
Depressionen in der Hausarztpraxis Mit psychologischen Kurzinterventionen lässt sich schnell helfen

Oft reichen wenige Sitzungen, um Patientinnen und Patienten mit depressiven Symptomen oder einer anderen psychischen Erkrankung zu stabilisieren. Wer das richtige Instrumentarium kennt und das Praxisteam einbindet, kann auch in der hausärztlichen Praxis entscheidende Hilfe leisten.
Rund ein Drittel der Menschen mit schwerer Depression wird ausschließlich hausärztlich betreut. Es ist deshalb immens wichtig, dass sich Hausärztinnen und Hausärzte in Deutschland mit der Diagnostik und Therapie bei Depression auskennen, machte Prof. Dr. Jochen Gensichen, Institut für Allgemeinmedizin am LMU Klinikum München deutlich. Um einen entsprechenden Verdacht schnell zu klären, reichen ihm zufolge oft schon zwei Fragen:
- „Fühlten Sie sich im vergangenen Monat häufig niedergeschlagen, traurig, bedrückt, hoffnungslos?“
- „Hatten Sie im vergangenen Monat deutlich weniger Lust und Freude an Dingen, die Sie sonst gerne tun?“
Wird beides verneint, ist eine Depression eher unwahrscheinlich. Bejaht das Gegenüber hingegen eine der beiden Fragen, sollte man mit dem PHQ-9* gezielt die Selbsteinschätzung der Patientin bzw. des Patienten einholen. „Dieser Fragebogen hat sich bestens etabliert und ist für Deutschland sowie international validiert“, so Prof. Gensichen. „Er ist das klassische Instrument, das wir einsetzen, auch mit Blick auf die mögliche Überweisung an die psychiatrische Fachpraxis.“ Zudem lässt sich mittels PHQ-9 sehr gut der Verlauf der Erkrankung dokumentieren.
Nach der Diagnose einer Depression sind die ersten Schritte Aufklärung und Psychoedukation der Betroffenen, gefolgt von auf die Hausarztpraxis abgestimmten Kurz interventionen. Fürs erste reichen oft schon zwei oder drei kürzere Sitzungen, so die Erfahrung des Referenten. Die Betroffenen müssten zunächst verstehen, dass depressive Störungen verhältnismäßig häufig vorkommen und keineswegs eine persönliche Schwäche darstellen. Gelingt es, die Angehörigen in die Therapie einzubinden, steigen die Erfolgsaussichten deutlich.
Auch wenn Depressionen im Allgemeinen gut therapierbar sind, muss man den Erkrankten dennoch klarmachen, dass sich die Behandlung über eine längere Zeit hinziehen wird. Und hier kommt das Praxispersonal ins Spiel, erklärte Prof. Gensichen: „Binden Sie Ihr Team ein.“ Die MFA können über die nächsten Monate hinweg telefonisch den Kontakt zu den Betroffenen halten und bei Bedarf die Ärztin oder den Arzt einschalten. „Das ist zumutbar, das klappt, und das ist zigfach geprüft.“
Dass sich bei der Versorgung psychisch kranker Menschen in Deutschland dringend etwas tun muss, beschrieb auch Prof. Dr. Mathias Berger, vormals Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie am Universitätsklinikum Freiburg. Aufgrund der ungünstigen Rahmenbedingungen und der dürftigen Vergütung, die Allgemeinärztinnen und -ärzte für die Depressionsbehandlung geltend machen können, werde häufig reflexartig an die psychotherapeutische Praxis überwiesen. Das geschehe bereits bei eher kleinen Schwierigkeiten in der Lebensbewältigung, also auch dann, wenn Hausärztinnen oder Hausärzte mit einer Pharmakotherapie oder einer Kurzintervention ohne weiteres helfen könnten. Angesichts der monatelangen Wartezeit auf einen Therapieplatz mit der Gefahr einer Chronifizierung der Krankheit sei das nicht hinnehmbar.
Verbessern ließe sich die Lage psychisch oder psychosomatisch Erkrankter mittels des sogenannten Stepped-Care-Verfahrens, meinte der Referent. Hierbei steht die Hausarztpraxis an erster Stelle, um bei leichten oder mittelgradigen Episoden die Behandlung zumindest zu initiieren. Bei schweren, chronischen oder komplexen Erkrankungen kommen Kolleginnen und Kollegen aus der Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik sowie die Praxen für psychologische Psychotherapie ins Spiel. Bei Suizidalität oder Behandlungsresistenz ist die teilstationäre oder stationäre Aufnahme mit multimodalen und störungsspezifischen Therapieansätzen die angeratene Maßnahme.
„Das bedeutet aber, dass in der Hausarztpraxis genaue Diagnosen und Behandlungsindikationen gestellt und weniger schwere Fälle störungsspezifisch behandelt werden“, machte Prof. Berger klar. Das könne ohne Frage mit adäquat durchgeführten psychologischen Kurzinterventionen erfolgen. Als Beispiele nannte Prof. Berger unter anderem das Motivational Interviewing bei Suchterkrankungen oder das Problemlösetraining in der Primärversorgung bei Depressionen.
Quelle: Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin
*Patient Health Questionnaire-9