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Kokzygodynie Klein, aber äußerst empfindsam

Autor: Dr. Andrea Wülker

Traumata führen meist nicht zu Frakturen am Steißbein, sondern eher zu Verletzungen der Bänder. Traumata führen meist nicht zu Frakturen am Steißbein, sondern eher zu Verletzungen der Bänder. © Science Photo Library
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Die Kokzygodynie wird als Krankheitsbild oft nicht richtig ernst genommen. Und das, obwohl die Betroffenen über große Schmerzen und starke Beeinträchtigungen im Alltag klagen. Der typische Druckschmerz über der Steißbeinspitze sowie Röntgenfunktionsaufnahmen führen zur korrekten Diagnose.

Stechende, ziehende oder brennende Schmerzen im Steißbeinbereich beim Sitzen, die bei Reklination noch zunehmen, dazu massive Beschwerden beim Stuhlgang und beim Sex – Menschen mit Kokzygodynie sind in ihrer Lebensführung oftmals stark eingeschränkt. Doch obwohl das Krankheitsbild bereits vor über 160 Jahren als „quälender Zustand beim Sitzen und Aufstehen“ beschrieben wurde, gibt es über den Steißbeinschmerz nach wie vor kontroverse Ansichten, berichtet Prof. Dr. ­Achim ­Benditz von der Klinik und Poliklinik für Orthopädie am ­Asklepios Klinikum Bad Abbach. Diese Unsicherheit innerhalb der Ärzteschaft verzögert ihm zufolge oftmals die korrekte Diagnosestellung und verhindert eine  wirksame Behandlung der Betroffenen – manchmal über Jahre.

Beschwerden oft erst mit deutlicher Verzögerung

Als unterster Abschnitt der Wirbelsäule liegt das Os ­coccygis in der Tiefe zwischen der Glutealmuskulatur und sorgt für eine stabile Position beim Sitzen (s. ­Kasten). Insbesondere bei Stürzen aufs Gesäß ist das Steißbein für Verletzungen prädes­tiniert. Etwa die Hälfte bis zwei Drittel der Fälle von Kokzygodynie sollen auf solche äußeren Traumata zurückgehen, allerdings treten die Beschwerden typischerweise erst mit deutlicher Verzögerung nach dem Ereignis auf. Frauen sind von starken Steißbeinschmerzen fünfmal häufiger betroffen als Männer. Das liegt vermutlich daran, dass auch Geburten eine Kokzygodynie zur Folge haben können, so Prof. ­Benditz.

Ein wenig Steißbein-Anatomie

Das Steißbein ist der unterste Abschnitt der Wirbelsäule. Es besteht aus zwei bis fünf Segmenten mit den dazwischenliegenden rudimentären Bandscheiben. An der ventralen und dorsalen Fläche und an der Spitze des Os ­coccygis finden sich die Ansatzstellen zahlreicher Muskeln und Bänder. Nerval wird das Steißbein über den Plexus coccygeus und das Ganglion ­impar versorgt. Biomechanisch gesehen bildet der Steiß mit den beiden Sitzbeinhöckern ein Dreibein, das ein stabiles Sitzen ermöglicht.

Meist führen die inneren oder äußeren Traumata laut Prof. ­Benditz allerdings nicht zu Frakturen, sondern eher zu Verletzungen der rudimentären Bandscheiben sowie Bänder, und erst in der Folge zur Instabilität des Steißbeins. Viele Patienten mit Kokzygodynie stellen sich ohne ersichtliche Ursache vor.

Diagnostisch empfiehlt der Autor neben der entsprechenden klinischen Untersuchung (Besteht ein Druckschmerz über der Steißbeinspitze? Findet sich eine tastbare Instabilität?) seitliche Röntgenaufnahmen im Stehen und im Sitzen in schmerzhafter, zurückgelehnter Position. Der direkte Vergleich dieser Funktionsaufnahmen zeigt, ob und wie stark der untere Steißbeinbereich im Sitzen nach ventral abkippt bzw. nach dorsal subluxiert.

Als Therapie rät Prof. ­Benditz zunächst zu nicht-steroidalen entzündungshemmenden Medikamenten. Ein Ringsitzkissen oder ein Keilkissen senken den Druck auf den Steiß. Ergänzend kann Physiotherapie zum Haltungstraining eingesetzt werden. Verschiedene Techniken der manuellen Therapie können helfen, wenn sie auf das zugrundeliegende Problem zielen, etwa spezielle Verfahren bei einem Spasmus der Beckenbodenmuskulatur oder bei Steißbeininstabilität.

Bleiben die nicht-invasiven Methoden erfolglos, können Injektionen mit Lokalanästhetika und Steroiden versucht werden. Ziel muss es dabei sein, die schmerzhafte Steißbeinregion mit dem Lokalanästhetikum zu umfluten, beschreibt der Experte. Das lässt sich auch diagnostisch nutzen, um den möglichen Erfolg einer Operation abzuschätzen. Eine Sonderstellung kommt der Blockade des Ganglion ­impar zu, das ventral des ersten kokzygealen Bandscheibenzwischenraums liegt und das Steißbeingebiet nozizeptiv versorgt.

Entfernung des Steißbeins als Ultima Ratio

Falls das alles nichts bringt, kann der schmerzende Steiß operativ entfernt werden. Viele Ärzte stehen der Kokzyg­ektomie kritisch gegenüber, auch wenn sich in der Literatur bei sorgfältiger Auswahl der Patienten Erfolgsraten von 80–90 % finden lassen. Die Operation kann erwogen werden, wenn folgende Kriterien erfüllt sind:

  • konservative Therapieversuche über mindestens sechs Monate ohne Erfolg
  • Vorliegen einer deutlichen klinischen und radiologischen Steißbeininstabilität
  • positive Testinfiltration mittels Lokalanästhetikum

Zuvor müssen die Patienten darüber aufgeklärt werden, dass die Schmerzen nicht sofort verschwinden und dass der Wundschmerz einige Monate anhalten kann.

In der Regel wird das Steißbein über einen hinteren Mittellinienschnitt entfernt, indem die Bandscheibe oberhalb des instabilen Abschnitts durchtrennt wird. Nach der Beobachtung des Autors dauert es etwa drei bis vier Monate, bis die Operierten deutlich schmerzreduziert und mit dem Ergebnis zufrieden sind.

Quelle: Benditz A. internistische praxis 2022; 65: 456-467