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Adipositas Schwerwiegende Epidemie

Autor: Dr. Andrea Wülker

Etwa 30 % der stark Übergewichtigen sind jedoch metabolisch gesund. Etwa 30 % der stark Übergewichtigen sind jedoch metabolisch gesund. © Wayhome Studio - stock.adobe.com
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In den letzten Jahren gab es beachtliche Fortschritte in der Adipositastherapie. Doch Betroffene sprechen sehr unterschiedlich auf die Interventionen zur Gewichtsreduktion an. Das hängt wahrscheinlich mit der komplizierten Pathophysiologie des krankhaften Übergewichts zusammen.

Die Adipositas ist ein eigenständiges Krankheitsbild und zugleich Risikofaktor für viele Komorbiditäten wie Diabetes, kardio­vaskuläre Erkrankungen und verschiedene Krebsarten. An der Entstehung des starken Übergewichts sind u.a. genetische Faktoren beteiligt, schreiben Dr. ­Bradley ­Busebee von der Abteilung für Innere Medizin an der Mayo Clinic in Rochester und Kollegen. Die Vererbbarkeit des BMI wird auf Basis von Familienstudien auf 40–70 % geschätzt. Eine monogen vererbte Adipositas ist jedoch selten und bei weniger als 1 % der Fälle nachweisbar. Dagegen tragen etliche adipogene Gen-Umwelt-Interaktionen zur Weitergabe an Folgegenerationen bei.

Lebensführung beeinflusst individuelles Risiko

Zu den externen Faktoren, die Fettleibigkeit begünstigen, gehören u.a. die erhöhte Verfügbarkeit schmackhafter Speisen, Veränderungen des Essverhaltens, weniger körperliche Aktivität in Beruf und Freizeit, abweichende Schlafmuster und die Einnahme von Medikamenten, die zu Gewichtszunahme führen können. Außerdem beeinflussen soziale Faktoren die Prävalenz. So sind Fettleibigkeit und ihre Begleit­erkrankungen in ärmeren Gegenden signifikant häufiger zu beobachten. Ebenso bestehen Assoziationen mit einem niedrigen Bildungsstand. Schließlich spielen auch Hormone und das Nervensystem bei der Entstehung von Übergewicht eine Rolle.

Klassifikation

Traditionell wird die Adipositas nach dem Body-Mass-Index eingeteilt:

  • Grad 1: BMI 30 bis 35 kg/m2
  • Grad 2: BMI 35 bis 40 kg/m2
  • Grad 3: BMI über 40 kg/m2

Der BMI ist jedoch nur begrenzt nützlich, wenn es um adipositasassoziierte Risiken oder um das Ansprechen auf die Therapie geht. Denn anhand seiner Berechnung lassen sich die unterschiedlichen Pathophysiologien nicht abbilden.

30 % der Adipösen sind metabolisch gesund

Die Zunahme von Körperfett geht mit vielfältigen metabolischen, inflammatorischen, mechanischen und immunologischen Veränderungen einher, die zu Gewebeschädigungen und Folgeerkrankungen führen. Zu den wichtigsten Komorbiditäten der Adipositas zählen kardiovaskuläre Erkrankungen, Typ-2-Diabetes und verschiedene Tumorleiden wie Brustkrebs, Endometriumkarzinom, kolorektale und weitere gastrointestinale Karzinome. Weitere mögliche Folgen sind Fettleber, gastroösophageale Refluxkrankheit, obstruktive Schlafapnoe und degenerative Gelenkerkrankungen.

Interventionen zur Gewichtsreduktion wie Ernährungsumstellung, Lebensstilmodifikation, Pharmakotherapie, endoskopische Interventionen und bariatrische Eingriffe wirken der Adipositas und ihren Folgeerkrankungen entgegen. Bereits ein moderater Gewichtsverlust reduziert das Risiko und kann dazu führen, dass sich Begleiterkrankungen zurückbilden. Allerdings sprechen adipöse Menschen auf therapeutische Maßnahmen unterschiedlich gut an. Die Autoren führen das u.a. auf die zahlreichen Formen der Adipositas zurück. Sie unterscheiden: 

Metabolisch „(un)gesund“

Die Mehrzahl der Adipösen hat meta­bolische Störungen (Hypertonie, Dyslipidämie etc.), was mit einer erhöhten Anfälligkeit z.B. für kardiovaskuläre Erkrankungen einhergeht. Etwa 30 % der stark Übergewichtigen sind jedoch metabolisch gesund. Verglichen mit Stoffwechselgesunden ohne die überschüssigen Pfunde weisen sie dennoch ein erhöhtes Morbiditätsrisiko auf, vor allem im Hinblick auf die Herz-Kreislauf-Gesundheit.

Zentral (viszeral)

Bei gleichem BMI kann die Ausprägung der zentralen Adipositas erheblich variieren. Generell geht die viszerale Form mit erhöhter Morbidität einher (kardiovaskuläre Erkrankungen, metabolisches Syndrom, Insulinresistenz). Wird also auch der Taillenumfang gemessen, kann dies Erkrankungen wie Typ-2-Diabetes, Hypertonie und Dys­lipidämie besser vorhersagen als der BMI allein.

Sarkopenisch

Hierbei besteht eine Kombination aus (zentraler) Adipositas und reduzierter Muskelmasse oder -funktion. Es handelt sich um eine besonders ungünstige Entität mit deutlich höherem Risiko für Dyslipidämie, Insulinresistenz, funktionelle Defizite, Depression und Mortalität als eine Sarkopenie oder Adipositas allein.

Wie viele Kalorien müssen aufgenommen werden, bis sich ein Sättigungsgefühl einstellt? Wie lange hält das Sättigungsgefühl nach einer Mahlzeit an? Wird aus emotionalen Gründen gegessen? Und wie steht es mit dem Grundumsatz? Auch bei diesen Punkten gibt es unter Adipösen große individuelle Unterschiede, die erfasst und bei der Wahl der geeigneten Therapie berücksichtigt werden können. Ein Beispiel: Bei manchen Betroffenen verweilt die Nahrung nur kurz im Magen, was zu einem verkürzten Sättigungsgefühl führt. In diesem Fall können GLP1-Rezeptoragonisten sinnvoll sein, weil sie die Magenentleerung verzögern und den Hunger zwischen den Mahlzeiten reduzieren.

Quelle: Busebee B et al. Mayo Clin Proc 2023; DOI: 10.1016/j.mayocp.2023.05.026