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Sind die Rauchalternativen IQOS, JUUL und Co. so gefährlich wie Zigaretten?

Autor: Dr. Sascha Bock/Michael Brendler

Zigaretten-Alternativen enthalten zahlreiche toxische Substanzen. Zigaretten-Alternativen enthalten zahlreiche toxische Substanzen. © kiri – stock.adobe.com
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In fünf Jahren werden mehr Menschen E-Zigaretten rauchen als konventionelle Glimmstängel, so eine Prognose. Die Tabakindustrie jedenfalls wirbt fleißig, bekommt aber immer mehr Gegenwind aus unabhängigen Studien. Allein in diesem Jahr kam einiges an Evidenz zusammen.

Ja, Untersuchungen deuten darauf hin, dass E-Zigaretten weniger Schaden anrichten als herkömmliche Kippen. Das bedeutet aber noch lange nicht, dass sie „gesund“ sind oder dass es einen Netto-Benefit auf Public-Health-Ebene gibt. Viele der publizierten Studien sind industriefinanziert. Dagegen regt sich Widerstand. So lehnte das Journal of Epidemiology kürzlich das Manuskript einer entsprechend geförderten Arbeit ab. Forscher, die sich ohne Industriegelder mit dem alternativen Qualmen beschäftigen, freut’s.1 Schließlich seien Interessenskonflikte wahrscheinlich.

Entzündung und Remodeling der Atemwege

Wenn es um Chancen und Risiken der viel beworbenen Produkte geht, muss man zwischen E-Zigaretten und Heat-not-burns (HNB) unterscheiden (s. Kasten). Unter Letzteren dominiert der IQOS Tabakerhitzer. Das Gerät wird in 22 europäischen Ländern vertrieben. In Italien z.B. stieg der Marktanteil exponentiell von 0,01 % im Jahr 2015 auf 0,67 % im Jahr 2017 und liegt jetzt auf dem Niveau von Zigarren. Das klingt nach wenig, doch eine weitere Zunahme ist zu erwarten.

E-Zigarette vs. Heat-not-burn

  • E-Zigaretten enthalten keinen Tabak, sondern erhitzen eine ggf. nikotinhaltige Lösung (E-Liquid), um den Dampf zu erzeugen. Prominenter Vertreter: JUUL mit einem Liquid auf Nikotinsalzbasis und in Nordamerika mit hoher Nikotinkonzentration.
  • Heat-not-burn-Produkte enthalten Tabak, der erhitzt, aber nicht verbrannt wird, um ein Aerosol (eine Art „kalter Rauch“) zu erzeugen. Es handelt sich also um einen Hybrid zwischen klassischer und E-Zigarette. Wichtigster Vertreter: IQOS.

E-Zigaretten und HNB enthalten zahlreiche toxische Substanzen. Dass Aeorosole aus beiden Rauchalternativen die Zellen der Atemwege ebenso stark angreifen wie der klassische Kippenqualm, hat eine aktuelle In-vitro-Studie gezeigt.2 Ein australisch-indisches Forscherteam setzte humanes Bronchialepithel und glatte Atemwegsmuskelzellen 72 Stunden lang dem Rauch von Glimmstängel, E-Zigarette oder IQOS aus. Die Toxizität aller Aerosole nahm mit steigenden Konzentrationen zu. Beide Zelltypen reagierten mit einer Chemokinfreisetzung (CXCL8) und produzierten vermehrt Fibronektin und Kollagen 1. CXCL8 weist auf eine Inflammation hin, die Proteine der Extrazellulärmatrix tragen zum Remodeling der Atemwege bei. Durch die Exposition veränderte sich auch die Mitochondrienfunktion, was u.a. Inflammation und Remodeling verstärken kann. Damit sind auf zellulärer Ebene die wesentlichen Merkmale erfüllt, die bei Asthma und COPD zur Ob­struktion führen, so die Autoren. In die gleiche Kerbe schlägt eine weitere Untersuchung aus den USA.3 Demnach schränkt der Dampf einer nikotinhaltigen E-Zigarette die mukoziliäre Clearance ein. Die Forscher konnten diesen Effekt in vitro an Bronchialepithelzellen von Nie-Rauchern und in vivo bei Schafen auf das Nikotin zurückführen.

Fast jeder zweite IQOS-Nutzer war vorher Nichtraucher

Die Tabakindustrie vermittelt mit prominent angebrachten Plakaten und Online-Auftritten den Eindruck, E-Zigaretten und HNB dienen dem Rauchausstieg. Das mag sein. Doch die Gefahr aus gesellschaftlicher Sicht liegt darin, dass sich Nichtraucher offenbar besonders von den Produkten angesprochen fühlen. In Italien z.B. haben 51 % aller IQOS-Interessenten und 45 % aller Nutzer noch nie „richtig“ gequalmt. Außerdem ergab kürzlich eine Befragung von 15 406 Italienern über 15 Jahre: Von den 522 Personen, die jemals zu einer E-Zigarette griffen, haben 13,2 % den konventionellen Kippen abgeschworen. 22,2 % dagegen fingen durch die elektronische Alternative erstmalig oder wieder mit dem Rauchen an.4 Und so kommen Forscher im Hinblick auf die öffentliche Gesundheit vermehrt zu dem Schluss, dass das Nutzen-Risiko-Verhältnis der elektronischen Varianten in Richtung Risiko kippen könnte. Befeuert wird die Problematik durch Werbematerialien und nachlässige Kontrollen von jüngeren Käufern. In den USA sind Händler von Tabakprodukten und E-Zigaretten verpflichtet, alle Interessenten unter 27 Jahren nach dem Ausweis zu fragen. In einem Test mit 18- und 19-jährigen Lockvögeln hielt sich nur etwa die Hälfte der überprüften Shops daran.5 Besitzen Teenager Proben, Coupons oder gar bedruckte T-Shirts von Glimmstängel-Alternativen, verdoppelt sich ihr Risiko, derartige Produkte zu konsumieren.6 Die zugrunde liegende kalifornische Studie definierte neben E-Zigaretten u.a. Kautabak, Pfeifen und Zigarillos als Alternativen. Forderungen nach strengeren Regeln werden laut. Wie weit manche Länder davon weg sind, zeigt wieder ein Blick auf Italien: HNB genießen Steuererleichterungen, Warnhinweise müssen nur 30 % statt 65 % der Packung bedecken und öffentliche Rauchverbote gelten für sie nicht. Kanada hat den gesetzlichen Rahmen für Vaping-Produkte 2018 sogar gelockert. Im Vergleich zum Vorjahr nahm unter den 16- bis 19-Jährigen der Anteil der Konsumenten signifikant zu, ebenso in den USA.7

Das Werbeverbot in England wirkt

England greift in Sachen Prävention stärker durch (Werbeverbot für die meisten Arten von E-Zigaretten, Nikotinhöchstmengen). Ein Prävalenz­anstieg bei Jugendlichen blieb dort zwischen 2017 und 2018 aus. Und auch in den USA wächst der Protest. In San Fransisco hat der Stadtrat jüngst beschlossen, den Verkauf von E-Zigaretten zu verbieten – sehr zum Missfallen der Tabak-Start-ups, aber ganz im Sinne des Jugendschutzes.

Quellen:
1. Liu X et al. J Epidemiol 2018; 28: 274-275
2. Sohal SS et al. ERJ Open Res 2019; 5: 00159- 2018
3. Chung S et al. Am J Respir Crit Care Med 2019; online first
4. Liu X et al. Tob Control 2019; online first
5. Roeseler A et al. JAMA Pediatrics 2019; online first
6. Abdel Magid HS et al. JAMA Network Open 2019; 2: e194006
7. Hammond D et al. BMJ 2019; 365: l2219

Keine Entwarnung für Passivraucher im Auto

Um Mitfahrer zu schützen, sollte man im Auto nicht nur auf konventionelle Glimmstängel, sondern auch auf E-Zigaretten und Tabakerhitzer verzichten. Eine Untersuchung des Bayerischen Landesamtes für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit belegt die Schadstoffbelastung für Passivraucher.* In sieben Pkw prüften die Wissenschaftler, welche Partikel sich durch aktives Rauchen im Innenraum messen lassen. Das klassische Qualmen erzeugte mit bis zu 1988 μg/m3 die höchste Feinstaubkonzentration (PM2,5). E-Zigaretten kamen in fünf der sieben Autos auf Werte zwischen 75 und 490 μg/m3, zudem wurden in drei Pkw die deutschen Innenraum-Grenzwerte für das atemwegreizende Propylenglykol überschritten. Der Tabakerhitzer „IQOS“ hatte so gut wie keinen Einfluss auf die Konzentration von PM2,5 und feiner Partikel (> 300 nm), führte aber zu einem deutlichen Anstieg an 25–300 nm großen Partikeln. Letztlich stellen alle drei Rauchvarianten vermeidbare Schadstoffquellen dar, schließen die Forscher.

* Schober W et al. Int J Hyg Environ Health 2019; 222: 486-493