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Tenside im Trinkwasser – kein Grund, aufs Stillen zu verzichten?

Autor: Dr. Alexandra Bischoff

Erhöhte PFT-Werte sind nicht pauschal ein Grund zum Abstillen – in Orten mit PFT-Belastung ist dennoch Aufklärungsarbeit zu leisten. Erhöhte PFT-Werte sind nicht pauschal ein Grund zum Abstillen – in Orten mit PFT-Belastung ist dennoch Aufklärungsarbeit zu leisten. © blende11.photo – stock.adobe.com; New Africa – stock.adobe.com
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In einigen deutschen Kommunen ist das Grundwasser mit perfluorierten Tensiden belastet. Über die potenziellen Gefahren für Schwangere und gestillte Säuglinge herrscht nach wie vor Unklarheit.

Perfluorierte Tenside (PFT) dienen dazu, schmutz-, fett- und wasserabweisende Oberflächen herzustellen. Die bei der Produktion von Textilien, Verpackungen sowie Feuerlöschmitteln gängigen Industriechemikalien verteilen sich leicht in der Umwelt und gelangen so in die Nahrungskette

Toxikologisch hinreichend untersucht sind die PFT-Derivate Perfluoroctansulfonsäure (PFOS) und Perfluoroctansäure (PFOA). Letztere gilt als potenziell kanzerogen. Wissenschaftliche Belege, dass die Substanzen das menschliche Erbgut verändern, gibt es bislang nicht. In Tierversuchen konnte man aber Chromosomenveränderungen durch extrem hohe, zellschädigende Konzentrationen von PFOA und PFOS nachweisen. Unter stark erhöhten Expositionen entwickelten sich auch Tumoren, u.a. Leberadenome. Da die PFT-Verweildauer im menschlichen Organismus im Gegensatz zu der in Versuchstieren nicht einige Tage, sondern mehrere Jahre beträgt, lässt sich das Risiko nicht abschließend bewerten, schreibt Professor Dr. Hans-Iko Huppertz von der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendmedizin (DAKJ), Berlin. 

Muttermilch teilweise deutlich belastet 

PFT wird über die Nahrung und das Trinkwasser aufgenommen, im Magen-Darm-Trakt vollständig resorbiert und ist dann in Blutplasma, Plazenta, Nabelschnurblut sowie in der Muttermilch nachweisbar. 

Ob gestillten Säuglingen durch eine mit PFT belastete Muttermilch tatsächlich Gefahr droht, weiß man bislang nicht. Die American Academy of Pediatrics sieht im Stillen trotz potenzieller PFT-Risiken mehr Vor- als Nachteile. Auch das Bundesinstitut für Risikobewertung hält aufgrund der aktuellen Datenlage nichts davon, „belasteten“ Müttern in den ersten Lebensmonaten vom Stillen abzuraten. Die erhöhte PFT-Exposition der Säuglinge erfolge nur temporär und die Plasmawerte von gestillten und ungestillten Kindern würden sich nach der Stillperiode wieder angleichen. 

Die European Food Safety Agency nennt als tolerierbare wöchentliche Aufnahmemenge für PFOA 6 ng/kgKG und für PFOS 13 ng/kgKG. PFOA-Bestimmungen in Muttermilchproben aus Deutschland ergaben jedoch teilweise Werte von 200–400 ng/l. Demnach könnte in belasteten Regionen die PFOA-Aufnahme bei voll gestillten Säuglingen das Zehn- bis Hundertfache der angegebenen tolerierbaren wöchentlichen Aufnahmemenge betragen.

Über bekannte Fakten und Ungewissheiten aufklären 

Die DAKJ rät daher, in Orten mit erhöhter PFT-Belastung Frauen mit Kinderwunsch, Schwangere und Stillende verstärkt über bekannte Fakten und Ungewissheiten bzgl. PFT aufzuklären, beispielsweise durch niedergelassene oder am Gesundheitsamt tätige Kinder- und Jugend­ärzte. Auf besorgte Eltern solle man beruhigend einwirken und erklären, dass erhöhte PFT-Werte im mütterlichen Blut per se kein Grund zum Abstillen sind.

Quelle: Huppertz HI. Monatsschr Kinderheilkd 2020; 168: 1043-1047; DOI: 10.1007/s00112-020-00973-1

Referenz- und Grenzwerte für PFOS und PFOA

Die HBM*-Kommission nennt folgende Werte:
  • Median bei Erwachsenen 10 µg/l (PFOS) bzw. 5 µg/l (PFOA), 95. Perzentile bei Männern 25 µg/l bzw. 10 µg/l, 95. Perzentile bei Frauen 20 µg/l bzw. 10 µg/l, 95. Perzentile bei Kindern unter 10 Jahren je 10 µg/l im Serum
  • Wert, unterhalb dessen wohl keine gesundheitliche Beeinträchtigung besteht: 2 µg/l im Blutplasma
  • Wert, oberhalb dessen eine gesundheitliche Gefährdung möglich ist: für Frauen in gebärfähigem Alter PFOA 5 ng/ml, PFOS 10 ng/ml, für übrige Bevölkerungsgruppen PFOA 10 ng/ml, PFOS 20 ng/ml

* Humanes Biomonitoring – Kommission des Umweltbundesamtes