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NaCl: Physiologische Kochsalzlösung nicht so verträglich wie oft vermutet

Autor: Dr. Elke Ruchalla

Statt des klassischen 0,9%igen NaCl sollte man für viele Indikationen besser „balancierte“ Lösungen einsetzen. Statt des klassischen 0,9%igen NaCl sollte man für viele Indikationen besser „balancierte“ Lösungen einsetzen. © pix4U – stock.adobe.com
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Auch wenn Sie nicht ständig und routinemäßig Infusionen verordnen, kann sich in der Praxis die Notwendigkeit ergeben. Zur physiologischen Kochsalzlösung sollten Sie aber erst nach genauem Abwägen greifen.

Wenn das nächste Mal ein stark dehydratisierter Patient zu Ihnen kommt, sollten Sie vielleicht nicht automatisch physiologische, 0,9%ige Kochsalzlösung geben. Die Flüssigkeit ist trotz ihrer Bezeichnung nicht so verträglich, wie sie klingt, erklären der Internist und Nephrologe Dr. Olivier Giannini vom Ospedale Regionale di Men­drisio Beata Virgine in Mendrisio und seine Kollegen.

So enthält die „altehrwürdige“ 0,9%ige NaCl jeweils 154 mmol/l Na+ und Cl. Das sind mehr Natrium- und deutlich mehr Chlorid-Ionen als das – tatsächlich physiologische – menschliche Plasma hat: nämlich etwa 140 mmol/l Natrium und 100 mmol/l Chlorid.

Über die Gefahren einer zu hohen Natriumzufuhr haben schon viele Experten viel gesagt und veröffentlicht. Den Risiken, die mit einer zu großen Chloridzufuhr einhergehen, schenken Fachleute auch seit einigen Jahren Aufmerksamkeit, schreiben die Schweizer Kollegen. Seitdem weiß man, dass eine erhöhte Konzentration von Chlorid über Zwischenschritte den Bicarbonat-Puffer im Blut verdrängt; letztlich kann es damit zu einer metabolischen bzw. hyperchlorämen Azidose kommen.

Renale Vasokonstriktion und metabolische Azidose drohen

Die meisten Untersuchungen zu den Wirkungen einer 0,9%igen NaCl-Lösung beziehen sich auf Schwerkranke in Notaufnahmen und auf Intensivstationen oder das perioperative Setting. Dabei schnitt die Kochsalzlösung im Vergleich mit verschiedenen balancierten Lösungen, die sich stärker am tatsächlich vorhandenen Elektrolytgehalt des Plasmas orientieren, meist schlechter ab. Nierenkomplikationen kamen z.B. deutlich häufiger vor. Dementsprechend empfehlen zumindest britische Leitlinien, u.a. im operativen Umfeld auf die 0,9%ige NaCl zu verzichten und zu „physiologischeren“ balancierten Lösungen zu greifen.

Auch bei gesunden Erwachsenen, die über 90 Minuten entweder zwei Liter einer Kochsalzinfusion oder einer „balancierten“ Lösung (140 mmol/l Na+, 98 mmol/l Cl) erhielten, zeigten sich deutliche Unterschiede. Die Kochsalzlösung verursachte nicht nur eine metabolische Azidose, sondern auch eine renale Vasokonstriktion, die mit einem erhöhten Gefäßwiderstand und verringerter Durchblutung von Nierenarterie und -rinde einherging: GFR bzw. Diurese sanken. Ebenso sank der Renin-Spiegel im Plasma – in der Folge begab sich der Blutdruck in den Keller.

Mindestens eine Daseinsberechtigung bleibt aber für die NaCl-0,9-%: Viele Medikamente, die man über eine Infusion geben muss, vertragen sich nicht mit den balancierten Lösungen, räumen die Mediziner aus dem Tessin ein. Zur Volumentherapie im klinischen Alltag jedoch sehen sie (derzeit) keine Indikation mehr. Sie empfehlen generell jeder Flüssigkeitstherapie eine sorgfältige Risiko-Nutzen-Abwägung voranzustellen.

Quelle: Giannini O et al. Swiss Med Forum 2020; 20: 79-82; DOI: 10.4414/smf.2020.08459