Anzeige

Hypophysenadenom Hormonfunktion und Sehvermögen retten

Autor: Dr. Dorothea Ranft

Blick durch das OP-Mikroskop in den eröffneten Seitenventrikel: Es zeigt sich eine mit dem Tumor ausge­füllte Ventrikelhöhle. Blick durch das OP-Mikroskop in den eröffneten Seitenventrikel: Es zeigt sich eine mit dem Tumor ausge­füllte Ventrikelhöhle. © Schulz C et al. Wehrmedizinische Monatsschrift 2021; 65: 191-198 © Beta Verlag & Marketinggesellschaft mbH, Bonn
Anzeige

Selbst riesige Hypophysenadenome können heute komplett reseziert werden. Dadurch lassen sich Sehvermögen und hormonelle Funktion bei den meisten Patienten erhalten. Damit dies gelingt, müssen oft mehrere Fachdis­ziplinen zusammenarbeiten.

Hypophysenadenome sind häufig endokrin inaktiv. Der Vorteil: Hormonelle Exzesse bleiben aus. Der Nachteil: Die Tumoren können lange unbemerkt heranwachsen und beträchtliche Größen erreichen. Bei einem Durchmesser > 10 mm spricht man von einem Makroadenom, bei einer Ausdehnung > 40 mm mit suprasellärem Wachstum von einem Giant-Adenom, erklären Privatdozent Dr. Chris Schulz und Kollegen vom Bundeswehrzentralkrankenhaus in Ulm.

Tumor möglichst komplett entfernen

Symptome entwickeln sich aufgrund des langsamen Wachstum oft nur schleichend. Es kommt zu Gesichtsfeldausfällen, Visusreduktion und gestörter Bulbusmotilität. Häufig fällt eine Mindersekretion hypophysärer Hormone auf. Plötzlich auftretende ophthalmologische und endokrine Defizite weisen auf einen extrem großen Tumor oder eine Einblutung (Hypophysenapoplexie) hin und sind als Notfall zu werten.

Um die Funktion des visuellen und endokrinen Systems zu erhalten bzw. wiederherzustellen, muss der Tumor rasch reseziert werden. In früheren Zeiten begnügte man sich mitunter damit, die Adenommasse zu reduzieren, um die Probleme des Patienten passager zu lindern. Heute dagegen gilt die funktionserhaltende (selektive) Komplettresektion auch in der Notfallsituation als Standard. Damit die OP gelingt, braucht man eine gute interdisziplinäre Zusammenarbeit – am besten in einem zertifizierten Spezialzentrum mit 24-Stundenbereitschaft.

Das optimale Armamentarium für Sella-Eingriffe

  • moderne OP-Mikroskope zur Visualisierung des Eingriffs
  • 4K-fähige Endoskopie-Systeme zur Visualisierung v.a. lateral und kranial hinter den ossären Rändern der Sella
  • Neuronavigation zur sicheren Lokalisation der anatomischen Strukturen
  • intraoperative MRT zur Kontrolle des Resektionsausmaßes
  • intraoperative Tumor-Fluoreszenz zur Markierung des vitalen Tumorgewebes
  • intraoperative Mikro-Dopplersonographie zur sicheren Identifikation der A. carotis bei Verlaufsvarianten
  • intraoperatives Neuromonitoring (VEP zur Bestimmung der Sehnervenfunktion bei Tumorkontakt zum Chiasma opticum, EMG zur Kontrolle über die Augenmuskelnerven bei Infiltration des Sinus cavernosus)
  • intraoperative Hormonbestimmung zur Kontrolle der kompletten Tumorresektion (besonders bei Prolaktinom und STH-produzierendem Adenom)

Ein wie auch immer geartetes Konkurrenzdenken zwischen Neurochirurg und HNO-Arzt muss ausgeschlossen sein, betonen Dr. Schulz und Kollegen. Wird über den transnasalen-transsphenoidalen Standardzugang zur Sellaregion operiert, sollte ein HNO-Arzt zumindest beteiligt sein. Bei nasal voroperierten Patienten oder einem stark deformierten Nasenseptum, hat ein versierter HNO-Chirurg Vorrang vor dem Neurochirurgen. Kann transnasal nicht operiert werden, ist der Sinus sphenoidalis auch über einen sublabialen oder paraorbitalen Zugang zu erreichen. Dann sollten ein Mund-Kiefer-Gesichtschirurg bzw. ein operativ versierter Augenarzt ins Team geholt werden.

Ein Fall: Mehrfachresektion bei Giant-Tumor nötig

Wie die Versorgung eines Patienten mit Giant-Tumor ablaufen kann, verdeutlichen die Autoren u.a. am Beispiel eines 37-jährigen Patienten. Als dieser die Notaufnahme des Bundeswehrzentralkrankenhauses aufsuchte, litt er schon seit Wochen an einer progredienten Sehstörung. Er fühlte sich schlapp und wurde zunehmend durch Müdigkeit und Brechreiz geplagt. Die ophthalmologische Untersuchung ergab die für Hypophysenadenome typische bitemporale Hemianopsie und einen beidseits erheblich eingeschränkten Visus. Labordiagnostisch fielen eine Elektrolytstörung und ein stark erniedrigter Cortisolspiegel auf. Die übrigen Hormonspiegel waren unauffällig. In der MRT zeigte sich ein großer Tumor, der von der Sella ausging und bis zum Dach des Seitenventrikels reichte. Die wahrscheinlichste Diagnose: hormon­inaktives Giant-Adenom.

Über einen transnasalen Zugang gelang es zwar, einen Großteil der Tumormasse in der Sellaebene zu entfernen. Die vollständige Resektion scheiterte jedoch an der Festigkeit und Unbeweglichkeit des Adenomgewebes sowie der starken Blutungsneigung. Ein weiteres Problem: Anteile des Tumors reichten weit suprasellär bis ins Ventrikelsystem und verlagerten sich auch nicht spontan zur Sella hin. Daher erfolgte im zweiten Schritt die transkranielle Resektion über einen transfrontalen-transkortikalen Zugang zum rechten Seitenventrikel. Doch auch jetzt war keine komplette Entfernung des Tumors möglich. Immerhin senkte sich das verbliebene adenomatöse Gewebe innerhalb weniger Wochen spontan in die Sellaebene, wo es wiederum per transnasalem Zugang in der Masse dezimiert werden konnte. Der nicht entfernbare kleine supraselläre Rest zeigte bis zwei Jahre nach dem letzten Eingriff weder eine Wachstumstendenz noch verursachte er klinische Symptome. Die Sehfähigkeit des jungen Patienten hatte sich deutlich verbessert. Er benötigte zwar noch eine Kortisolsubstitution, wies aber keine weiteren hypophysären Funktionsstörungen auf. Eine Komplettresektion des verbliebenen Tumorgewebes könnte über einen transkraniellen-pterionalen Zugang zwar gelingen, ist aber nur dann indiziert, wenn sich eine Wachstumstendenz zeigt oder endokrine Symptome auftreten. Als Alternative böte sich eine stereotaktische Einzeitbestrahlung an. Aufgrund des stabilen Befundes und in Übereinstimmung mit der Leitlinie entscheiden sich Dr. Schulz und seine Kollegen bei ihrem Patienten für ein abwartend-kontrollierendes Vorgehen.

Quelle Text und Abb.: Schulz C et al. Wehrmedizinische Monatsschrift 2021; 65: 191-198 © Beta Verlag & Marketinggesellschaft mbH, Bonn