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Sexualität Wie Stigmatisierung die Lust im Alter behindert

Autor: Dr. Sonja Kempinski

Auch Senioren haben Lust. Das wird häufig vergessen. Auch Senioren haben Lust. Das wird häufig vergessen. © iStock/theo_stock
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Gereifter Sex ist ein Tabuthema. Sowohl in der Gesellschaft als auch in den meisten Arztpraxen. Das ist schade, denn Sex ist auch für ältere Menschen wichtig. Und viele von ihnen hätten gerne Hilfe bei den körperlichen Problemen, die der Erfüllung ihrer Wünsche im Weg stehen.

Sexuelle Zufriedenheit steigert das subjektive Wohlbefinden und nützt sowohl der körperlichen als auch der psychischen Gesundheit. Das gilt nicht nur für junge Leute. Auch bei älteren Menschen geht fehlender Sex mit reduziertem Selbstbewusstsein, Unsicherheit und einem gestörten Selbstbild einher, schreiben Friederike­ ­Schröck von der Abteilung für neurodegenerative Erkrankungen und geriatrische Psychiatrie der Uniklinik Bonn und Kollegen.

Neben einem fehlenden Partner torpedieren im Alter zahlreiche weitere Faktoren das gesunde Sexleben. So erschweren häufig schon die altersbedingten Veränderungen der Geschlechtsorgane einen befriedigenden Akt. Bei Männern altert der Penis mit, er wird kürzer und schlaffer, was an der Reduktion der elastischen Fasern und der glatten Muskulatur liegt. Außerdem nimmt seine Sensibilität ab. Dies und die im Alter häufigen Komorbiditäten führen dazu, dass bei über 70-Jährigen Schwere und Prävalenz der erektilen Dysfunktion sprunghaft zunehmen.

Auch bei Frauen schlägt das Alter auf die Sexualität. In einer Studie mit über 13.000 Frauen litten 39 % an mindestens einer postmeno­pausalen sexuellen Störung. Diese reichen von Scheidentrockenheit über Dyspareunie aufgrund von Rektozelen oder Uterusprolaps bis hin zu sexueller Dysfunktion nach Hysterektomie oder Krebs-OP. Zusätzlich zu all diesen Problemen „vor Ort“ kann auch eine Vielzahl somatischer Erkrankungen zu einer sexuellen Dysfunktion führen. Viele der Störfaktoren lassen sich behandeln, womit die medizinischen Bedingungen für eine erfüllte Alterssexualität besser sind denn je, schreiben die Autoren. Trotzdem ist Sex im Alter immer noch ein Tabuthema. Das führt dazu, dass auch in Arztpraxen oder Pflegeheimen kaum darüber gesprochen wird. Dabei wünschen sich viele ältere Menschen mit sexuellen Problemen ein entlastendes Gespräch mit ihrem Arzt, wenn nicht gar therapeutische Hilfe. 

Krankheiten als Sexbremse

Nahezu alle chronischen Erkrankungen können das Sexleben beeinträchtigen. Im Alter besonders häufig sind dies:

Dass es dazu viel zu selten kommt, zeigen verschiedene Studien. In einer davon bekamen von 75 % der weiblichen Probanden mit sexuellen Dysfunktionen nur 55 % die nötige Ansprache durch ihren Arzt. Bei Männern mit erektiler Dysfunktion war die Kluft zwischen Wunsch und Wirklichkeit noch größer: 85 % litten darunter, aber nur 10 % wurden einer Therapie zugeführt.

In der westlichen Kultur gilt Senioren-Sex als inakzeptabel

Wichtiger Grund für die Sprachlosigkeit ist die öffentliche Stigmatisierung. Zahlreiche Studien ergaben, dass Sex von Senioren in der westlichen Kultur als inakzeptabel gilt. In den Medien werden alte Menschen meist als gebrechlich und asexuell dargestellt. Oft reduziert man sie auch auf kognitive Störungen, vor allem auf Demenzen. Die Tatsache, dass es bei 2–17 % der dementen Menschen zu sexuellen Übergriffen kommt, hat zu der pauschalen Ansicht geführt, dass Senioren sexuelle Bedürfnisse nur krankheitsbedingt ausleben. Dass sich aufgrund der öffentlichen Stigmatisierung viele kognitiv gesunde alte Menschen gar nicht trauen, ihre Sexualität zu leben und damit einhergehende Probleme zu thematisieren, findet dabei keinerlei Berücksichtigung. 

Die Rolle psychischer Störungen

Sexuelle Dysfunktionen haben gar nicht so selten psychische Probleme wie reduziertes Selbstbewusstsein, Körperschemastörungen, aber auch manifeste Depression zur Folge. Doch es geht auch vice versa: So ist beispielsweise die Depression ein relevanter Risikofaktor für die erektile Dysfunktion. Auch Angst­erkrankungen, Borderline-Störungen, chronischer Stress oder die posttraumatische Belastungsstörung können die sexuelle Gesundheit erheblich beeinträchtigen.

Die Stigmatisierung der Alters­sexualität hat erhebliche Folgen, betonen die Autoren. Ärzte sollten deshalb das Thema bei der Anamnese keineswegs ausklammern, sondern aktiv ansprechen. Denn die Förderung und der Erhalt der sexuellen Gesundheit sind auch im höheren Lebensalter relevant.

Quelle: Schröck F et al. Nervenheilkunde 2021; 40: 1001-1006; DOI: 10.1055/a-1467-7131