Anzeige

Leistenschwellungen ohne Labor oder Bildgebung abklären

Autor: Dr. Judith Lorenz

Femorale Hernien entstehen am Femoralkanal, unmittelbar unter dem Leistenband. Femorale Hernien entstehen am Femoralkanal, unmittelbar unter dem Leistenband. © Science Photo Library/Biophoto Associates
Anzeige

Zahlreiche Krankheiten verursachen inguinale Schwellungen. Diagnostisch kommt es auf eine gründliche Anamnese und körperliche Untersuchung an, sonst übersieht man womöglich die echten „Leisten-Notfälle“.

Leistenschwellungen lassen sich grundsätzlich in drei Kategorien einteilen: infektiös, maligne oder chirurgisch bedingt, schreiben Professor Willie Hamilton von der University of Exeter und Kollegen. Mit Letzterer meinen sie z.B. Hernien. Diese sollte man keineswegs auf die leichte Schulter nehmen. 3 % der inguinalen und 22 % der Schenkelhernien inkarzerieren innerhalb der ersten drei Monate, nachdem der Patient sie festgestellt hat. Von Ärzten wird die Komplikation offenbar häufig übersehen. Im Rahmen einer kleinen prospektiven Studie stellten ein Drittel der Hausärzte und sogar 15 % der aufnehmenden Chirurgen eine Fehldiagnose.

Varizen der Vena saphena oft als Hernie fehlgedeutet

Eine weitere Ursache für Leistenschwellungen sind Lymphadenopathien. Die inguinalen Lymphknoten drainieren das äußere Genital, die untere Bauchwand, das Gesäß sowie die Beine und lassen sich oft bei Gesunden tasten. Pathologisch vergrößerten Lymphknoten liegt entweder ein infektiöses oder ein malignes Geschehen zugrunde. In die erste Gruppe fallen auch reaktive Schwellungen im Rahmen von Zellulitis oder Beinulzera – laut den Autoren vermutlich der häufigste Grund für eine inguinale Lymphadenopathie. Typische Befunde für verschiedene Infektionen sind:

  • bilaterale, druckem­p­findliche Lymphknoten, Bläschen am Genital bzw. perianal (Herpes simplex)
  • schmerzlose, gummiartige Schwellungen, meist bilateral, begleitet von schmerzloser Papel/Ulcus durum am Infektionsort (Syphilis)
  • persistierende, generalisierte Lymphadenopathie (HIV)

An weitere sexuell übertragbare Erkrankungen wie das Lymphogranuloma venereum oder das Ulcus molle sollte man ebenfalls denken. Maligne Lymphadenopathien in der Leiste beschränken sich im Wesentlichen auf Metastasen von Hauttumoren, Lymphome und eine chronische lymphatische Leuk­ämie.

Zurück zu den „chirurgischen“ Gründen: Neben Hernien führen die Autoren Gefäßanomalien auf. Diese umfassen echte Femoralarterienaneurysmen und Pseudoaneurysmen (pulsierend) sowie Varizen der Vena saphena (oft als femorale Hernie fehlgedeutet, verschwindet im Liegen und bleibt weich, charakeristisches Kitzeln beim Husten). Zudem wird ein Hodenhochstand selten erst im Erwachsenenalter festgestellt. Die Abklärung von Leistenschwellungen erfordert eine umfangreiche Anamnese.

Infektiöse Lymphadenopathie über Wochen symptomatisch

Fragen sollte man zunächst nach Begleitsymptomen (Schmerzen, Ulzerationen, Fieber, Gewichtsverlust, Nachtschweiß) und der Dauer der Beschwerden. Z.B. sind Symptome seit 1–4 Wochen gängig bei infektiösen Lymphadenopathien. Dann widmet man sich den Risikokonstellationen: Alter (sexuell übertragbare Erkrankungen eher zwischen 16 und 34 Jahren), Geschlecht (Leis­tenhernien zu 90 % bei Männern/Jungen), Sexualanamnese sowie Grunderkrankungen (kürzlicher Kathetereingriff?). Die klinische Untersuchung sollte sowohl im Stehen (inklusive Hustentest) als auch im Liegen erfolgen und andere Lymphknotenregionen mit einschließen. Anamnese und Klinik führen meist zum Ziel. So benötigt man gewöhnlich keine Bildgebung, um eine Leistenhernie zu diagnostizieren, schreiben die Autoren.

Das Labor kann in bestimmten Fällen wichtige Zusatzinformationen bereitstellen (hämatoonkologische­ Erkrankungen, Entzündungsparameter, Abstriche, Serologie).

Rasche Einweisung häufig notwendig

Viele Patienten mit Leistenschwellungen müssen zur Weiterbehandlung schließlich an einen Facharzt überwiesen werden. Eine inkarzerierte Hernie (nicht reponierbar!) gilt als Notfall, Abs­zesse sowie größenprogrediente oder druckempfindliche vaskuläre Raumforderungen machen eine sofortige Einweisung notwendig. Ein Malignomverdacht kann ebenfalls mit einer gewissen Dringlichkeit einhergehen.

Quelle: Hamilton W et al. BMJ 2021; 372: n578; DOI: 10.1136/bmj.n578