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Data-Sharing Positive Effekte überwiegen

Autor: Antje Thiel

Diabetes birgt Potenzial für Konflikte. Bei der Lösung können CGM-Systeme helfen. Diabetes birgt Potenzial für Konflikte. Bei der Lösung können CGM-Systeme helfen. © iStock/Anna Bezrukova; Andrey Popov – stock.adobe.com
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Der Einsatz von Diabetes­technik wirkt sich auch auf die Psyche von Patienten und Angehörigen aus. Eltern erkrankter Kinder wissen vor allem die Follower-Funktion von CGM-Systemen zu schätzen – doch das Teilen von Glukosedaten erfordert Fingerspitzengefühl.

Dass Diabetestechnik sich positiv auf den Stoffwechsel von Menschen mit Typ-1-Diabetes auswirkt, ist bekannt. Was die psychosozialen Auswirkungen angeht, ergibt sich hingegen ein gemischtes Bild. „Mit einem Closed Loop haben insbesondere Eltern von Kindern mit Diabetes weniger Ängste“, erklärte Professor Dr. ­Norbert ­Hermanns vom FIDAM Forschungsinstitut Dia­betes-Akademie Bad Mergentheim.

Gleichzeitig berichteten die Anwender, dass häufige Alarme sowie Größe und fehlender Tragekomfort der Geräte sie belaste.1 „Gerade bei den psychosozialen Variablen bleiben die Systeme oft hinter den Erwartungen zurück“, sagte Prof. Hermanns. Dies könne an Patientenauswahl, Messmethoden oder zu hohen Erwartungen liegen.

Welchen Effekt die Krankheit und der Einsatz von Diabetes­technik auf das familiäre Umfeld – sprich Lebenspartner bzw. Eltern von Kindern mit Diabetes – haben, ist dem Referenten zufolge bislang kaum erforscht. Die umfassendsten Erkenntnisse hierzu habe die DAWN2-Studie geliefert.2

Oft seien sich Menschen mit Diabetes und ihre Angehörigen uneins darüber, welches das richtige Maß an Unterstützung im Alltag sei. „Patienten sagen oft, die Unterstützung durch ihre Familie sei ihnen zu viel. Angehörige hingegen würden sich am liebsten stärker engagieren, hätten auch schon negative Reaktionen erlebt, wenn sie im Dia­betesalltag helfen wollten“, erläuterte Prof. Hermanns.

Jung, männlich, hohes HbA1c – Sprengstoff für die Beziehung?

Manche Konstellationen seien eher prädestiniert für Partnerschaftskonflikte als andere, etwa wenn der Patient jünger und männlichen Geschlechts sei, wenn er einen hohen HbA1c-Wert oder in letzter Zeit eine schwere Hypoglykämie hatte. Außerdem wenn die Partnerin ohnehin unzufrieden mit der Beziehung ist, sich in das Diabetesmanagement nicht integriert fühlt und den Eindruck hat, ihr Partner kümmere sich nicht gut um seine Stoffwechselerkrankung.

Entsprechend erhoffen sich Angehörige – besonders Eltern – von der Technik mehr Einblick in die Stoffwechsellage und Entlastung von Alltagssorgen im Zusammenhang mit der Krankheit. Eltern fänden kontinuierliches Glukosemonitoring (CGM) für sich selbst sogar noch nützlicher als für ihr Kind mit Diabetes, berichtete der Referent.3 Dieser Nutzen betrifft vor allem das Teilen von Glukosedaten über die Follower-Funktion der CGM-Systeme, das den Beteiligten die Möglichkeit zur positiven Interaktion bietet. 

„Followen“ nicht ohne Folgen

Forschende befragten 303 Eltern von Kindern mit Diabetes und 212 Partner von Erwachsenen mit Diabetes, die via Follower-Funktion die Glukosewerte des CGM-Systems mitverfolgen konnten. Rund 80 % von ihnen stimmten der Aussage zu: „Wenn ich die Werte meines Partners/Kindes sehe, feiere ich mit ihm/ihr, wenn die Dinge gut laufen.“ Noch größer war die Zustimmung zu der Aussage: „Ich biete Ermutigung an, wenn ich sehe, dass mein Partner/Kind Probleme mit seinen/ihren Werten hat.“ Nur 6,1 % der Partner und 2,6 % der Eltern hingegen fanden sich in dieser Aussage wieder: „Ich verstehe nicht, wie ich am besten reagieren soll, wenn ich die Werte meines Partners/Kindes sehe.“ Demgegenüber gaben nahezu alle befragten Angehörigen an, im Falle einer Hypoglykämie genau zu wissen, was zu tun ist. Der Einblick in die Daten kann jedoch auch zu Konflikten führen. So gaben ca. 30 % der Befragten zu, dass sie infolge des Datenteilens häufiger ihren Partner bzw. ihr Kind mit Diabetes wegen der aktuellen Werte nerven. Mehr als die Hälfte bejahten, dass sie Diabetesentscheidungen ihres Partners bzw. Kindes nun kritischer sehen. Gleichzeitig gab die große Mehrheit (68 % der Partner, 55 % der Eltern) an, dass es bei ihnen eine klare Vereinbarung darüber gibt, wie sie am besten reagieren sollen, wenn sie sehen, dass die Glukosewerte gerade außerhalb des Zielbereichs liegen. Für gut 90 % der Partner und 87 % der Eltern hat das Datenteilen zudem zu mehr Verständnis dafür geführt, wie herausfordernd Diabetes sein kann. Rund 85 % fühlen sich weniger ängstlich in Bezug auf den Diabetes ihres Partners bzw. Kindes. Bei rund 10 % der Befragten scheint der Einblick allerdings zu mehr Ängsten, Spannungen in der Beziehung und Überforderung zu führen.

Quelle: Polonsky WH, Fortmann AL. J Diabetes Sci Technol 2020; DOI: 10.1177/1932296820978423

Positive Interaktion zwischen Menschen mit Diabetes und ihren Angehörigen wiederum korreliere mit besseren somatischen Outcomes, betonte Prof. Hermanns. Wenn die Angehörigen nicht verstünden, wie die Werte zu interpretieren sind, seien auch die HbA1c-Werte höher. Sein Fazit: „Es überwiegen die positiven Auswirkungen von Diabetestechnik auf Patienten und ihre Angehörigen. Man muss sich immer die Menschen mit ihren individuellen Fähigkeiten und Einschränkungen anschauen. Und dann entscheiden, ob die Technik ihnen etwas bringt oder mehr Belastung bedeutet.“

Quellen:
1. Weisman A et al. Lancet Diabetes Endocrinol 2017; 5: 501-512; DOI: 10.1016/S2213-8587(17)30167-5
2. Nicolucci A et al. Diabet Med 2013; 30: 767-777; DOI: 10.1111/dme.12245
3. Barnard K et al. J Diabetes Sci Technol 2016; 10: 824-830; DOI: 10.1177/1932296816645365

Kongressbericht: Diabetes Kongress 2021