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Mit chronischem Stress richtig umgehen

Autor: Dr. Dorothea Ranft

Damit der Schädel nicht explodiert, sollte man sich bei chronischem Stress Coping-Strategien aneignen. Damit der Schädel nicht explodiert, sollte man sich bei chronischem Stress Coping-Strategien aneignen. © peshkov – stock.adobe.com
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Chronischer Stress kann schwere, mitunter tödliche Folgen haben: vom Burnout über Depressionen bis hin zu Diabetes und Herzinfarkt. Es gibt Möglichkeiten, dem Raubbau an der Seele zu begegnen.

Die akute physiologische Stressreaktion soll den Körper optimal an veränderte Umweltbedingungen anpassen. Dazu dient die Aktivierung des Locus-caeruleus-Noradrenalin/Sympathikus-Systems. Auch die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse (HHNA) wird bei Stress aktiviert. Die Folge ist eine vermehrte Freisetzung der Katecholamine Noradrenalin und Adrenalin aus dem Nebennierenmark sowie von Glukokortikoiden, vor allem Kortisol aus der Nebennierenrinde. Infolgedessen steigen Blutdruck, Puls- und Atemfrequenz sowie das Herzzeitvolumen.

Eine kurzfristige Erhöhung der Glukokortikoidsekretion führt zum „guten Stress“ und der bekannten Fight-or-Flight-Reaktion. Eine lang anhaltende Sekretion über Wochen bis Monate erzeugt einen dysfunktionalen „schlechten Stress“, schreiben Professor Dr. Erich Seifritz­ und Privatdozent Dr. Rainer­ Krähenmann von der Psychi­atrischen Universitätsklinik Zürich.

Bei chronischem Stress führt eine häufige, zu lange oder inadäquate Aktivierung der physiologischen Reaktion zu Veränderungen der Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse im Sinne einer Hyper- oder Hypofunktion. Die Folgen sind zwar bei Gesunden meist reversibel, können aber auch zu dauerhaften Hirnveränderungen führen.

Wenn die allostatische Last zu schwer wird

Der Index für die allostatische Last (AL) berechnet sich aus der Summe folgender Biomarker:
  • Kortisol, Adrenalin sowie Noradrenalin im 12-Stunden-Urin
  • Dehydroepiandrosteronsulfat im Serum (DHEA-S)
  • HDL und Verhältnis von HDL zu Gesamtcholesterin
  • HbA1c im Plasma
  • Blutdruck
  • Verhältnis von Bauch- zu Hüftumfang
Je höher der AL-Score, desto stärker die chronische Stressbelastung.

Die negativen Auswirkungen von chronischem Stress auf den Organismus werden auch als „allostatische Last bezeichnet (s. Kasten oben). Sie ist das Bindeglied zwischen chronischem Stress und dessen Folgen für die Gesundheit. Je höher die allostatische Last, desto größer ist die Stressbelastung. Allerdings spielen dabei die psychischen Ressourcen des Patienten eine Rolle. Die Bedeutung von chronischem Stress für die Manifestation körperlicher Symptome – etwa in Form von kardiovaskulären Erkrankungen oder Hypertonie – ist inzwischen gut belegt, schreiben die Schweizer Psychiater. Die Genese dieser Erkrankungen beruht auf einer Dysregulation der Stressachse mit dem Anstieg der allostatischen Last in Kombination mit psychosomatischen Erkrankungen.

Cushing-Syndrom als Negativbeispiel

Chronischer Stress sorgt für eine vermehrte Freisetzung von Glukokortikoiden. Die Folgen eines chronischen Hyperkortisolismus lassen sich an Patienten mit Cushing-Syndrom beispielhaft ablesen: Diese Menschen sind oft stark übergewichtig, hyperton und hyperglykämisch. Nicht selten haben sie Depressionen und Gedächtnisstörungen. Patienten, die unter chronischem Stress stehen, leiden vermehrt an psychiatrischen Erkrankungen, vor allem Depressionen. Als Risikofaktor wurden vor allem traumatische Kindheitserfahrungen identifiziert. Außerdem findet sich bei depressiven Patienten häufig die für chronischen Stress typische HHNA-Hyperaktivität mit Hyperkortisolismus. Umgekehrt geht eine erfolgreiche medikamentöse Therapie mit einer Normalisierung der HHNA einher. Auch Psychotherapien und Entspannungsverfahren zielen bei Depressionen darauf ab, die Stressachse langfristig zu stabilisieren­. Im Gegensatz zur Depression geht das Burnout-Syndrom mit einer HHNA-Hypoaktivität einher. Gleichzeitig ist die Abgrenzung zur Depression unscharf. Jedoch ist das Burnout-Syndrom keine eigenständige Diagnose. Je nach Arbeitsgruppe wird es z.B. als Resultat chronischer Arbeitsbelas­tung, interpersoneller Stressbelas­tung und subjektiv empfundener, reduzierter Leistungsfähigkeit beschrieben. Mögliche Symptome sind Müdigkeit, Schlafstörungen und ein Gefühl von Wertlosigkeit und Versagen. Vom Burnout gefährdet sind Menschen, die sich stark verausgaben und ein Arbeitsumfeld mit hohen Anforderungen, geringem Handlungsspielraum und wenig sozialer Unterstützung haben. Die Therapie richtet sich nach den Symptomen und reicht von arbeitspsychologischen Maßnahmen bis zur leitliniengerechten Depressionstherapie.

Typische Stresskrankheiten

  • psychisch: Schlafstörung, Burnout, Depression, Angststörung, Suchterkrankung, Migräne etc.
  • dermatologisch: Neurodermitis, Herpes etc.
  • ophthalmologisch: erhöhter Augen­innendruck
  • HNO-Heilkunde: Tinnitus, Hörsturz
  • muskuloskelettal, dental: nächtliches Zähneknirschen, Kieferverspannungen, Rückenschmerzen etc.
  • kardiovaskulär: Hypertonie, Arrhythmie, Herzinfarkt
  • gastrointestinal: Übelkeit, Sodbrennen, Gastritis, Reizdarm etc.
  • metabolisch: Diabetes, Hyperlipid­ämie etc.
  • immunologisch: Allergien, Autoimmunerkrankungen (z.B. M. Crohn)
  • sexuell: Impotenz, Libidoverlust, Unfruchtbarkeit

Wie soll man nun mit dem chronischen Stress umgehen? Grundsätzlich lassen sich Copingstrategien nutzen, um die Risiken für Körper und Geist zu reduzieren. Am bekanntesten ist das prophylaktisch und therapeutisch einsetzbare Stressimpfungstraining. Zu seinen Schwerpunkten zählen die Diagnostik stressrelevanter Gedanken und Verhaltensweisen, die Psychoedukation sowie die Stresskonfrontation mit gezieltem Problemlösen.

Lernen, eigene Leistungs­grenzen zu akzeptieren

Auch die meisten anderen Verfahren arbeiten mit einem Anforderungs- und Ressourcenmodell, setzen aber individuelle Schwerpunkte. Beim instrumentellen Stressmanagement gilt es v.a., die Stressoren zu reduzieren, indem die persönliche Zeitplanung verbessert und Abgrenzung trainiert wird. Das mentale Stressmanagement setzt bei den Denkmustern an, etwa indem eigene Leistungsgrenzen akzeptiert werden.

Quelle: Krähenmann R, Seifritz E. DNP 2019; 20: 38-44