Anzeige

Familiäre Hypercholesterinämie Plaque-Neigung von Geburt an

Autor: Nils Bröckelmann

Stößt man auf erhöhte LDL-C-Werte, sollte man zunächst nach Ursachen jenseits der Gene Ausschau halten. Stößt man auf erhöhte LDL-C-Werte, sollte man zunächst nach Ursachen jenseits der Gene Ausschau halten. © Richelle – stock.adobe.com
Anzeige

Arcus cornealis, tendinöse Xanthome, hohes LDL-Cholesterin in jungen Jahren – diese Indizien sprechen für eine erblich bedingte Hypercholesterinämie. Frühzeitig erkannt lassen sich gravierende Schäden an Herz und Gefäßen durch eine drastische Senkung des Cholesterins vermeiden.

Erhöhte LDL-Cholesterinspiegel  bestehen mitunter von Geburt an – und auch bereits in utero. Den Verdacht auf eine familiäre Hypercholesterinämie wecken bei Kindern Werte von > 150 mg/dl, für Erwachsene liegt der Cut-off bei > 190 mg/dl. Ursache ist meist eine Mutation, die zur Störung der rezeptorvermittelten Aufnahme von ­LDL-C aus dem Blut führt. Am häufigsten handelt es sich um eine heterozygote Situation, homozygot kommt die genetische Veränderung nur sehr selten vor.

Im Schnitt ist laut Dr. ­Sarah ­McErlean vom Universitätsklinikum Dublin und Kollegen einer von 310 Menschen weltweit betroffen. Etwa 11 % der Genträger entwickeln vorzeitig eine KHK – 20-mal mehr als in der Allgemeinbevölkerung. Unbehandelt erkranken einer Studie zufolge ca. 50 % der Männer bereits im Alter von unter 50 Jahren an einer KHK, bei den Frauen sind etwa 30 % vor dem 60. Lebensjahr betroffen. Es mangelt am Bewusstsein für die erbliche Fettstoffwechselstörung, monieren die Autoren. Gerade bei multimorbiden Patienten werde sie häufig übersehen.

Stößt man auf erhöhte LDL-C-Werte, sollte man zunächst nach Ursachen jenseits der Gene Ausschau halten. Infrage kommen beispielsweise ein Hypothyreoidismus, Nieren- oder Lebererkrankungen, antiretrovirale Medikamente oder eine ketogene Ernährungsweise. Liegt eine Hypertriglyceridämie vor, ist eine Nüchternbestimmung des LDL-C angezeigt.

Diese Indizien sollten hellhörig machen

Bei folgenden Auffälligkeiten liegt der Verdacht auf eine genetische Vorbelastung für eine Hypercholesterinämie nahe:

  • erhöhte LDL-C-Spiegel (je höher, desto wahrscheinlicher)
  • früh diagnostizierte Gefäßerkrankungen in der Patienten- oder Familienanamnese
  • Xanthome, Arcus cornealis, Xanthelasmen

Für die Diagnose stehen unterstützend eine Reihe von Scores zur Verfügung, die allerdings teils uneinheitliche Kriterien heranziehen. Das weltweit am häufigsten genutzte Tool des Dutch Lipid Clinic Network unterscheidet je nach erreichtem Gesamtscore zwischen einer möglichen, wahrscheinlichen und definitiven familiären Hypercholes­terinämie. Zentraler Parameter ist der beim therapienaiven Patienten gemessene LDL-C-Wert – je höher desto mehr Punkte. Bei besonders hohen Werten von ³ 325 mg/dl reicht ein weiteres Kriterium aus, um die Diagnose zu stellen. Wegweisend sind darüber hinaus erstgradige Verwandte, die bereits im mittleren Alter die Diagnose einer koronaren oder vaskulären Erkrankung erhalten haben (Frauen <  60 Jahre, Männer <  55 Jahre) oder LDL-C-Werte oberhalb der 95. Perzentile aufweisen. Dieselben geschlechtsspezifischen Werte gelten auch für zerebrovaskuläre Erkrankungen, PAVK oder KHK des Patienten selbst. Bei der körperlichen Untersuchung fallen bisweilen tendinöse Xanthome oder ein Arcus cornealis auf. Letzterer weckt Verdacht, wenn der Patient jünger als 45 Jahre ist. Auch genetische Tests sind möglich, ihr Ergebnis fließt ggf. in den Gesamtscore ein.

Bei Hausarztpatienten nach Risikofaktoren fahnden

Dr. McErlean und Kollegen raten Hausärzten, das eigene Patientengut nach potenziell Betroffenen zu durchforsten. Steht die Diagnose, empfehlen sie ein jährliches strukturiertes Follow-up. Dieses könne u.a. dazu genutzt werden, Risikofaktoren (z.B. Rauchen) anzusprechen, die Serumlipide zu bestimmen und ggf. die Behandlung anzupassen, die Testung von Angehörigen zu besprechen und Anzeichen für eine KHK zu erkennen.

Als Initialtherapie der Wahl gelten hochpotente Statine, z.B. 40–80 mg Atorvastatin oder 20–40 mg Rosuvastatin. Ziel ist eine Halbierung des LDL-C. Die European Society of Cardiology empfiehlt Werte < 70 mg/dl – bei bestehender KHK sogar < 55 mg/dl. Nach 8–12 Wochen kontrolliert man die Lipidspiegel und erweitert ggf. das Regime. Führen Statine nicht zu einer ausreichenden Senkung des LDL-C, sollte man Ezetimib hinzunehmen. Toleriert der Patient die Statine nicht, kann man Ezetimib in Monotherapie oder Kombination mit Bempedoin­säure versuchen, so die Autoren. Lassen sich die Zielwerte durch diese Medikation nicht erreichen, stehen als Ultima Ratio PCSK9*-Inhibitoren (z.B. Alirocumab, Evolocumab) zur Verfügung. Explizit betonen die Autoren, dass Muskelschmerzen durch Statine seltener sind als bisher gedacht. In einer aktuellen Metaanalyse waren in über 90 % der Fälle Statine nicht für die Muskelbeschwerden der Patienten verantwortlich.

Sobald die Diagnose familiäre Hypercholesterinämie wahrscheinlich oder gesichert ist, sollte man Spezialisten hinzuziehen, um das weitere Prozedere zu planen, empfehlen die Autoren. Diese können ggf. auch genetische Testungen veranlassen.

*   Proproteinkonvertase Subtilisin Kexin Typ 9

Quelle: McErlean S et al. BMJ 2023; 382: e073280; DOI: 10.1136/bmj-2022-073280