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Herzkrank und Sex – geht das?

Autor: Dr. Sascha Bock

Sprechen Sie mit Ihren Patienten über das tatsächliche Herzrisiko beim Sex. Sprechen Sie mit Ihren Patienten über das tatsächliche Herzrisiko beim Sex. © iStock/Professor25
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Kann ich nach der Bypass-OP noch Sex haben? Was, wenn während des Geschlechtsverkehrs mein Defi losgeht? Nicht alle Herzkranken trauen sich, solche Fragen zu stellen. Daher müssen Sie das Thema auf den Tisch bringen und die Patienten – soweit möglich – beruhigen.

Neben den physischen Vorteilen wie verbesserte Fitness und Schmerzreduktion bringt Sex auch einen emotionalen Zugewinn mit sich – in Form von Intimität, Stressreduktion und einem stärkeren Selbstbild. Denken Sie also nicht, die Aktivität sei nur ein Luxus, den ein Herzkranker sich irgendwann nicht mehr leisten kann bzw. darf, mahnte Professor Dr. Tiny Jaarsma von der Universität Linköping.

Wer die Fragen seiner Patienten unbeantwortet lässt, könnte sogar deren Partnerschaft gefährden. Deshalb kommt es auf eine wiederholte individuelle Beurteilung der sexuellen Gesundheit an (s. Kasten). Mitunter genügen dann allgemeine Informationen, manche profitieren von weiteren Interventionen wie kardiologischer Rehabilitation oder kognitiver Verhaltenstherapie. Bei der Einschätzung helfen diverse Publikationen wie das Scientific Statement on Sexual Activity der AHA**. Betroffene finden zusätzlichen Rat auf Informations-Webseiten wie heartfailurematters.org.

Was ist sexuelle Gesundheit?

Sexuelle Gesundheit geht über die erektile Funktion hinaus. Die Definition umfasst einen Status physischen, emotionalen, mentalen und sozialen Wohlbefindens. Manche verstehen darunter ein gemeinsames Frühstück in der Badewanne. Als Arzt ist es somit wichtig zu wissen, was die Patienten noch wollen, und sein eigenes Verständnis von Sex im Gespräch mitunter außen vor zu lassen.

Selten übersteigt der Puls 130 bzw. der Druck 170 mmHg

Viele Fragen drehen sich um die Risiken durch den Geschlechtsverkehr, u.a. um den plötzlichen Herztod. Schätzungen zufolge erhöht eine Stunde an zusätzlicher sexueller Aktivität pro Woche das absolute Risiko eines solchen Ereignisses um 1/10 000 Personenjahre. „Ist das jetzt viel oder nicht, beispielsweise verglichen mit der Gefahr beim Autofahren?“, fragte Prof. Jaarsma. Ein konkreter Blick auf die kardiale Belastung zeigt: „Für das Herz ist es gar nicht so viel Arbeit, Sex zu haben.“ Während des Vorspiels steigen Herzfrequenz und Blutdruck mild an, bei Erregung vorrübergehend schon etwas stärker. Selten übersteigen die Parameter 130 Schläge/min bzw. 170 mmHg systolisch (falls normotensiv). Und nach einem Orgasmus stellt sich rasch wieder der Ausgangszustand ein. Die sexuelle Aktivität älterer Herzkranker entspricht in etwa einem metabolischen Äquivalent (MET) von 5, also einer moderaten Anstrengung.

Hohes Risiko bei Instabilen oder Therapierefraktären

Zum Vergleich: Gesunde verbrauchen während der Selbstbefriedigung 1,7 MET, während des Beischlafs bis 3,3. Treppensteigen hat ein MET von 3–5, für Gartenarbeit liegt es bei 3 und Bodenputzen kos­tet 7,5 MET. „Reden wir etwa darüber, dass Patienten nicht mehr den Boden schrubben dürfen?“, sagte die Referentin zur Veranschaulichung. Sogar für Herzinsuffiziente im Stadium NYHA III schließe die AHA Geschlechtsverkehr nicht vollständig aus. Betroffene müssen allerdings stabil und optimal therapiert sein. Gemäß der Princeton-Konsensus-Empfehlungen lassen sich Patienten je nach kardialem Risiko in drei Gruppen einteilen. Keine signifikante Herzgefahr beim Koitus besteht für gut eingestellte Hypertoniker, diejenigen mit milder Klappenerkrankung und Herzschwache, die 5 MET ohne Ischämiezeichen schaffen (NYHA I–II). Ein intermediäres Risiko gilt es auf dem Laufbandergometer (Bruce-Protokoll) weiter abzuklären. Hierunter fallen u.a. eine stabile Angina und eine NYHA-Klasse III. Instabile oder therapierefraktäre Personen gehören in der Regel zur Hoch­risikogruppe. Ob sexuelle Aktivität dieses Risiko wert ist, kann der Arzt letztlich schwer entscheiden. „Wir sind aber verpflichtet, darüber zu reden“, appellierte Prof. Jaarsma. Und genau das erwarten die Patienten! Einer Befragung zufolge hält jeder dritte Herzkranke es für notwendig, dass ein Mediziner das Thema in einer Konsultation auf den Tisch bringt. Viele wünschen sich Ratschläge und weitere Informationen, um dann zu Hause z.B. über die Einnahme von PDE-5-Hemmern nachdenken zu können.

Sextipps für Herzinsuffiziente

  • ruhigen Zeitpunkt wählen, zu dem man entspannt ist und nicht unter Druck steht
  • Sex nach schwerer Mahlzeit (ca. 1 h danach) oder übermäßigem Alkoholkonsum vermeiden
  • in einen angenehmen, vertrauten Raum zurückziehen (ungestört, nicht zu heiß, nicht zu kalt)
  • Vorspiel zum Aufwärmen nutzen, um den Körper an das erhöhte Aktivitätsniveau zu gewöhnen
  • weniger anstrengende Positionen bevorzugen
  • bei Unwohlsein, Kurzatmigkeit oder Müdigkeit: Pause einlegen und erst etwas ausruhen

Quelle: heartfailurematters.org

Betroffene nach Aktivitäten und Symptomen fragen

So mancher sorgt sich auch vor Komplikationen, die durch ein Device entstehen. Beraten Sie Personen mit Herzunterstützungs­system daher genauso wie den Defi-Träger, der grundlos befürchtet, seiner Partnerin im Falle eines Schocks ebenfalls einen Stromstoß zu verpassen. Vermeiden sollte man allerdings Aussagen wie „Sie müssen ab jetzt immer unten liegen“. Haben Patienten das Gefühl, diesen ärztlichen Rat befolgen zu müssen, kann das beim Sex mitunter noch mehr stressen, sagte die Expertin. Sie empfahl: Fragen Sie die Betroffenen, was sie tun und ob sie Symptome dabei haben.

Quelle: ESC* Congress 2019

* European Society of Cardiology
** American Heart Association