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Sie sterben an, nicht mit Corona – Obduktionen klären Todesursache

Autor: Maria Fett

Die von SARS-CoV-2 ausgelöste Erkrankung war bei 82 % der Obduzierten die Todesursache.
Die von SARS-CoV-2 ausgelöste Erkrankung war bei 82 % der Obduzierten die Todesursache. © iStock/sam thomas
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Die Experten von gleich drei Pathologieverbänden sind sich einig: Ein Großteil der obduzierten COVID-19-Patienten ist an den direkten Folgen der Erkrankung gestorben. Komorbiditäten spielten eine eher untergeordnete Rolle.

Ohne Obduktionen stagniert der medizinische Erkenntnisgewinn. Darin stimmten die Vertreter des Bundesverbandes Deutscher Pathologen, der Deutschen Gesellschaft für Pathologie und der Deutschen Gesellschaft für Neuropathologie und Neuroanatomie überein. Besonders bei bislang unbekannten Erkrankungen wie COVID-19 sei dieses „älteste und wichtigste Instrument“ unabdingbar, um neues Wissen zu erlangen, betonte Professor Dr. Gustavo­ B. Baretton­ vom Institut für Pathologie der Medizinischen Fakultät an der TU Dresden.

Zusammen mit anderen führenden Kollegen stellte er die Ergebnisse von 154 Obduktionen vor, die in den vergangenen Monaten deutschlandweit an verstorbenen COVID-19-Patienten durchgeführt worden waren. Das Durchschnittsalter in der Kohorte lag bei 70 Jahren, zwei Drittel der Patienten waren männlich. Als häufige Komorbiditäten identifizierten die Pathologen kardiovaskuläre Erkrankungen (etwa 43 %), vorbestehende Lungenleiden (ca. 16 %) sowie Diabetes oder Adipositas (ca. 12 %). Bei 8 % war es zu komplizierten bakteriellen Infektionen gekommen.

Doch Komorbiditäten spielten laut den Experten eine eher untergeordnete Rolle. Viel interessanter war: Ein Großteil der Toten wies massive Schäden an den Blutgefäßen, eine ausgeprägte Thrombosierung (inbesondere in den feinsten Lungengefäßen) sowie eine spezielle Form der Gefäßneubildung auf.

SARS-CoV-2 im ZNS

Dass rund zwei Drittel der SARS-CoV-2-Infizierten über Geruchs- und/oder Geschmacksstörungen berichten, ließ Neuropathologen wie Professor Dr. Till­ Acker­ vom Universitätsklinikum Gießen-Marburg schnell daran denken, dass das SARS-CoV-2 auch das ZNS befällt. Weitere Berichte über neurologische Beschwerden wie Schwindel, Schwäche, Kopf- und Muskelschmerzen und Schlaganfälle erhärteten den Verdacht. In einer Obduktionsstudie konnte das Virus bei etwa jedem Dritten im Gehirn nachgewiesen werden.1 Prof. Acker und seine Forscherkollegen untersuchen seitdem u.a., wie das Virus ins Gehirn gelangt und welche Schäden es dort anrichtet. Durch Autopsien COVID-19-Verstorbener konnte gezeigt werden, dass SARS-CoV-2 wahrscheinlich über die neuro-mukosale Schicht ins ZNS eindringt. Eine entscheidende Rolle könnte dabei das Protein Neuropilin-1 (NRP1) spielen: Möglicherweise infiziert SARS-CoV-2 NRP1-positive Zellen im Riech­epithel, im Riechkolben sowie in den Endothelzellen kleiner und mittelgroßer Gefäße.

SARS-CoV-2 scheint die Fähigkeit zu besitzen, in Endothelzellen einzudringen und dort eine diffuse Inflammation hervorzurufen, die zum Zelltod führen kann.2 „Damit verur­sacht es echte, nachweisbare Schäden“, so Prof. Baretton. Und diese versucht der Körper offenbar mit der komplexen und neuartigen Angiogenese zu korrigieren. Die beobachteten Veränderungen beschränkten sich dabei nicht nur auf die Lunge, sondern zeigten sich in verschiedenen Organsystemen wie Leber und Herz. Damit grenzt sich COVID­-19 ganz klar von beispielsweise der Influenza ab, erklärte der Kollege.

Die Befunde im Detail

Aus 154 Obduktionen ergaben sich die folgenden COVID-19-typischen autoptischen Befunde (insgesamt 307 Nennungen):
  • diffuser Alveolarschaden mit oder ohne Bronchopneumonie (52%)
  • Thrombosen und Thromboembolien (19 %)
  • Mikrothromben (20 %)
  • Endothelialitis (9 %)

Aufgrund dieser spezifischen Befunde (s. Kasten) konnte die Erkrankung bei 82 % der Obduzierten als wesentliche bzw. alleinige Todesursache festgestellt werden. Diese Patienten starben nicht mit, sondern an ­COVID-19, so das Fazit von Professor Dr. Johannes­ Friemann­ vom Institut für Pathologie der Universität Köln am Standort Lüdenscheid.

Quellen:
Video-Pressekonferenz des Bundesverbandes Deutscher Pathologen, der Deutschen Gesellschaft für Pathologie und der Deutschen Gesellschaft für Neuropathologie und Neuroanatomie

1. Puelles VG et al. N Engl J Med 2020; 383: 590- 592; DOI: 10.1056/NEJMc2011400
2. Varga Z et al. Lancet 2020; 395: 1417-1418; DOI: 10.1016/S0140-6736(20)30937-5