Transkulturalität in der Medizin Schmerz verstehen – jenseits von Kulturklischees
Wenn es zur Begegnung von verschiedenen Kulturen kommt, spricht man inzwischen von Transkulturalität.
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Verlassen Sie sich nicht auf Annahmen oder bisherige Erfahrungen, wenn Sie eine Patientin oder einen Patienten mit Migrationshintergrund behandeln. Bei Schmerzen gilt es aktiv nachzufragen, denn in erster Linie zählt das Individuum.
Es gibt kaum eine Sinnesempfindung, die so stark von soziokulturellen Überlegungen, Einflüssen und Erfahrungen geprägt ist wie der Schmerz, erklärte Dr. Asita Behzadi, Charité – Universitätsmedizin Berlin. Manche Einflüsse sind auch nicht kulturell bedingt, sondern hängen mit migrationsspezifischen Hintergründen zusammen wie Fluchterfahrungen oder ein ungeklärter Aufenthaltsstatus.
In Deutschland hatten 2022 29 % der Menschen eine Einwanderungsgeschichte, inzwischen sind es vermutlich mehr. Die Hauptherkunftsländer sind Türkei, Polen, Russland, Rumänien, Kasachstan, Syrien und die Ukraine. In den Großstädten haben mehr als 70 % der Kinder bis zum 5. Lebensjahr eine Migrationsgeschichte.
Von Kulturalisierung bis hin zur Kulturblindheit
Von Interkulturalität spricht man, wenn es zu Begegnungen zwischen verschiedenen Kulturen kommt. Kultur ist allerdings dynamisch und in sich heterogen. Heute verwendet man deshalb eher den Begriff der Transkulturalität. Behandelnde bewegen sich bei ihrer Einschätzung zwischen den Extremen der Kulturalisierung und der Kulturblindheit, so Dr. Behzadi.
Kulturelle Einflüsse können also unter-, aber auch überbewertet werden. Letztlich sind aber die Unterschiede zwischen Individuen einer Kultur größer als die Unterschiede zwischen den Menschen verschiedener Kulturen, machte die Referentin klar. Ein Beispiel für eine Fehleinschätzung kultureller Einflüsse: Für einen Patienten mit koreanischer Migrationsgeschichte und Sprachbarriere suchte Dr. Behzadi eine ambulante Psychotherapeutin, die koreanisch spricht. Daraufhin hatte sich der Patient aber total erschrocken. Er befürchtete zum einen, dass seine sexuelle Orientierung bei dieser Frau auf Missfallen stoßen könnte. Zum anderen hatte er Sorge, dass sich dies in der sehr kleinen koreanischen Community herumsprechen könnte.
Was häufig vorkommt, ist der Verzicht auf Behandlung bei Schmerzäußerungen einer türkischen Patientin, wenn es dazu keinen klinischen Befund gibt. Die Klagen werden dann oft im Sinn eines rassistischen Klischees als „Mamma-mia-Syndrom“ bzw. „Morbus Bosporus“ bewertet, bedauerte die Referentin. Konfliktfelder, bei denen es beispielsweise zu Missverständnissen kommen kann, sind:
- subjektive Theorien zur Ursache und Behandlungsmöglichkeiten einer Erkrankung
- soziale Strukturen und sozialrechtliche Situation
- Rolle der Familien
- Ausdruck von Emotionen und Symptomen bzw. Symptompräsentation
- Umgang mit Unterstützungsangeboten (Was wird gewünscht?)
- Sprachbarrieren, Übersetzung, kulturspezifische Begriffe
- Aufklärung über die Diagnose
- Kommunikation über Prognose (Therapierisiken, Sterben …)
- Traditionen und Rituale
- kulturalisierende Vorurteile und Stereotype
Ein Ergebnis des Deutschen Diskriminierungs- und Rassismusmonitors aus dem Jahr 2023 war, dass 12,8 % der muslimischen und 14,3 % der Schwarzen Frauen schon einmal eine Behandlung herausgezögert oder vermieden haben, weil sie befürchteten, weniger ernst genommen oder schlechter behandelt zu werden. Bei Frauen ohne Migrationshintergrund betraf dies nur 6,3 % der Fälle.
Wie kann Kultur im klinischen Alltag Berücksichtigung finden, wenn klassische Schubladen wie Ethnie oder Nationalität nicht klärend sind? Da gibt es nur eins: aktiv nachfassen! Diese Fragen helfen weiter, um die Kranken gut behandeln zu können:
- Welchen Namen geben Sie Ihren Beschwerden?
- Wie werden Ihre Beschwerden in Ihrer Community/Familie genannt?
- Was, denken Sie, ist die Ursache für Ihre Beschwerden?
- Welche Art von Behandlung sollten Sie erhalten, welche Resultate erhoffen Sie?
- Was macht Ihnen am meisten Sorgen bei Ihrer Erkrankung?
- Wie beeinflusst Ihre Erkrankung Ihr Leben (wohnen, arbeiten, Familie)?
Um den individuellen Bedürfnissen unserer Patientinnen und Patienten gerecht werden und deren persönliche Krankheitsperspektive berücksichtigen zu können, müssen wir aktiv und empathisch nachfragen und unsere eigene Einstellung zu kulturellen Zusammenhängen reflektieren, so die abschließende Empfehlung der Referentin.
Quelle: Kongressbericht, Deutscher Schmerzkongress 2025