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Diagnose per Zufallstreffer MRT geben bei Rückenschmerzen oft die falschen Antworten

Autor: Michael Brendler

Wenn man lange genug hinschaut, lässt sich vermutlich bei fast jedem Patienten mit Rückenschmerzen etwas Auffälliges in der MRT entdecken. Wenn man lange genug hinschaut, lässt sich vermutlich bei fast jedem Patienten mit Rückenschmerzen etwas Auffälliges in der MRT entdecken. © DedMityay – stock.adobe.com
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Nur was kaputt ist, kann man reparieren. Dieses sogenannte „Broken-Car-Konzept“ könnte u.a. der Grund für die inflationäre MRT-Diagnostik bei ­Rückenschmerzpatienten sein. Leider findet man aber in der Bildgebung meist keine behandlungsbedürftige Ursache der ­Beschwerden. 

Zwischen 2006 und 2016 hat die Zahl der MRT-Untersuchungen bei Rückenschmerzpatienten um 65,9 % zugenommen. Das lässt sich den Versichertendaten der AOK entnehmen. Damit einher geht ein steiler Anstieg an schmerzbedingten Wirbelsäulenoperationen – 56,3 % beträgt das Plus im selben Zeitraum. Gebracht hat das scheinbar wenig: Die Sieben-Tage-Prävalenz von Rückenschmerzen liegt in Deutschland immer noch bei fast 15 Millionen. 

PD Dr. Michael Überall­ vom IFNAP/DGS*-Exzellenzzentrum für Versorgungsforschung in Nürnberg und Kollegen haben sich Gedanken darüber gemacht, wie sich dieser Widerspruch erklären lässt. Ihre Theorie: Es werden häufig Patienten operiert, die nicht vom Eingriff profitieren oder denen sogar geschadet wird. Das sogenannte „failed back surgery“-Syndrom – die Verschlimmerung von Beschwerden nach der OP – findet man immer häufiger. Einen Beleg für die oft zu Unrecht gestellte OP-Indikation sehen die Experten in der Auswertung von Zweitmeinungsgutachten von einem interdisziplinären Team aus Schmerzexperten, Physio- und Psychotherapeuten. Danach ließ sich in nur 4,5 % der Fälle die OP-Indikation tatsächlich bestätigen. 

Keine MRT bei unauffälliger körperlicher Untersuchung

Ein Grund für diese falsche Auswahl der Patienten liegt nach Dr. Überall und Kollegen gerade in der zunehmenden Zahl von Kernspin-Untersuchungen. Auch bei starken Schmerzen, aber unauffälligem körperlichen Befund raten sie von einer MRT ab. Diese sei allenfalls zum Ausschluss von Tumoren, Infektionen oder Frakturen (Red Flags) indiziert. Auch die oft als Begründung angeführten radikulären Schmerzen sollten nur dann eine MRT nach sich ziehen, wenn ein entdeckter Bandscheibenschaden oder eine Wirbelkörperfraktur auch eine therapeutische Konsequenz hat. Oft sei in beiden Fällen die Spontanheilungsrate nämlich hoch.

Was die „Macht der Bilder“ anrichten kann, zeigt eine Untersuchung, wonach auf eine frühzeitig durchgeführte MRT aufgrund von Kreuzschmerzen hochsignifikant häufiger eine OP folgt, trotz der oft irreführenden Ergebnisse der Untersuchung. In einer Vielzahl von Studien hat man mittlerweile gezeigt, dass radiologisch auffällige Befunde bei Patienten mit Rücken- oder Nackenschmerzen zwar häufig sind, jedoch nur selten eindeutig als Ursache für die genannten Beschwerden identifiziert werden können, schreiben die Schmerzexperten. 

Eine Untersuchungsreihe von 3.369 Menschen in Mecklenburg-Vorpommern hat ergeben: Eine MRT lieferte durchschnittlich bei 23,2 % derer mit Rückenschmerzen einen pathologischen Befund. Aber es ließen sich auch im Schnitt bei 21,7 % der beschwerdefreien Personen Auffälligkeiten entdecken. Überspitzt formuliert bedeutet das, so die Autoren, „dass man die Frage, ob ein MRT-Befund mit den Beschwerden in ursächlichem Zusammenhang steht, auch durch Münzwurf entscheiden könnte“.

Dass trotz dieser enttäuschenden Bilanz immer noch so viele MRT bei dieser Indikation durchgeführt werden, habe nicht nur mit der zunehmenden Verfügbarkeit zu tun. Verantwortlich sei auch der Wunsch vieler Mediziner nach einer medizinrechtlichen Absicherung sowie das Broken-Car-Konzept: Das Anliegen, eine strukturelle Schmerz­ursache zu identifizieren, die sich durch eine OP reparieren lässt.

* Institut für Neurowissenschaften/Deutsche Gesellschaft für Schmerzmedizin

Quelle: Überall MA et al. Schmerzmedizin 2023; 39: 56-61; DOI: 10.1007/s00940-023-4257-3