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Spezifische Immuntherapie: Kontraindikationen lassen auch bei Kindern Interpretationsspielraum

Autor: Maria Weiß

Bei der Off-Label-SIT sprechen Leitlinien versus Beipackzettel. Bei der Off-Label-SIT sprechen Leitlinien versus Beipackzettel. © iStock/Dr_Microbe, caracterdesign
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Bei Kindern mit chronischen Erkrankungen gilt die spezifische Immuntherapie in vielen Fällen als off label. Grundsätzlich unmöglich ist sie deshalb nicht – sie gehört aber in die Hände erfahrener Allergologen.

Schaut man in die Beipackzettel der Allergenextrakte für die spezifische Immuntherapie (SIT), findet man unter „Gegenanzeigen“ zahlreiche Erkrankungen, die auch bei Kindern vorkommen. Dazu gehören unter anderem die Autoimmunerkrankungen, Immundefekte und Malignome. Das bedeutet aber nicht, dass man bei den Betroffenen pauschal auf die SIT verzichten muss, wenn diese aus klinischen Gründen angeraten erscheint, betonte Dr. Christoph Müller von der Klinik für Allgemeine Kinder- und Jugendmedizin des Universitätsklinikums Freiburg.

Nutzen und Risiken im Einzelfall abwägen

Will man sich in begründeten Fällen über die genannten Gegenanzeigen hinwegsetzen, hat man häufig die Leitlinie im Rücken.1 In ihr sind die Kontraindikationen der SIT aufgeführt und spezifiziert. Hierzu gehören u.a.

  • Erkrankungen, bei denen die Gabe von Adrenalin kontraindiziert ist (gilt für die SCIT, aber nicht bei Insektengiftallergie),
  • Behandlung mit Betablockern und ACE-Hemmern,
  • schwere Autoimmunerkrankungen (dazu gehören ausdrücklich nicht Hashimoto-Thyreoiditis, rheumatoide Arthritis, M. Crohn, Colitis ulcerosa, Diabetes mellitus u.a.), Immundefekte, Immundefizienz, Immunsuppression,
  • maligne neoplastische Erkrankungen mit aktuellem Krankheitswert.

Auch diese Kontraindikationen sind aber nicht in Stein gemeißelt, betonte Dr. Müller. Unter Abwägung von Nutzen und Risiken könne man in Einzelfällen dennoch eine SIT durchführen. Allerdings sollte man sich zuvor immer vier Schlüsselfragen stellen:

  1. Besteht eine harte Indikation zur SIT, z.B. eine Insektengiftal­lergie?
  2. Droht eine Verschlechterung der Begleiterkrankung durch die SIT?
  3. Drohen vermehrte SIT-Nebenwirkungen durch die Begleiterkrankung?
  4. Ist eine verschlechterte SIT-Effektivität durch die Begleit­erkrankung zu erwarten?

Nach einem Positionspapier der European Academy of Allergy and Clinical Immunology (EAACI) gibt es zwar ein theoretisches Risiko, dass sich eine Krebserkrankung unter der SIT verschlechtert.2 Bisher wurde aber keine erhöhte Krebsinzidenz und in Fallbeobachtungen auch keine erhöhte Rezidivrate beobachtet. Auch ein vermehrtes Auftreten von SIT-Nebenwirkungen und eine schlechtere Effektivität nach abgeschlossener Chemotherapie sind nicht zu erwarten. Unklar ist die Situation nach einer Knochenmarktransplantation. Eine stabile rezente Krebserkrankung muss daher auch nach der Leitlinie nicht unbedingt eine Kontraindikation darstellen.

Ist der Patient in Remission, kann man die SIT erwägen

Wie sieht es mit Autoimmunerkrankungen aus? In Fallbeschreibungen aus den 1990er-Jahren wurden unter einer SIT vermehrt Vaskulitis-Fälle beobachtet. In Beobachtungsstudien hat sich dies bisher nicht bestätigt. Auch für vermehrte Nebenwirkungen oder eine eingeschränkte Effektivität der Immuntherapie gibt es bisher keine Hinweise. Erkrankungen in Remission stellen daher keine absolute Kontraindikation dar – schon gar nicht eine gut eingestellte Hashimoto-Thyreoiditis, meinte Dr. Müller.

Vorher Kostenübernahme durch die Kasse sichern

Auch psychiatrische Erkrankungen, chronische Infektionen, Immundefekte und Immunsuppression sind nach dem EAACI-Positionspapier nur relative Kontraindikationen. Ebenso die Betablocker-Therapie – bei Insektengiftallergien besteht hier gar keine Kontraindikation. Die ACE-Hemmer-Gabe stellt dagegen nur bei Insektengift-SIT eine relative Kontraindikation dar, nicht aber bei den anderen Formen. Auch eine medikamentös gut kontrollierte HIV-Infektion muss kein Grund sein, auf die Immuntherapie zu verzichten.

Notwendig bei einer Off-Label-Behandlung sind grundsätzlich eine schriftliche Einverständniserklärung des Patienten bzw. seiner Eltern, eine Kostenübernahmeerklärung durch die Krankenkasse und natürlich die gut begründete Indikation, erinnerte der Pädiater.

Quellen:
1 S2k-Leitlinie „(Allergen-) spezifische Immuntherapie bei IgE vermittelten allergischen Erkrankungen“, AWMF-Register-Nr. 061-004
2 Pitsios C et al. Allergy 2015; 70: 897-909; DOI: 10.1111/all.12638

Kongressbericht: 14. Deutscher Allergiekongress