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Suizidrisiko Häufige Selbsttötungen bei Krebspatient:innen nach einem chirurgischen Eingriff

Autor: Dr. Miriam Sonnet

Bei Krebspatient:innen, welche aufgrund eines Tumors operiert wurden, ist ein gesteigertes Suizidrisiko erkennbar. Bei Krebspatient:innen, welche aufgrund eines Tumors operiert wurden, ist ein gesteigertes Suizidrisiko erkennbar. © Stanislaw Mikulski – stock.adobe.com
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Werden Patient:innen aufgrund eines Tumors operiert, so weisen sie im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung ein gesteigertes Suizidrisiko auf. Dieses scheint sich unter anderem je nach Krebsentität und Prognose zu unterscheiden. Wichtig sind frühzeitige Screenings und der Zugang zu Selbsthilfegruppen.

Zwischen 6 % und 38 % der Krebserkrankten, die operiert werden, entwickeln schwere depressive Symptome, schreibt eine Arbeitsgruppe um Alexandra­ L. Potter vom Massachusetts General Hospital in Bos­ton. Sie evaluierten in einer retrospektiven Kohortenstudie daher die Suizidinzidenz unter Tumorpatient:innen, die sich einem chirurgischen Eingriff unterzogen hatten und prüften darüber hinaus, zu welchem Zeitpunkt die Selbsttötungen nach dem Eingriff stattfanden. 

Die Grundlage bildete die SEER*-18-Datenbank, die Informationen zu Krebsinzidenz, Therapie und Mortalität – darunter auch Selbsttötungen – zwischen 2000 und 2016 von 18 populations­basierten US-Registern enthält. Die Forschenden berechneten u.a. die standardisierten Mortalitätsraten (SMR), also die Suizidinzidenz unter Krebspatient:innen
verglichen mit derjenigen in der allgemeinen Bevölkerung.

1.811.397 Personen hatten sich im Studienzeitraum einem chir­urgischen Eingriff aufgrund ihres Tumors unterzogen. Während einer medianen Follow-up-Zeit von 4,6 Jahren hatten sich 1.494 Betroffene (0,08 %) das Leben genommen, nachdem sie operiert worden waren. Das entsprach einer Rate von 14,5 Selbsttötungen pro 100.000 Personenjahre. Die Suizidinzidenz unter den Patient:innen war im Vergleich zur allgemeinen Bevölkerung signifikant erhöht (SMR 1,29). Betrachteten die Forschenden die SMR individuell, so ergaben sich auch hier gesteigerte Raten für Tumoren von Larynx (SMR: 4,02), Mundhöhle und Pharynx (2,43), Ösophagus (2,25), Blase (2,09), Pankreas (2,08), Lunge (1,73), Magen (1,70), Eier­stöcke (1,64), Gehirn (1,61) sowie Kolon und Rektum (1,28). Im Fall von Krebsentitäten mit einer Gesamtüberlebensrate nach fünf Jahren von mehr als 80 % fanden sie keine erhöhten Suizidraten.

Strategien zur Prävention

In ihrem Editorial beschreiben Prof. Dr. Craig J. Bryan, Department of Psychiatry and Behavioral Health, The Ohio State University, Columbus, und Kolleg:innen, wie sich die Suizidraten in der Gruppe der Krebserkrankten, die sich einer Operation unterziehen, möglicherweise verringert werden können.

Personen mit einer psychischen Erkrankung oder erhöhtem emotionalen Distress solle man einem Screening auf das Suizidrisiko zuführen.

  • Hürden, die ein solches Screening verhindern (u.a. fehlendes Wissen oder Training), können durch die Anwendung evidenzbasierter Screenings, Bewertungen und Therapiestrategien umgangen werden.
  • Personen mit einer psychischen Erkrankung oder die positiv auf emotionalen Distress getestet wurden, sollten mit validierten Tools auf Sui­zidgedanken hin untersucht werden, zum Beispiel mit dem Patient Health Questionnaire-9. Die Implementierung der Suicide Cognitions Scale könne die Risikoerkennung und Stratifizierung verbessern.
  • Patient:innen mit Suizidgedanken sollten ein komplettes Suizidrisikoassessment erhalten; dieses beinhaltet sowohl historische als auch dynamische Risiken sowie protektive Faktoren. 
  • Den größten Erfolg im Hinblick auf die Suizidprävention erzielten ambulante kognitive Verhaltenstherapien und Problemlösungstrainings.
  • Safety-Planning-Interventions können kombiniert mit anderen psychiatrischen Therapien ein Selbsttötungsverhalten verringern. Das Crisis-Response-Planning sollte in die medizinische Routine implementiert werden.

Quelle:
Bryan CJ et al. JAMA Oncol 2023; DOI: 10.1001/jamaoncol.2022.6373

Rund 3 % der Selbsttötungen erfolgen innerhalb des ersten Monats, 21 % innerhalb eines Jahres und 50 % innerhalb von drei Jahren nach der Operation, wie die Autor:innen schreiben. Die mediane Zeit zwischen chirurgischem Eingriff und Suizid reichte dabei von 11,5 Monaten (Hirntumoren) bis 78 Monate (Gebärmutterhalskrebs). 

Singles, Geschiedene und Männer häufiger betroffen

Insgesamt wiesen Männer höhere Selbsttötungsraten als Frauen auf und das Risiko war bei Geschiedenen oder Menschen ohne Partner höher als bei den verheirateten. Schwarze und asiatische Personen hatten im Vergleich zu Weißen ein niedrigeres Risiko, sich das Leben zu nehmen. Gleiches galt für ältere vs. jüngere Erkrankte, für zusätzlich bestrahlte vs. nicht-bestrahlte Betroffene und für Patient:innen mit Fernmetastasen vs. solchen mit lokalisierter Erkrankung.

Die Unterschiede in der Suizid­inzidenz je nach Krebsart scheinen zumindest teilweise mit der Prognose in Verbindung zu stehen, resümieren die Autor:innen. Depressionen und Hoffnungslosigkeit, die sich aus einer schlechten Prognose ergeben, könnten den Kolleg:innen zufolge diese Variationen erklären. Tumoren mit niedrigen Gesamtüberlebensraten nach fünf Jahren und höherer standardisierter Mortalitätsrate waren mit einer kürzeren Zeit zwischen Operation und Selbsttötung assoziiert. Die Daten unterstreichen, wie wichtig es ist, Betroffenen den Zugang zu Selbsthilfegruppen zu erleichtern und postoperativ regelmäßige Distress-Screenings speziell für operierte Krebspatient:innen anzubieten, lautet das Fazit der Arbeitsgruppe­.

* Surveillance, Epidemiology, and End Results Program

Quelle:
Potter AL et al. JAMA Oncol 2023; DOI: 10.1001/jamaoncol.2022.6549


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