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Krebstherapie Junge Betroffene überschätzen ihr Risiko für Unfruchtbarkeit

Autor: Dr. Melanie Söchtig 

Viele Patient:innen, die jung an Krebs erkranken, befürchten nach einer Behandlung unfruchtbar zu sein. Eine Studie beweist das Gegenteil. Viele Patient:innen, die jung an Krebs erkranken, befürchten nach einer Behandlung unfruchtbar zu sein. Eine Studie beweist das Gegenteil. © sommart – stock.adobe.com
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Viele Patient:innen, die sich in jungen Jahren einer onkologischen Behandlung unterziehen müssen, haben das Gefühl, danach unfruchtbar zu sein. Mit dieser Einschätzung scheinen sie jedoch oft falsch zu liegen, wie eine aktuelle Studie zeigt.

Eine Krebsdiagnose im fortpflanzungsfähigen Alter ist gerade für Personen mit Kinderwunsch ein harter Schlag. So ist bekannt, dass Betroffene im Vergleich zu ihren Geschwistern ohne Krebs sowie zu Überlebenden einer Tumorerkrankung im Kindesalter häufiger an Infertilität leiden und seltener eine Lebendgeburt haben. 

Obwohl es dennoch möglich ist, nach einer überstandenen Krebserkrankung in der Jugend oder dem jungen Erwachsenenalter ein Kind zu bekommen, verlieren viele Patient:innen den Glauben an ihre Fruchtbarkeit. Woran liegt das? Und in wie vielen Fällen ist die Sorge vor Infertilität wirklich begründet? Diesen Fragen sind Wissenschaftler:innen um Dr. Hena N. Din, University of California, San Diego, jetzt nachgegangen.

In ihre retrospektive Kohortenstudie schlossen sie 785 weibliche Krebsüberlebende ein, die ihre Diagnose im Alter von 15–39 Jahren erhalten hatten. Zu den Einschlusskriterien zählte unter anderem Volljährigkeit sowie das Vorhandensein von mindestens einem Eierstock. Die Diagnosen umfassten Brustkrebs, Leukämie, Lymphome, Zervix-, Uterus- und Eierstockkrebs, gastrointestinale Tumore, Sarkome sowie Haut- und Schilddrüsenkrebs. Ausschlusskriterien waren unkontrollierte Endokrinopathien, multiple Tumorerkrankungen oder Rezidive. Die Nachbeobachtungszeit betrug bis zu 18 Monate. 

Details zur Datenerhebung

Die Teilnehmenden wurden gebeten, einen Online-Fragebogen auszufüllen, in dem sie neben demografischen Daten Auskünfte zu ihrer Kranken- und Reproduktionsgeschichte sowie zu ihrer Menstruation und ihrem Lebensstil erteilten. Weiterhin wurden getrocknete Blutflecke (dried blot spots, DBS), welche die Patient:innen zu Studienbeginn und danach alle sechs Monate einschickten, auf endokrine Biomarker untersucht. Außerdem flossen Daten aus den Krankenakten in die Auswertung mit ein.

Zwischen Wahrnehmung und Wirklichkeit

Ein Großteil der Teilnehmenden (61,5 %) schätzte das eigene Risiko für Infertilität größer als das von Gleichaltrigen ein. Die Wahrscheinlichkeit für diese Einschätzung war höher, wenn die Betroffenen eine Behandlung mit mäßiger bzw. starker Gonadotoxizität erhalten hatten (angepasste OR; AOR 2,73 bzw. 15,39). Auch Amenorrhö bzw. unregelmäßige Menstruationszyklen waren mit einer höheren Wahrscheinlichkeit verbunden, ein gesteigertes Risiko für Unfruchtbarkeit zu empfinden (AOR 3,98 bzw. 1,69). 

Die Studienautor:innen stellten nur eine minimale Übereinstimmung zwischen der Selbsteinschätzung und dem objektiven Risiko fest (κ = 0,19). Die Wahrscheinlichkeit einer Unterschätzung des Risikos für Infertilität war lediglich bei Multiparität erhöht (AOR 4,17). Faktoren, die eine Unterschätzung weniger wahrscheinlich machten, waren höheres Alter (AOR 0,94), endokrine Komorbidität (AOR 0,35) und frühere Unfruchtbarkeit (AOR 0,16). Neben Multiparität (AOR 0,48) waren Brusttumoren (AOR 0,38) und Hautkrebs (AOR 0,24) mit einer geringeren Wahrscheinlichkeit einer Überschätzung verbunden.

Aufgrund dieser Ergebnisse erachten die Kolleg:innen eine ausführliche Beratung hinsichtlich des Risikos für Unfruchtbarkeit bei jungen Personen, die eine Krebserkrankung überlebt haben, für sinnvoll. Dadurch ließen sich die Diskrepanz zwischen Wahrnehmung und tatsächlichem Risiko sowie fruchtbarkeitsbedingte psychische Belastungen reduzieren. Außerdem wären die Betroffenen gerüstet, um fundierte Entscheidungen zu ihrer Familienplanung zu treffen.

Quelle:
Din HN et al. JAMA Netw Open 2023; 6: e2337245; DOI: 10.1001/jamanetworkopen.2023.37245