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Lungenembolie Risikoadaptierte Diagnostik, risikoadaptierte Therapie

Autor: Maria Weiß

Die Mortalität einer übersehenen Embolie liegt unter 5 %. Die Mortalität einer übersehenen Embolie liegt unter 5 %. © Cinefootage- stock.adobe.com
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Zuverlässige Diagnose ohne Überdiagnostik: Dieses Ziel wird bei einer Lungenembolie durch unspezifische Symptome erschwert. Viele Maßnahmen hängen vom individuellen Risikoprofil ab, das es zu bestimmen gilt.

Eine Lungenembolie ist mit einer jährlichen Inzidenz von 1:1.000 ein relativ häufiges Ereignis, schreiben Dr. Susan Kahn vom Lady Davis Institute, Jewish General Hospital, Montreal, und Dr. Kerstin de Wit, Queen’s University, Kingston. Etwa jeder fünfte behandelte Betroffene stirbt innerhalb von 90 Tagen – aber nicht zwangsläufig an der Embolie. Häufig tragen schwere Begleiterkrankungen wie Krebs, Sepsis oder vorausgegangene Operationen dazu bei.

Die reine embolieassoziierte Mortalität eines nicht diagnostizierten Ereignisses beziffern die Autorinnen auf weniger als 5 %. Man muss im Verlauf jedoch gehäuft mit Komplikationen wie Rezidiven der venösen Thromboembolie, chronisch thromboembolischer pulmonaler Hypertonie oder psychischer Belastung rechnen. Ungefähr die Hälfte der Patienten haben ein Jahr nach einer Lungenembolie noch Einschränkungen in Funktion und Belastungsfähigkeit – bekannt als Post-Lungenembolie-Syndrom.

Klinische Einschätzung hat größten Stellenwert

Um dies zu verhindern, sollte die Diagnose schnell gestellt und eine adäquate Therapie so bald wie möglich eingeleitet werden. Mögliche Symptome, über die Patienten berichten, sind Fatigue, Kurzatmigkeit, Thoraxschmerzen, Husten, vermehrtes Schwitzen, Fieber und Hämoptysen. Dyspnoe in der Anamnese, Immobilisation, kürzliche Operationen, Beinvenenthrombosen oder Synkopen sowie ein aktives Krebsleiden erhöhen die Wahrscheinlichkeit. Etwa bei der Hälfte aller tiefen Beinvenenthrombosen muss mit einer Lungenembolie gerechnet werden.

Allerdings möchte man auch eine Überdiagnostik bei den häufigen und unspezifischen Symptomen vermeiden. Die klinische Einschätzung hat größten Stellenwert. Besteht nur eine sehr geringe Wahrscheinlichkeit für eine Lungenembolie (unter 15 %), helfen die PERC-Kriterien (pulmonary embolism rule-out criteria) weiter.

Die PERC-Kriterien zum Embolie-Ausschluss

Eine Lungenembolie kann bei geringem Anfangsverdacht ohne Bildgebung ausgeschlossen werden, wenn keiner der folgenden Faktoren vorliegt:

  • Patientenalter ≥ 50 Jahre
  • Herzfrequenz ≥ 100 Schläge/
  • Minute arterielle Sauerstoffsättigung < 95 % bei Raumluft
  • einseitige Beinschwellung
  • Hämoptysen
  • Trauma oder OP inner­halb der letzten 4 Wochen
  • Lungenembolie oder tiefe Venenthrombose in der Vorgeschichte
  • Einnahme von ­Hormonpräparaten

Ist einer der Faktoren positiv (oder liegt bereits anfangs die geschätzte Wahrscheinlichkeit über 15 %), kann man zusätzlich einen klinischen Score wie den Wells- oder den Geneva-Score anwenden und die D-Dimere bestimmen. Fällt ein Score positiv aus oder liegen die D-Dimere über dem Grenzwert, sollte eine CT-Angiografie oder ein strahlenärmeres Ventilations-Perfusions-SPECT durchgeführt werden. Auch der YEARS-Score kann helfen. Er enthält nur drei Punkte:

  • Lungenembolie ist die wahrscheinlichste Diagnose
  • Hämoptysen
  • klinische Zeichen einer tiefen Beinvenenthrombose

Trifft nichts zu und die D-Dimere liegen unter 1.000 ng/dl oder trifft einer zu bei D-Dimeren < 500 ng/dl, ist eine Embolie ausgeschlossen.

In der Therapie geht es ebenfalls zuerst darum, das Risiko der Betroffenen einzuschätzen. Als Hochrisikokandidaten gelten alle Patienten mit Schock, End-Organ-Hypoperfusion, Hypotonie oder Herzstillstand. Diese Gruppe macht etwa 5 % der Patienten aus, sie brauchen möglichst eine sofortige Reperfusion – in der Regel in Form einer intravenösen systemischen Thrombolyse mit Tenecteplase oder Alteplase. Alternativen bei Kontraindikationen bieten die chirurgische Thrombektomie oder die kathetergestützte Thrombolyse mit oder ohne Entfernung des Gerinnsels.

Ein mittleres Risiko liegt vor, wenn das rechte Herz in Mitleidenschaft gezogen wurde – erkennbar in der Bildgebung – oder bei erhöhten kardialen Biomarkern wie Troponin und/oder BNP. In diesen Fällen genügen enges Monitoring und Antikoagulation. Da NOAK wie Rivaroxaban oder Apixaban in dieser Gruppe noch nicht ausreichend untersucht wurden, werden weiterhin niedermolekulare Heparine empfohlen.

Die meisten haben eine Embolie mit niedrigem Risiko

Die Mehrheit der Patienten fällt in die Gruppe mit niedrigem Risiko. Sie sind hämodynamisch stabil und zeigen keine Rechtsherzbelastung. Die meisten von ihnen können ambulant mit NOAK behandelt werden. Bei fortgeschrittenen Nieren- und Lebererkrankungen sowie bei Patienten mit Antiphospholipidsyndrom, die triple-positiv sind, hohe Antikörpertiter oder eine arterielle Thrombose in der Vorgeschichte haben, gibt man Vit­amin-K-Antagonisten den Vorzug. Schwangere erhalten niedermolekulare Heparine. Die Antikoagulation sollte mindes­tens über drei Monate laufen. Diese Zeit reicht in der Regel aus, wenn sich die Embolie eindeutig einem Hauptrisikofaktor (z.B. OP, längere Bettlägerigkeit) zuordnen lässt. Bei sehr großen Thromben, Rechtherzbelastung oder Residualsymptomen empfehlen manche Experten eine Verlängerung auf sechs Monate. Eine zeitlich unbegrenzte Antikoagulation kann bei Patienten mit persistierenden Risikofaktoren oder unprovozierten Thromboembolien in der Anamnese sinnvoll sein. Sie muss aber regelmäßig evaluiert und das Blutungsrisiko neu abgeschätzt werden.

Quelle: Kahn SR, de Wit K. N Engl J Med 2022; 387:45-57;  DOI: 10.1056/NEJMcp2116489