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Gelotophobie Lachen ist nicht für jeden die beste Medizin

DGPPN 2023 Autor: Dr. Joachim Retzbach

Während Lachen allgemein als positives soziales Signal wahrgenommen wird, fühlen sich Gelotophobiker davon oftmals bedroht. Während Lachen allgemein als positives soziales Signal wahrgenommen wird, fühlen sich Gelotophobiker davon oftmals bedroht. © PEPPERPOT – stock.adobe.com
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Lachen gilt als positives soziales Signal – nicht aber für Menschen, die an Gelotophobie leiden. Sie haben eine krankhafte Angst davor, ausgelacht zu werden. Das führt zu starker Verunsicherung bis hin zur Vereinsamung. In der Therapie ist Fingerspitzengefühl gefragt.

„Ich möchte dich zum Lachen bringen.“ – „Lass uns gemeinsam lachen.“ – „Suche Partner, der mich zum Lachen bringt.“ Etliche dieser Sätze fand Dr. Kay Brauer von der Universität Halle, als er die Kontaktanzeigen einer großen deutschen Wochenzeitung analysierte. Dies zeige, welche starke soziale Bedeutung Lachen hat – sowohl für romantische als auch für freundschaftliche Beziehungen. Wer etwa beim Speed-Dating zusammen lacht, wird mit höherer Wahrscheinlichkeit ein Paar, erklärte der Psychologe.

„Paranoide Sensitivität“ für Lachen und Lächeln

Es gibt allerdings Menschen, die Lachen als bedrohlich empfinden, weil sie stets befürchten, sie könnten ausgelacht werden. Dieses Phänomen ist als Gelotophobie (wörtlich „Lachangst“) bekannt. Die Betroffenen fühlen sich in Gegenwart lachender und lächelnder Menschen äußerst unwohl und können schwer zwischen An- und Auslachen differenzieren. Es bestehe eine geradezu „paranoide Sensitivität“ gegenüber dem Lachen und Lächeln anderer, so Dr. Brauer.

Dem Psychologen zufolge handelt es sich dabei jedoch nicht um eine distinkte Erkrankung, sondern um ein Persönlichkeitsmerkmal. Die meisten Menschen haben nur eine geringe Angst davor, ausgelacht zu werden. Ist diese aber stark ausgeprägt, kann das Probleme in allen sozialen Beziehungen verursachen. Auch beim Dating. So sind Gelotophobiker Studien zufolge häufiger Single, auch wenn sie sich eine Beziehung wünschen. „Das häufige Anlächeln, wenn sich eine Beziehung anbahnt, verunsichert die Betroffenen wohl“, so Dr. Brauer. Daher würden sie den Kontakt eher abbrechen.

Prof. Dr. Dirk Wildgruber vom Universitätsklinikum Tübingen wies auf die verschiedenen evolutionär entstandenen Funktionen des Lachens hin. Es dient z.B. als Belohnung für Zuwendung, stärkt Zusammenhalt und Vertrauen, kann aber auch als soziales Korrektiv fungieren: Ein Auslachen signalisiert, dass jemand eine Norm verletzt hat, und grenzt ihn aus.

Die Erfassung der Gelotophobie erfolgt üblicherweise im Selbstbericht mit einem 15-Item-Fragebogen, dem Geloph15. Die Statements lauten etwa „Wenn in meiner Gegenwart gelacht wird, werde ich misstrauisch“ oder „Ich vermeide es, mich in der Öffentlichkeit zu exponieren, weil ich fürchte, dass die Leute meine Unsicherheit erkennen und sich über mich lustig machen könnten“. In der sonst gesunden Kontrollgruppe einer Studie von Prof. Wildgruber und Kollegen fanden sich stark erhöhte Werte mit einer Prävalenz von 7 %. Das deckt sich mit den Ergebnissen internationaler Arbeiten. Noch viel häufiger tritt die Gelotophobie als Komorbidität psychischer Erkrankungen auf. Bei  Patienten mit Schizophrenie fand man in 42 % der Fälle stark erhöhte Werte, bei solchen mit hochfunktionalem Autismus zu 65 % und bei Menschen mit Borderline-Persönlichkeitsstörung sogar zu 87 %.

Große Überschneidungen gibt es zur sozialen Phobie. Betroffene halten in Experimenten dasselbe Lachen viel eher für ein Auslachen als für ein freudiges Lachen als Gesunde – insbesondere dann, wenn es vermeintlich auf sie selbst bezogen ist statt auf andere Personen. Patienten in einer mindestens mittelschweren depressiven Episode fühlen sich ebenfalls von den gleichen akustischen und visuellen Reizen schneller ausgelacht

„Der Volksmund sagt zwar: Lachen ist die beste Medizin“, so Dr. Brauer. „Das stimmt aber nicht für jeden!“ Die ständige Angst der Gelotophobiker davor, auf andere lächerlich zu wirken, begünstigt ein hölzernes Auftreten. Man spricht auch vom „Pinocchio-Syndrom“. Es führt dazu, dass die Betroffenen tatsächlich seltsam auf andere wirken. So entsteht ein selbstverstärkender Kreislauf. Nicht jede Art von Lachen sei aber für die Betroffenen negativ, betonten die Referenten. Wenn der Kontext sehr eindeutig ist, können auch Gelotophobiker ein fröhliches Lachen meist richtig zuordnen.

Obwohl eine offizielle Klassifikation im ICD oder DSM bislang fehlt, kann die Gelotophobie gerade im therapeutischen Setting von hoher Relevanz sein, ist Dr. Brauer überzeugt. Eine Studie aus dem Jahr 2015 ergab, dass ein zugewandtes Lächeln von Therapeuten von gelotophoben Patienten häufig fehlinterpretiert wird und diese sehr oft bereits nach einer Sitzung die Behandlung abbrechen.

Die Betroffenen fühlten sich fälschlicherweise gemobbt

Abschließend wies Dr. Brauer auf Zusammenhänge zwischen Gelotophobie und Mobbing hin, die teils gravierende Konsequenzen haben können. So berichten Gelotophobiker häufiger davon, Opfer in der Schule gewesen zu sein. Dies spiegele sich jedoch nicht in der zeitgleich erfassten Beurteilung von Lehrern und Mitschülern. „Die Fehlinterpretation des Lachens führt offenbar dazu, dass sich die Betroffenen fälschlicherweise gemobbt fühlen“, so Dr. Brauer. Sogar einen Zusammenhang zu Amokläufen stellte der Experte her. Denn in den den Tagebüchern von Amoktätern fänden sich oft Hinweise darauf, dass die Täter den Eindruck hatten, ihre Mitschüler hätten sich über sie lustig gemacht. Eine weitere Erforschung des Phänomens und die Entwicklung möglicher Interventionen scheinen daher dringend geboten.

* Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde e. V.

Quelle: DGPPN-Kongress* 2023