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Mit Patienten unbedingt über deren Fahreignung sprechen

Autor: Maria Fett

Ärzte müssen ihre Herz-Patienten über ein mögliches Fahrverbot aufklären. Ärzte müssen ihre Herz-Patienten über ein mögliches Fahrverbot aufklären. © iStock/querbeet
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Im Zweifel haften Ärzte für das Handeln ihrer Patienten, wenn deren Fahreignung – z.B. nach einem Myokardinfarkt – eingeschränkt ist. Wer ausführlich informiert und geeignete Maßnahmen ergreift, muss aber in der Regel keine Regresse fürchten, weiß ein Kollege.

Filmreif kracht der Kopf eines 52-jährigen Handwerkers in die morgendliche Müslischale. Eine Synkope. Als er sein Bewusstsein wiedererlangt, will er mit seinem Auto zur Arbeit fahren. Sollte er das tun? „Nein“, konstatierte Dr. Anastasios­ Athanasiadis vom Stuttgarter Robert-Bosch-Krankenhaus und ergänzte: „Tut er aber.“ Es kommt, wie es kommen muss. Nach 400 Metern auf der Autobahn folgt der nächste Blackout und die Fahrt endet im Graben.

Dieses Szenario stellt bei Weitem keinen Einzelfall dar. Bis zu 3,4 % aller Verkehrsunfälle gehen auf eine plötzliche Fahrunfähigkeit zurück. Zerebrovaskuläre und kardiovaskuläre Erkrankungen machen jeweils mehr als ein Viertel dieser akuten Ereignisse aus. Auf Synkopen entfallen „nur“ 8,5 %, auf gastrointestinale Beschwerden 8,1 %.

Bei einem Unglück, in dem vielleicht sogar ein Unbeteiligter stirbt, stellt sich juristisch die Frage: Handelt es sich um fahrlässige Tötung? Oder gilt der Fahrer im Moment des Crashs als schuldunfähig? Wer als Arzt meint, er sei an dieser Stelle fein raus und auf die Selbstverantwortung der Patienten verweist, könnte eine böse Überraschung erleben. Anhand mehrerer Zeitungsartikel verdeutlichte Dr. Athanasiadis, dass Mediziner gar nicht so selten von Patienten in Regress genommen werden. Gemäß dem Motto: „Hätte der mich mal ordentlich darüber aufgeklärt, dass ich nicht Auto fahren darf!“

Vorsicht bei Neueinstellung und Dosissteigerung!

Tatsächlich ist man gesetzlich dazu verpflichtet, über die fehlende Fahreignung aufzuklären, wenn Erkrankungen wie rezidivierende Synkopen oder Medikamente diese beeinflussen. Angesichts der Arzneimittel mit potenziellem Effekt auf die Sicherheit am Steuer trifft das praktisch immer zu. Andererseits ermöglicht so manche Therapie erst eine Verkehrstüchtigkeit, z.B. bei einer Herzinsuffizienz. Vorsicht ist in jedem Fall geboten bei Neueinstellung, Dosissteigerung und kurz wirksamen Präparaten.

Die Informationspflicht ergibt sich aus §630c BGB. Wer diese Sicherheitsaufklärung auslässt, begeht einen Behandlungsfehler! Verhaltensmaßregeln, Risiken der Verkehrsteilnahme (Eigen- und Fremdgefährdung) und andere Infos müssen dem Patienten unaufgefordert gegeben werden. Hinzu kommt die Sorgfaltspflicht: Mediziner müssen die Folgen einer Erkrankung bzw. Therapie auf die Verkehrssicherheit abschätzen (s. Kasten).

„Prägen Sie sich die Risk-of-Harm-Formel ein, wenn Sie Ihre Approbation behalten wollen“

Sieht sperrig aus, enthält verwirrende Buchstabenkombinationen, kann aber Leben retten: Die Risk-of-Harm-Formel der Canadian Cardiovascular Society.1 Deshalb plädierte Dr. Athanasiadis stark dafür, sich diese zu merken. Hintergrund ist die Frage: Wie hoch darf das Unfall­risiko durch einen (kranken) Fahrer für die Gesellschaft maximal sein? Mithilfe der Gleichung RH = TD x V x SCI x Ac lässt sich dies individuell abschätzen. RH steht dabei für die Schädigungswahrscheinlichkeit, TD für die Zeit am Steuer und V für den Fahrzeugtyp (Lkw, Bus, Pkw etc.). SCI beschreibt das Risiko eines plötzlichen kardiovaskulär bedingten Kontrollverlustes und Ac die Wahrscheinlichkeit, dass ein Unfall mit schweren Verletzungen oder Tod eines anderen einhergeht. Den einzusetzenden Werten liegen statistische Annahmen zugrunde. Ein Beispiel: Bei einem 50-jährigen Lkw-Fahrer nach Myokardinfarkt, ohne Einschränkung der linksventrikulären Funktion und ohne Angina pectoris, wird mit einer Wahrscheinlichkeit von 1 % ein plötzlicher Herztod, eine Synkope oder ein Schlaganfall auftreten (SCI). Berufskraftfahrer sitzen ca. 25 % ihrer Zeit hinterm Steuer (TD = 0,25, zum Vergleich: TD für Privatpersonen wäre 0,04). Bei einem Lastkraftwagen nimmt V den Wert 1 an, Ac liegt bei 2 %. Das jährliche Risiko des Patienten, andere Verkehrsteilnehmer zu gefährden, beträgt folglich: RH = 0,25 x 1 x 0,01 x 0,02 = 0,00005 Damit dürfte der Mann sich ans Steuer setzen, denn eine Schädigungswahrscheinlichkeit von 1:20 000 pro Jahr (0,00005) wird international als vertretbar angesehen.

1. Simpson C et al. Can J Cardiol 2004; 20: 1314-1320

Die Beurteilung der Fahreignung gehört somit zur ärztlichen Behandlung. Aber Achtung: Maßgebend ist der Facharztstandard! Das heißt, die Fachdisziplinen müssen aufklären, erklärte Dr. Athanasiadis. Wenn Hausärzte bei der Aufklärung oder der Beantwortung von Patientenfragen an ihre Grenzen stoßen, sind sie verpflichtet, einen Fachkollegen hinzuzuziehen.

Die Fahrt mit allen zumutbaren Mitteln verhindern

Welche Erkrankung oder Intervention einer Teilnahme am Straßenverkehr im Weg steht, hat der Gesetzgeber in Anlage 4 zur Fahrerlaubnisordnung verankert. Einen detaillierteren Überblick bietet die Begutachtungsleitlinie zur Kraftfahreignung. „Die 138 Seiten müssten Sie eigentlich auswendig lernen“, sagte der Referent und verwies auf die Auskunft einer Rechtsanwältin. Derzufolge kann man sich im Nachhinein nicht auf fehlendes Fachwissen berufen. Wer Personen behandelt, die mit Auto, Motorrad, (E-)Fahrrad oder motorisiertem Rollstuhl unterwegs sind, muss den Inhalt von Fahrerlaubnisverordnung und Begutachtungsleitlinie kennen. Setzt sich ein Patient über die ärztliche Empfehlung (z.B. Fahrverbot) hinweg und gefährdet dadurch die Allgemeinheit, hängt das weitere Vorgehen juristisch gesehen davon ab, ob er zurechnungsfähig ist:
  • Ja ⇒ Fahrverbot und Warnungen wiederholen und betonen, dass der aufgeklärte Patient allein für sein Handeln verantwortlich ist.
  • Nein ⇒ aktiv eingreifen, d.h. die Fahrt mit allen zumutbaren Mitteln verhindern: ggf. Autoschlüssel wegnehmen, Parkschranke nicht öffnen oder „Reifen zerstechen“, scherzte Dr. Athanasiadis.
Hilft das alles nichts, kann als Ultima Ratio – unter Berufung auf den „rechtfertigenden Notstand“ (§ 34 StGB) – die Polizei hinzugezogen werden. Rechtliche Konsequenzen lassen sich im Keim ersticken, indem man die Sicherungsaufklärung und die getroffenen Schutzmaßnahmen sorgfältig dokumentiert. Der Stuttgarter Kollege nutzt dafür mittlerweile ein eigenes Formular. Patienten bestätigen durch eine Unterschrift, dass Dr. Athanasiadis sie über die möglichen Einflüsse einer Erkrankung bzw. einer Therapie auf die Fahreignung unterrichtet hat.

Quelle: 55. Ärztekongress der Bezirksärztekammer Nordwürttemberg