am dis­talen Ende werden üblicherweise für sechs bis acht Wochen ruhiggestellt, was in mehr als 95 % der Fälle zur Abheilung führt. Der Einschluss des Daumens ist dabei nicht erforderlich.

Ein kleiner Teil der Patienten (inklusive Sportler) mit nicht oder nur minimal dislozierter Fraktur profitiert von einer frühzeitigen chirurgischen Intervention. Dadurch können sie ihre Arbeit und das Training früher wieder aufnehmen. Dislozierte Frakturen (> 1–2 mm) im mittleren Drittel des Scaphoids bedürfen in jedem Fall der operativen Versorgung (kopflose Schraube). Auch Brüche im proximalen Drittel des Kahnbeins werden primär chirurgisch therapiert, denn mit Gips kommt es in einem Drittel dieser Fälle zu einer Pseudarthrose.

Wichtig bei allen Scaphoidfrakturen: die frühzeitige Therapie – spätestens innerhalb von vier Wochen. Falls dies nicht gelingt, droht ein persistierendes Falschgelenk mit nachfolgender Handgelenksarthrose. Außerdem kann die unterbrochene Blutversorgung zu einer posttraumatischen avaskulären Nekrose des proximalen Kahnbeinfragments führen.

Quelle: Berber O et al. BMJ 2020; 369: m1908; DOI: 10.1136/bmj.m1908