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Hormonbehandlung Testosteron verordnen oder nicht?

Autor: Dr. Elke Ruchalla

Testosteron sollte nur Patienten mit pathologischen Hypogonadismus oder Transmännern verordnet werden. Testosteron sollte nur Patienten mit pathologischen Hypogonadismus oder Transmännern verordnet werden. © iStock/invincible_bulldog
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Sportliche Höchstleistung, Selbstoptimierung oder mehr Libido – Testosteron macht’s möglich. Doch vor der Verschreibung gilt es, zwischen medizinischer Indikation, Fehlgebrauch und Missbrauch zu unterscheiden.

Bei Testosteron handelt es sich, wie bei allen Androgenen, um ein hochpotentes verschreibungspflichtiges Medikament. Allerdings gibt es traditionell nur eine Indikation, bei der Testosteron das Mittel der ersten Wahl ist, nämlich die Hormonersatztherapie beim männlichen pathologischen Hypogonadismus, erläutert Professor Dr. David Handelsman vom ANZAC Research Institute der Universität Sydney.

Ein pathologischer Hypogonadismus kann auftreten, wenn

  • im Rahmen einer Erkrankung die Leydig-Zellen des Hodens zu wenig Testosteron synthethisieren und freisetzen oder
  • bei Störungen im Bereich der Hypothalamus-Hypophysen-Achse das übergeordnete luteinisierende Hormon (LH), das normaler­weise die Testosteronproduktion stimuliert, ausfällt.

Auffällig kleine Hoden häufig nicht als Erkrankung erkannt

Die häufigste Ursache für pathologischen Hypogonadismus ist das Klinefelter-Syndrom, das etwa einen von 650 neugeborenen Jungen betrifft und auf einer Chomosomen­anomalie beruht (47, XXY statt 46, XY). Obwohl bei diesem Krankheitsbild die Hoden auffällig klein sind, bleiben 75 % der Männer bis an ihr Lebensende undiagnostiziert ­– ein eklatanter Fehler, meint Prof. Handelsman. Denn für Betroffene ist die Behandlung mit Testosteron uneingeschränkt zu empfehlen.

Als weitere Indikation kam in neuerer Zeit die Gabe im Rahmen geschlechtsangleichender Verfahren bei Transmännern (bei der Geburt weibliches Geschlecht zugewiesen, Selbstverständnis als Mann) hinzu. Zu beachten ist, dass sich für die Ersatztherapie nur Testosteron selbst eignet, da die verschiedenen synthetischen Derivate nicht das ganze Spektrum der Testosteronwirkungen abdecken.

Wie stellt man nun die Diagnose Hypogonadismus? Neben der sorgfältigen körperlichen Untersuchung, die auch die Hoden einschließt (Im Skrotum tastbar? Normale Größe?), werden die Hormonspiegel im Serum gemessen, und zwar an mindes­tens zwei unterschiedlichen Tagen. Beim pathologischen Hypogonadismus findet man

  • eine verminderte Testosteron­konzentration und
  • eine abnorme Konzentration von LH und follikelstimulierendem Hormon (FSH).

Sind LH und FSH vermindert oder gar nicht mehr nachweisbar, liegen die möglichen Ursachen im Bereich von Hypothalamus bzw. Hypophyse. Bei erhöhten Werten ist der Schaden dagegen im Hoden selbst zu suchen. Im Gegensatz dazu sprechen normale Gonadotropinspiegel bei gleichzeitig erniedrigtem Testosteron für einen Pseudo-Hypogonadismus, der typischerweise bei übergewichtigen älteren Männern vorkommt, so Prof. Handelsman. Zusätzlich empfiehlt sich die Bestimmung des sexualhormonbindenden Globulins (SHBG), da ein zu niedriger Testosteronwert auch durch einen Mangel dieses Proteins bedingt sein kann.

Abgesehen vom Hypogonadismus erhalten Patienten Testosteron bzw. synthetische Androgene bei einer ganzen Reihe weiterer Erkrankungen­– wenn auch meist nur als zweite bis letzte Wahl oder off label. Der Autor spricht in diesen Fällen von „Fehlgebrauch“, nicht zuletzt weil die verabreichten Dosierungen meist um ein Vielfaches höher liegen als beim indizierten Testosteronersatz. 

Kein Grund für die Pille(n)

Bei männlicher Infertilität oder sexueller Dysfunktion nützen Androgene nichts– ganz im Gegenteil: Sie könnten theoretisch als „Pille für den Mann“ eingesetzt werden. Auch zur Verjüngung und Steigerung der Vitalität beim altersbedingten Hypogonadismus („Andropause“ oder „Late-onset-Hypogonadismus“) sind sie nicht indiziert.

Die Palette der fraglichen Indikationen ist groß, das Für und Wider­ ebenfalls:
  • Anämien: als kostengünstige Alternative­ zu Erythropoetin
  • Osteoporose: zur Stärkung der Knochen, allerdings weniger wirksam als andere Substanzen
  • Kachexie: zum Muskelaufbau bei zehrenden Erkrankungen wie AIDS und Malignomen
  • Depressionen: Effektivität unklar, Vergleiche mit klassischen Antidepressiva fehlen
  • Fortgeschrittenes Mammakarzinom: als Antiöstrogen letzte Wahl
  • Endometriose: als Antiöstrogen zweite Wahl nach GnRH-Therapie
  • Angioödem bei C1-Esterase-Mangel: wirksam und kostengünstiger als rekombinante C1-Esterase
Vor dem Absetzen von Androgenen sollte man den Patienten auf mögliche Entzugserscheinungen vorbereiten. Diese ähneln der Symptomatik eines kalten Rauchstopps oder abrupten Kaffeeverzichts bei Vieltrinkern: schlechte Laune, Kopfschmerzen, Ruhelosigkeit oder Lethargie. Im Allgemeinen vergehen sie nach einigen Wochen von selbst. Eventuell kann eine psychologische Betreuung unterstützen. Schwere Nebenwirkungen wie bei einem Opioidentzug sind nicht zu erwarten.

Vorsicht bei Muskelmännern mit Akne an Brust und Rücken

Nicht außer Acht lassen darf man im Zusammenhang mit Testosteron das Kapitel Doping. Hierbei handelt es sich um einen regelrechten Missbrauch, der zunächst im Spitzensport üblich war – teils unter ärztlicher Anleitung. Mittlerweile versuchen aber auch Amateursportler, mit hormoneller Unterstützung Muskeln aufzubauen sowie Ausdauer und Leistung zu verbessern. In der Bodybuilder-Szene gehören Androgene quasi zum guten Ton. Doch lassen Sie sich in der Sprechstunde nicht von jenen Patienten manipulieren, die über Libido­verlust oder mangelnde Energie klagen und ein Androgen­rezept verlangen. Skeptisch werden sollten Sie, wenn es sich dabei um junge Männer mit überproportional ausgeprägten Muskeln und Akne im Brust- und Rückenbereich handelt. Diesen Patienten ist oft mehr geholfen, wenn Sie sie von einem Entzug überzeugen und ggf. an einen psych­iatrischen Kollegen überweisen.

Quelle: Handelsman DJ. Endocr Rev 2021; 42: 457-501; DOI: 10.1210/endrev/bnab001